Migranten in Libyen: Milizen und Menschenhandel
Die Zahl der Schiffbrüche im Mittelmeer steigt. Während die EU die libysche Einheitsregierung hofiert, ist die Lage in den Camps des Landes desaströs.
Auf dem Mittelmeer hat sich die Lage für Migranten dramatisch verschlechtert. Allein in der vergangenen Woche retteten Patrouillen der libyschen Küstenwache mehr als 1.000 Menschen aus Schlauchbooten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bestätigte am vergangenen Wochenende die Ankunft von 438 Geretteten in den libyschen Häfen von Misrata und Tripolis. Mitarbeiter der libyschen Hilfsorganisation Roter Halbmond berichten der taz von Hunderten weiteren Menschen.
Seit die Lage in Libyen im Oktober wieder stabiler geworden ist, haben sich viele der ehemaligen Milizen in ihre Kasernen zurückgezogen. Doch Gruppen, die seit dem Ende des Krieges nicht mehr auf den Lohnlisten von Armee oder Polizei stehen, wenden sich nun wieder dem Geschäft mit Migranten zu. Die mit Milizen verbündeten Schmuggler schickten in den vergangenen zwei Wochen so viele Menschen in seeuntüchtigen Schlauchbooten auf das Mittelmeer wie zuletzt 2014, berichten libysche Hilfsorganisationen.
Die sechs zurzeit seetauglichen libyschen Küstenwachenschiffe retteten allein in diesem Jahr 5.000 meist aus Westafrika kommende Migranten, wie die IOM berichtet. 2.300 Vermisste ermittelte die Organisation in Gesprächen mit geretteten Migranten im vergangenen Jahr.
Einheitsregierung hat kaum Einfluss
Die meisten Boote legen ohne Funkausrüstung von abseits gelegen Stränden der über 2.000 Kilometer langen libyschen Mittelmeerküste ab. Ihre Mobiltelefone müssen die Migranten meistens den Schmugglern übergeben. Fischer aus der libyschen Hafenstadt Zuwara und dem tunesischen Zarzis berichteten der taz von auf dem Mittelmeer treibenden Resten von Bootswracks und Leichen in ihren Netzen.
In den libyschen Häfen werden die Überlebenden von einheimischen IOM-Mitarbeitern registriert, interviewt und dann in von den libyschen Behörden in Gefängnisse oder in Camps umgewandelte Lagerhallen gebracht. „Libyen ist kein sicherer Ort für Migranten und Flüchtlinge“, wiederholen die Sprecher von IOM und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR seit vielen Jahren. Geändert hat sich nach Angaben von Mitarbeitern des Roten Halbmondes aber auch mit der neuen Regierung von Ministerpräsident Abdul Dbaiba wenig.
Der Ende Februar in dieses Amt gewählte ehemalige Geschäftsmann versichert den zurzeit im Wochentakt nach Tripolis reisenden europäischen Regierungschefs, dass die Lage der Migranten ein Schwerpunkt seiner Arbeit sein werde. Am Dienstag erklärte der aus Rom angereiste Mario Draghi, die Kooperation mit der libyschen Küstenwache zu verstärken. Doch in Zauwia, wo die Milizen das Sagen haben, hat die neue Einheitsregierung nur wenig Einfluss.
Queen stammt aus der nigerianischen Provinz Biafra und hat mehrere Monate in dem staatlichen Gefängnis von Zauwia verbracht. Die 30-Jährige ist mittlerweile ins tunesische Zarzis geflohen und berichtet, dass die Behandlung in den von UN-Mitarbeitern besuchten Einrichtungen relativ korrekt sei. Sexuelle Gewalt, Zwangsarbeit und das Freikaufen aus der Haft sei in den privaten von den Milizen kontrollierten Lagern jedoch an der Tagesordnung. Queen, ihren Nachnamen möchte sie nicht gedruckt sehen, wurde dafür in ein privates Lager nach Zuwara verlegt,wo der Schmuggler Mohamed Bahroun das Sagen hat. Für die Zahlung von umgerechnet 500 Euro konnte Queen nach Tunesien ausreisen.
Moussa Kony, Geflüchteter
Moussa Kony aus Guinea-Bisseau sah im Oktober vergangenen Jahres bereits die Boote im Hafen der maltesischen Hafenstadt Valetta, nachdem er an Deck eines Fischerboot bereits drei Tage auf See gewesen war. Dann stoppte jedoch eine maltesische Marinepatrouille das Fischerboot mit Zulassung im tunesischen Mahdia. „Wir mussten zwei Tage an Bord warten und hatten kaum noch etwas zu trinken und essen. Dann kam ein tunesisches Marineschiff und begleitete uns in den Hafen von Zarzis zurück“, so Kony.
30 offizielle Lager, viele private
Migranten berichten von weiteren illegalen sogenannten Pushbacks aus EU-Hoheitsgewässern, bei denen libysche und tunesische Schiffe auf Bitten maltesischer und italienischer Behörden Flüchtlinge und Migranten zurück in nach Nordafrika brachten.
Moussa Kony schaffte es in einem zweiten Anlauf nach Valetta, doch musste er sich dafür erst wieder auf tunesischen Baustellen verdingen. Ihn hatten nicht nur die in Südtunesien und Libyen verbreiteten Vorurteile gegen Schwarze und Christen zur Fortsetzung seiner Flucht getrieben. „Die libyschen Milizen nutzen den fehlenden rechtlichen Schutz von Migranten aus.“
„Die willkürlichen Verhaftungen dienen dazu, sich bei der Öffentlichkeit als Verteidiger der Bürger dazustellen“, sagt Mohamed Sifauw, der für die Hilfsorganisation Roter Halbmond in der Stadt Zauwia arbeitet. Die Hafenstadt zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze ist in die Machtbereiche zweier Milizengruppen gespalten.
30 offizielle Lager für Migranten gibt es in Libyen, die Zahl der privaten Gefängnisse ist unbekannt. In Zauwia gibt es neben dem offiziellen Lager mit 3.000 Insassen etwa sieben sogenannte Gettos. „Oft kommen Geschäftsleute in die Gettos und bestellen Arbeitskräfte für den Transport, für Baustellen oder suchen bestimmte Handwerker. Die Bezahlung geht direkt an die Milizen, die Migranten für eine Gebühr von umgerechnet 400 Euro nach nach ein paar Monaten weiter ziehen lassen“, sagt Moussa Kony.
Die Milizen haben mehr Geld
Die EU ist vor Libyen mit der so genannten Irini-Marine-Mission im Einsatz, um das seit 2011 geltende Waffenembargo vor der libyschen Küste zu überwachen. Spektakuläre Funde wie das Stoppen einer Lieferung von Flugbenzin durch die deutsche Fregatte „Hamburg“ im Oktober 2020 zeigen, wie effektiv libysche und europäische Behörden zusammenarbeiten könnten.
Doch im Bereich Migration herrscht Funkstille auf dem Mittelmeer. Schiffe der Irini-Mission sind außerhalb der libyschen Rettungszone und vor der ostlibyschen Küste im Einsatz. Die sechs zurzeit funktionstüchtigen libyschen Marineschiffe kreuzen vor der Westküste.
Ein Kommandeur der libyschen Küstenwache, Rida Issa, sagt, dass Europa nicht länger die libysche Küstenwache einspannen könne. „Anders als die Milizen haben wir nicht genügend Ausrüstung um die Sicherheit unserer Besatzungen zu gewährleisten.“
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