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Migrationsforscherin über Ostdeutsche„Angst, auf Platz drei zu landen“

Ostdeutsche fühlen sich von der westdeutschen Mehrheit ausgegrenzt. Deshalb reagieren sie abwertend gegenüber Muslimen, die sie als Rivalen sehen, sagt Naika Foroutan.

30 Jahre nach dem Mauerfall findet eine Art Migrantisierung der Ostdeutschen statt, sagt Foroutan Foto: Wolfgang Borrs
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Frau Foroutan, ähneln sich die Vorurteile in Westdeutschland gegenüber Ostdeutschen und MigrantInnen?

Naika Foroutan: Ja, nicht nur Vorurteile, auch Stereotype und Abwertungen ähneln sich. Wir haben festgestellt, dass Westdeutsche den MuslimInnen und Ostdeutschen vorwerfen, sich zum Opfer zu machen. Das sagt mehr als ein Drittel der Westdeutschen über Muslime, und noch mehr über Ostdeutsche.

Das ist der Versuch, strukturelle Ungleichheiten abzuwehren – Ihr jammert ja bloß. Doch auf das, was diese beiden Gruppen aufmerksam machen, ist kein Jammern: Migranten und Ostdeutsche sind bekanntlich stärker von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen und haben deutlich weniger Vermögen als Westdeutsche.

Aber knapp Zweidrittel der Westdeutschen sagen das nicht über Muslime…

Im Interview: Naika Foroutan

47, ist Migrationsforscherin, Professorin an der Humboldt-Universität und Co-Leiterin des DeZim, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin.

Ja, aber in der Sozialwissenschaften gilt ein Drittel als kritische Masse, die politische Stimmungen stark beeinflussen kann. Es gibt auch noch mehr Ähnlichkeiten. So rückt rund ein Drittel der Westdeutschen Muslimen und Ostdeutschen in die Nähe zum Extremismus.

Und ein Drittel glaubt, dass die Ostdeutschen noch nicht in Deutschland angekommen sind: Die müssen sich also noch eingewöhnen, sind noch fremd. Das ist, dreißig Jahre nach Mauerfall, eine Art Migrantisierung der Ostdeutschen.

Was hat Sie an der Studie überrascht?

Dass Ostdeutsche sich selbst auf gleicher Ebene in der Gesellschaft sehen wie Muslime. Die Hälfte der Ostdeutschen denkt von sich selbst, dass sie als Bürger zweiter Klasse behandelt werden – und sie denken dies auch von Muslimen. Da ist eine starke Ähnlichkeit.

Warum ist das überraschend?

Weil die soziale Wirklichkeit anders ist. Ostdeutsche sind weniger stark von Rassismus betroffen als Muslime und bekanntermaßen strukturell deutlich besser gestellt. Aber offenbar sind die Stereotype über Ostdeutsche so wirksam, dass sie sich ähnlich weit unten und ausgegrenzt verorten.

Das ist ein Grund für antimuslimische Haltungen im Osten: Man fühlt sich von der westdeutschen Mehrheit ausgegrenzt – und fürchtet deshalb den sozialen Aufstieg der anderen Außenseitergruppe.

Knapp die Hälfte der Ostdeutschen lehnt mehr muslimische ChefInnen ab…

Das zeigt die Angst, möglicherweise auf dem dritten Platz zu landen und von der anderen Minderheit, den Muslimen, überholt zu werden.

Gleichzeitig ist die Hälfte der Deutschen, in Ost und West, der Meinung, dass Muslime benachteiligt werden. Ist dies nicht das Gegenteil von Konkurrenz – ein Ausdruck von Empathie mit einer benachteiligten Gruppe?

Ja, vermutlich. Aber trotzdem möchten viele nicht, dass Muslime sozial an ihnen vorbeiziehen. Auch dieses Phänomen gibt es öfter. Viele Männer sagen: Es gibt nur ein Drittel Frauen im Bundestag, die Frauen sind benachteiligt. Aber trotzdem sind diese Männer nicht für ein Parite-Gesetz.

Solche Widersprüche zwischen Erkenntnis und dem Gefühl, selbst irgendwie bedroht zu sein, wenn Gleichheitsrechte wirklich umgesetzt werden, sind häufig.

28 Prozent der Ostdeutschen sagen, dass sich Ostdeutsche zu sehr als Opfer sehen. Die Studie liest daraus, dass fast ein Drittel den Opfervorwurf aus dem Westen verinnerlicht hat. Kann es sich hier nicht auch um Selbstkritik an dem Opferbild handeln? Oder um einen Generationskonflikt – Ältere sehen sich als Opfer der Umstände, Jüngere lehnen das ab?

Wir wissen, dass Hispanics in den USA zu 30 Prozent Trump gewählt haben, obwohl Trump Hispanics als Kriminelle diffamiert hat. Es gibt Frauen, die misogyne Bilder übernehmen.

Ein solcher Effekt liegt auch in diesem Fall nahe – dass ein Teil der Ostdeutschen den Opfervorwurf herauspickt und gegen die eigene Gruppe ins Spiel bringt, um sich so damit über die negativ stigmatisierte eigene Gruppe zu erheben – nach dem Motto, ich bin keiner von denen. Aber Sie haben Recht: Es kann auch andere Gründe geben.

