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Migration, Bürgergeld, SchuldenbremseKnackpunkte in Koalitionsgesprächen

Nach der Bundestagswahl haben Union und SPD erste Vorgespräche über eine Koalition geführt. Bei einigen Punkten liegen beide aber ziemlich weit auseinander.

Berliner Runde. Olaf Scholz und Friedrich Merz nach der Wahl in Berlin Foto: Thomas Imo/imago

Berlin afp | Wahlsieger und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat Gespräche mit dem scheidenden Kanzler Olaf Scholz (SPD) geführt. Beide kamen am Vormittag im Kanzleramt zusammen. Merz hatte am Montag vertrauliche Gespräche mit Scholz darüber angekündigt, wie die „Übergangsphase“ bis zum Antritt der künftigen Regierung ausgestaltet werden könne.

Im Gespräch sind zunächst Sondierungen mit der SPD – dies wäre nach dem Wahlergebnis die einzige mögliche Zweiter-Koalition.

Nach dem Sieg bei der Bundestagswahl hatte Merz bereits für Montag auch ein Gespräch mit SPD-Chef Lars Klingbeil zur Übergangsphase angekündigt. Der CDU-Chef hatte dabei gesagt, er erwarte, dass „seitens der Bundesregierung keine Entscheidungen mehr getroffen werden, die von Dauer sind, ohne unsere Mitwirkung“. Dies gelte auch für Personalentscheidungen.

Ob es zu Schwarz-Rot kommt, ist aber offen. Beide Seiten liegen in Bereichen wie Migration, Bürgergeld, Klimaschutz, Reform der Schuldenbremse oder Wahlrecht auseinander. Ein Überblick über mögliche Knackpunkte:

Klimapolitik

Die Union will das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 „im Blick“ behalten, verweist aber auf die Notwendigkeit des Erhalts der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Die EU-Vorgaben zur Abkehr vom Verbrennungsmotor will sie ebenso wie das Heizungsgesetz der Ampel-Regierung abschaffen. Zudem erwägt sie einen Wiedereinstieg in die Nutzung der Atomkraft. Ein von der SPD gefordertes Klimageld zur Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern steht zwar nicht im Wahlprogramm der Union – Merz sprach sich aber kurz vor der Wahl dafür aus.

Migration

Die Unionsparteien fordern eine deutliche Verschärfung der Migrationspolitik, um sogenannte irreguläre Migration zu verhindern. Dazu gehören neben dauerhaften Kontrollen an den Landesgrenzen auch ausnahmslose Zurückweisungen an den Grenzen – auch von Asylsuchenden. Die SPD hält dies weiter weder mit dem Grundgesetz vereinbar noch mit EU-Recht. Zudem will die Union den Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten, die kein Asyl bekommen haben, aber vorerst blieben können, aussetzen. Die Sozialdemokraten wollen dies weiter ermöglichen.

Schuldenbremse

Aus SPD und Grünen kommen Forderungen, noch durch den alten Bundestag eine Reform der Schuldenbremse zu beschließen, um notwendige Ausgaben vor allem für die Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine zu ermöglichen. Denn im neuen Bundestag gäbe es voraussichtlich keine Zweidrittelmehrheit mehr für eine dazu nötige Grundgesetzänderung. Die Union ist hierzu bisher nicht bereit und will laut Wahlprogramm an der Schuldenbremse festhalten. Ein möglicher Kompromiss könnte ein weiteres Sondervermögen sein – ähnlich dem 100-Milliarden-Euro-Topf für die Bundeswehr der Ampel-Regierung.

Bürgergeld

CDU-Chef Friedrich Merz will „Totalverweigerern“, die eine Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur ablehnen, die Bezüge komplett streichen. Dafür nimmt Merz auch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht in Kauf. Den Begriff Bürgergeld will er abschaffen und durch „neue Grundsicherung“ ersetzen. Die SPD hält hingegen am Bürgergeld fest. Sie will aber deutlich stärker auf die richtigen Arbeitsanreize, auf mehr Beratung und auf Kontrollen setzen, ob Arbeitsangebote auch wahrgenommen werden.

Mindestlohn

Die Union will den Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro pro Stunde nicht über eine politische Entscheidung anheben. Die Lohnuntergrenze soll weiterhin die unabhängige Mindestlohnkommission regelmäßig anpassen, die sich aus den Sozialpartnern zusammensetzt. Die SPD fordert hingegen eine Anhebung auf 15 Euro spätestens ab 2026. In der SPD-geführten Ampel-Koalition war der Mindestlohn schon einmal durch einen politischen Beschluss auf zwölf Euro erhöht worden.

Steuern

CDU/CSU wollen die Unternehmensteuern in mehreren Schritten auf maximal 25 Prozent senken, die SPD will Firmen hingegen durch Abschreibungen bei Investitionen unterstützen. Bei der Einkommensteuer strebt die Union eine Abflachung des Tarifs an und will die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz deutlich erhöhen. Außerdem soll der Soli komplett gestrichen werden. Die SPD will ihrerseits die Einkommensteuer für 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler senken, Top-Verdiener sollen jedoch einen höheren Beitrag leisten.