Sehen Sie, angesichts der Ähnlichkeiten der Bilder von Muslimen und Ostdeutschen mögliche politische Gemeinsamkeiten? Oder Bündnisse?

Das ist eine politische Frage, die über die Studie hinaus geht. Es mag attraktiv klingen, dass sich zwei marginalisierte Gruppen gegen den Hegemon verbünden. Aber diese Gruppen sind sehr unterschiedlich. Die Studie zeigt allerdings, dass fast jeder Dritte in West und Ost eine Quote für Migranten für gerechtfertigt hält. Eine so große Zahl hatte niemand von uns im DeZIM-Institut erwartet. Dieses Drittel kann ansprechbar für Allianzen sein, um Benachteiligungen abzubauen.

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16 Kommentare

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  • "Chef deckelt Mitarbeiter, der deckelt seine Frau, die ihr Kind, das- tritt den Hund." (Doctor.Bob)



    ...und der Hund rennt nach Sachsen und beißt dort wild um sich ?

  • @Herr Reinecke

    Geht es bei dem Vergleich um Muslime oder generell um Migranten?

    Die Muslime sind der deutlich kleinere Teil der Migranten.

    www.t-online.de/na...ueberschaetzt.html

  • Schön, dass Frau Professorin jede andere Lesart Ihrer Datengrundlage rundheraus ablehnt. Dass fast 30 % der Ossis das ständige „uns ossis geht es ja so schlecht“ zu den Ohren heraushängt, MUSS an den bösen Wessis hängen. Jede andere Interpretation der Daten verbietet sich. Aha.

    Danke Frau Professor, dass Sie mir dummen kleinen Ossi keine eigene Meinung zutrauen.

    Tatsächlich geht das Gejammer aus ganz anderen Gründen auf die Ketten. Es ist nämlich fast immer gepaart mit einer unfassbaren Anspruchshaltung. Es kommt nämlich fast immer:

    „Mir/uns geht es so schlecht, da muss endlich mal jemand/die Politik/der Staat etwas machen.“

    Auf die Idee selbst aktiv zu werden und sein Glück in die eigene Hand zu nehmen, kommt fast keiner. Da wird lieber von struktureller Benachteiligung fabuliert und eine Quote gefordert.

    Der Gipfel ist jedoch, dass sich meine Mitossis als ähnlich benachteiligt wie Muslime sehen. Da bleibt mir ehrlich gesagt die Spucke weg. Struktureller Rassismus habe ich bisher gegenüber Ossis noch nicht erlebt.

  • 9G
    94797 (Profil gelöscht)

    Sich zusammen schliessen gegen den Hegemon?



    Tun sie nicht, die Ostdeutschen - oder besser, die Menschen, die sich marginalisiert fühlen oder tatsächlich werden. Das erklärt Frau Fouroutan ja auch.

    Es ist ja so:



    Chef deckelt Mitarbeiter, der deckelt seine Frau, die ihr Kind, das- tritt den Hund.



    Ganz einfach, der Mechanismus, den Frau Fouroutan da beschreibt

  • Ich kenne keinenOstdeutschen der sich mit einem Muslim, bzw. Asylanten verbünden würde.



    Die Aussagen dieser Frau sind meiner Meinung nach weltfremd.Inetelektuell nicht nachvollziehbar.



    Ich lebe seit 19 Jahren als "Wessie" in der sog. DDR ich habe erlebt wie



    gnadenlos nicht nachvollziehbar Ossis mit Wessis umgehen. Der Hintergrund ist Privat.



    Der Osten wurde Generationsmäßig gegen den Wseten konditioniert.



    Das scheint der Westen falls noch vorhanden konditioniert zu ignorieren nicht wahrhaben zu wollen? Wirklich?



    Muslime mit Ossis oder Wessis zu vergleichen ist absoluter Unsinn.



    Diese Frau scheint sich ihrer eigenen Kultur zu schämen und sie zu verleugnen.



    Diese unselige deutsche Geschichte aufzuarbeiten wird noch lange dauern.



    Das mit der Geschichte zwischen Muslimen und Deutschen, bzw. Europa zu vermischen ist unwürdig, wenn man bedenkt das die Kultur des Friedens aus dem Osten kam. Zum Unwillen der Jesuiten und der Katholischen Kirche. Egal was die aktuellen Geschichtsschreiber da verleugnen. Die Gschichte der Vereinigung von Ost - und Westdeutschen ist eine Geschichte des Römischen Reiche Deutscher Nation Protestanten gegen Katholiken



    das zeigt auch die derzeitige Vatikanische Politik, leider sind unsere Politiker nicht wie es scheint Entscheidungsbefugt.



    Die Asylanten und Muslime haben mit der jetzigen Situation jedenfalls nichts zu tun. Alibis für die Whren Drahtzieher. Opus Dei?

  • Der Untertitel zun Artikel ist falsch. Die Ostdeutschen "fühlen" sich nicht ausgegrenzt, die Studie besagt, dass sie von den Westdeutschen genauso wie Migranten mit analogen Vorurteilen diskriminiert werden.



    Das ist ein erheblicher Unterschied zwischen Gefühligkeit und Fakt.

  • Wichtig ist eben, dass wenn du dich scheisse fühlst, so behandelt wirst, oder vielleicht sogar bist, dass immer und die Betonung liegt auf immer, immer einen Anderen dafür verantwortlich machen kannst. Dabei empfehlen sich nicht Majoritäten, könnte Ärger geben, oder Verwandtschaft sein, sondern eben die Anderen. Und wenn du sogar zu strack bist, selbst mit diesen mitzuhalten, dann gehst du hin und verlangst eine Quote.

  • Muslimische Migrantin erforscht Ostdeutsche: "Knapp die Hälfte der Ostdeutschen lehnt mehr muslimische ChefInnen ab…"

    Genauso würden sie vermutlich mehr katholische oder jüdische oder scientologische CheffInnen ablehnen. Wer will als Nichtreligiöser schon einen religiösen Chef - es sei denn es gibt dadurch mehr Geld.

    "Die Studie zeigt allerdings, dass fast jeder Dritte in West und Ost eine Quote für Migranten für gerechtfertigt hält."

    Das bezieht sich womöglich auf den Zuzug weiterer Migranten und wurde von den Ostdeutschen oder den Forschern fehlinterpretiert.

  • "Migranten und Ostdeutsche sind bekanntlich stärker von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen und haben deutlich weniger Vermögen als Westdeutsche."

    Ich kann es echt nicht mehr hören, Frauen und insbesondere Alleinerziehende betrifft das auch und Behinderte und chronisch Kranke auch und viele andere Gruppierungen vieler Art auch. Was soll das?

    Ich bin Westdeutsche und habe auch kein Vermögen. Kommt das, weil ich im Osten lebe? Wäre seltsam, denn das (nicht geerbte) Vermögen müsste ja von all meinen Westverwandten kommen, von denen lebte aber bisher keiner im Osten und sie haben auch kein Vermögen. Gebildet sind und waren sie alle dennoch sehr gut.

    Also bin ich jetzt quasi eine eingebürgerte Ostdeutsche, ohne im Kollektiv zu jammern? Obwohl: Wessis sind ja die ersten Ausländer in der ehemaligen DDR gewesen und werden bis heute auch so behandelt. Entweder "Ausländer" oder mit direkter Verbindung zur Treuhand, was anderes kann ein Wessi nicht sein. Auf jeden Fall "A....".

    • @Hanne:

      Leider vergesst ihr immer dass hinter allem Politik und eigennützige Interessen stehen.



      Erst wenndas wahrgenommen wird, wird sich auch etwas ändern lassen.

      • @Sofia Dütsch:

        Sorry, ich verstehe es gerade nicht? Was habe ich vergessen?

      • @Sofia Dütsch:

        (-: Desshalb - wegen des Gemeinnutzes - sollten Ossis ja auch nach Möglichkeit nicht in irgeneine Politik gelassen werden. :-)

    • @Hanne:

      "Wessis sind ja die ersten Ausländer in der ehemaligen DDR gewesen und werden bis heute auch so behandelt. "

      Das fällt mir im Osten auch auf - komischerweise bei den ossis die Westen leben weniger.

    • @Hanne:

      Was sind wir? Ich z.B. lebe inzwischen fast genauso lang im Osten, wie vorher im Westen.



      Und sind die in Ost geborenen inzwischen erwachsenen Kinder von uns von West nach Ost vor 25 oder mehr Jahren Eingewanderten nun Ostdeutsche oder Westdeutsche?



      Wie wurden denn da befragt? Hat man sich eine bestimmte Gruppe Ostdeutscher herausgegriffen, die sich als solche begreifen?

  • Ja, genau, das ist unscharf in Bezug auf DIE Muslime. Aber auch in Bezug auf DIE Ostdeutschen. Wer ist das genau? Der in Ostdeutschland Geborene? Geographisch oder vor der Wende? Ist man auch ostdeutsch, wenn man vor 20 Jahren nach "Westdeutschland" gegangen ist und dort länger lebt, als in Ostdeutschland? Ist der/die vor 25 Jahren aus West nach Ost Gewanderte und heute in prekären Anstellungsverhältnissen arbeitende auch ostdeutsch? Das haut irgendwie nicht hin. man weiß ja schon, was gemeint ist, aber das ist doch so unscharf und doch keine wissenschaftliche Kategorienbildung?!

  • Ich habe mich gefragt, ob es hier nicht grundsätzlich um Personen mit Migrationshintergrund geht bzw. weshalb so pauschal von Muslim*innen gesprochen wird. Es handelt sich hierbei ja um eine Glaubensrichtung, die aber bspw. von Personen mit Migrationshintergrund zu unterscheiden wäre. Geht es also tatsächlich um Religion (Christentum VS Islam - während andere Religionen keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen) oder handelt es sich hier nicht eher um eine Grenze zwischen äußerlich 'Deutschen' und als 'Nicht-Deutsche' markierte Personen?