Rente

Die SPD will ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent dauerhaft garantieren. CDU/CSU wollen Rentenniveau und Beitragssatz laut Wahlprogramm „durch wirtschaftliches Wachstum“ stabil halten. Im Wahlkampf hat die SPD Merz vorgeworfen, er nehme eine Kürzung der Renten in Kauf.

Waffenlieferungen an die Ukraine

Merz hat schon lange klargemacht, dass er der Ukraine auch Taurus-Marschflugkörper mit großer Reichweite liefern würde. Die SPD lehnt das kategorisch ab, weil sie eine Eskalation im Konflikt mit Russland befürchtet. Ob die Frage aber in Koalitionsgesprächen eine Rolle spielt, ist angesichts der dynamischen Entwicklungen aufgrund des Vorstoßes von US-Präsident Donald Trump mit Kreml-Chef Wladimir Putin zu einer Beendigung des Konflikts fraglich.

Deutschlandticket

Die SPD will das Deutschlandticket dauerhaft zum aktuellen Preis anbieten, ergänzt durch vergünstigte Tarife für Familien, Studierende oder ältere Menschen. CDU-Chef Merz ist grundsätzlich für eine Weiterführung, stellt dies aber ausdrücklich unter den Vorbehalt einer möglichen Finanzierung, die nur noch für dieses Jahr gesichert ist.

Wahlrechtsreform

Die Union will das von der Ampel-Regierung unter SPD-Führung reformierte Wahlrecht wieder ändern. Grund ist, dass bei der Wahl am Sonntag 18 ihrer Wahlkreisgewinner nicht in den Bundestag kamen. Denn dies hängt aktuell davon ab, ob auf Landesebene die Direktmandate auch durch den Zeitstimmenanteil der Parteien gedeckt sind.

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6 Kommentare

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  • Am Mindestlohn wird es nicht scheitern. Es war ein reines Wahlkampfthema für die SPD. Die Mindestlohnempfänger sind schlicht Wahlvieh für sie gewesen. Wäre es ihr wichtig gewesen hätte man versucht im Oktober 24, 60 Prozent des Medianlohns in die die Mindestlohnrichtlinie zu schreiben. Wollte man aber nicht. Die Stimmen waren wichtiger als der Respekt für Menschen die zuviel zum sterben und zu wenig zum Leben verdienen.



    Und auch ansonsten werden sie sich einigen, gilt doch ihr Hauptinteresse der selben Zielgruppe.

  • Liebe SPD, bitte sucht und findet Euer Rückgrat!

    Ein absolutes No-Go ist die Aufhebung der Wahlrechtsreform. Es ist klar, dass die Union mehr Abgeordnete und mehr Mitarbeiter und mehr Steuergelder für sich haben will. Also zeigt Standfestigkeit.

    Ansonsten ist Euere Verhandlungsposition gut. Wenn haben Merz und Söder noch als Alternative?

    Sollte es zu Neuwahlen kommen, könnte die SPD mit der Offenlegung der Gründe für das Scheitern sicher gut bei Kernwählerschaft punkten.

  • "Die Union will das von der Ampel-Regierung unter SPD-Führung reformierte Wahlrecht wieder ändern." Die mit am lautesten über den überdimensionierten Bundestag gewettert haben, wollen genau dahin zurück?

  • // Ob es zu Schwarz-Rot kommt, ist aber offen

    Das müssen sich die Roten aber schwer überlegen wenn sie nicht das nächste mal unter 10% landen wollen. Sicher müssen sich beide Parteien aufeinander zu bewegen, aber die SPD hat einen etwas weiteren Weg. Markus Söder hat recht wenn er sagt, dass dies die letzte Patrone im Lauf ist.

  • "CDU/CSU wollen die Unternehmensteuern [...] senken, die SPD will Firmen [...] bei Investitionen unterstützen"

    Sozis verstehen doch mehr von Wirtschaft als die Union ;) Investitionsförderung ist gezielt und bringt die Gesamtwirtschaft weiter, pauschal weniger Steuern geht in Ausschüttungen an die Eigner/innen.

    Und liebe Union, neben der Hochrisikotechnologie ist Atomkraft sehr teuer (ohne Taschenspielertricks wie Herausrechnung der staatlichen Kostenübernahmen), das widerspricht dem Ziel der günstigen Energie.

    • @Ciro:

      Zudem ist es ohnehin Unsinn, wenn die CDU/CSU suggeriert, Senkung der Unternehmenssteuern führe auch zu mehr Investitionen. Investitionen werden eben nicht vom versteuerten Gewinn finanziert, sondern mindern im Gegensatz buchhalterisch den Gewinn und führen so zu geringerer Steuerlast.