Mietenkrise in Berlin: Teurer als erlaubt
Der neue Mietspiegel zeigt: Die Mieten steigen unaufhörlich. Deutsche Wohnen & Co enteignen veröffentlicht Rechner gegen Abzocke und trommelt für Mietendemo.
Das ist gar nicht so selten: Ein Mietencheck in der taz-Redaktion ergibt: Viele derjenigen, für die die Mietpreisbremse gilt, zahlen vermutlich zu viel. Ein Beispiel: 800 Euro kalt für eine 80 Quadratmeter Wohnung in Kreuzberg. Das mag Wohnungssuchenden günstig vorkommen, in Wirklichkeit ist sie teurer als erlaubt: „Du könntest potenziell 216,70 bis 386,59 Euro an Miete pro Monat sparen“, so das Ergebnis des Rechners.
Das ist allerdings nur eine vorläufige Einschätzung. Für eine verlässliche Prognose muss man nochmal 50 bis 60 weitere Fragen beantworten. „Das dauert so 10 bis 15, maximal 20 Minuten“, sagt Jonas Brinkhoff, der den Mietencheck entwickelt hat, am Donnerstag bei der Vorstellung des Onlinerechners. Hierbei werde der Datenschutz groß geschrieben, betont er.
Doch gibt es so etwas nicht schon? Nein, sagt Brinkhoff. So gelte der Rechner des Senats nicht für ältere Mietverträge und kommerzielle Angebote wie Conny seien kostenpflichtig. Außerdem habe man versucht, das Ganze so verständlich wie möglich zu gestalten und man kann den Mietencheck auch auf Englisch machen. Bald sollen Türkisch und weitere Sprachen folgen. Den Mietvertrag und am besten noch einen Zollstock braucht man trotzdem. Am Ende gibt es eine ausführliche Auswertung, mit der man zur Mieter*innenberatung oder direkt zum Anwalt gehen kann.
Mietspiegel ist Grundlage für Mieterhöhungen
Grundlage des Rechners ist der Mietspiegel. Der aktuelle wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ebenfalls am Donnerstag vorgestellt. Der Mietspiegel basiert auf Miet- und Ausstattungsdaten für rund 16.000 Wohnungen in der Hauptstadt und gilt für zwei Jahre.
Der Mittelwert ortsüblicher Vergleichsmieten für das Jahr 2024 liegt bei 7,21 Euro nettokalt pro Quadratmeter. Im Jahr zuvor lag er bei 7,16, wobei dies kein qualifizierter Mietspiegel war, also der mithilfe wissenschaftlicher Methoden erhoben wurde. Der letzte qualifizierte Mietspiegel stammt aus dem Jahr 2019 und beträgt 6,72 Euro pro Quadratmeter.
Empfohlener externer Inhalt
„Erkennbar ist, dass insgesamt das Mietniveau im Mietspiegel 2024 moderat ist“, sagt Bausenator Christian Gaebler (SPD) bei der Vorstellung. Auch die CDU zeigt sich zufrieden und spricht ebenfalls von „moderaten Mietpreissteigerungen“.
Doch auch wenn die Erhöhung „moderat“ ausfällt, seit Jahren kennt der Mietspiegel nur eine Richtung: Nach oben. Das hat Konsequenzen. Denn mit dem Mietspiegel können nicht nur Mieter*innen sehen, ob ihre Miete überhöht ist, sondern er ist die Grundlage für Vermieter*innen, wie viel sie die Miete legal anheben können.
Opposition fordert Maßnahmen für Mieter*innenschutz
„Der Mietspiegel gibt keinen Anlass zur Entwarnung“, sagt dann auch Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Linken. Dass der Mietenanstieg nicht höher ausgefallen ist, liege an den regulierten Mieten bei den Landeseigenen Wohnungsunternehmen. „Je mehr öffentliche Wohnungen, desto mietpreisdämpfender der Effekt für ganz Berlin. Rekommunalisierung und Vergesellschaftung sind der beste Mieterschutz.“
Für die Grünen ist der neue Mietspiegel ein Beleg, „auf welch hohem Niveau die Belastung durch Mietsteigerungen der vergangenen Jahre ist“, so die Sprecherin für Wohnen und Mieten, Katrin Schmidberger. Sie fordert vom Senat mehr Maßnahmen für den Mieter*innenschutz.
Der Bausenator winkt jedoch ab. „Das was wir in Berlin an Mietbegrenzungsmöglichkeiten umsetzen können, haben wir ausgeschöpft“, so Gaebler.
Mietbremse hat zahlreiche Schlupflöcher
Das dürften die Aktivist*innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen anders sehen. Für sie ist der Mietspiegel in Wirklichkeit ein „Mieterhöhungsspiegel“. Und doch sind Mietspiegel und Mietpreisbremse die einzigen Instrumente, die geblieben sind, um Mieten zu senken.
Manuel Katzer, Deutsche Wohnen & Co. enteignen
Nach dem juristischen Scheitern des Vorkaufsrechts und des Mietendeckels in Berlin hat die Bundesregierung keine Anstrengungen unternommen, diese Mieterschutzinstrumente auf Bundesebene wiederherzustellen. „Das ist ein eklatantes Versagen der Politik, die Rechnung zahlen die Mieter*innen“, so Sprecher Manuel Katzer. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein weiteres Problem am Mietspiegel: Er ist kompliziert und es gibt zahlreiche Ausnahmen. Das zeigt sich auch bei der taz-Umfrage: Für viele in der Redaktion ist er nicht anwendbar, weil ihr Mietvertrag zu alt ist, also vor dem 31. Mai 2015 abgeschlossen wurde.
Auch bei möblierten Zimmern, Neubauwohnungen und nach umfassender Sanierung greift er nicht. Die Kollegin aus Neukölln mit der hohen Miete und dem neuen Dachstuhl hat also Pech gehabt.
Demo gegen Mietenwahnsinn am Samstag
So hilfreich der Rechner für die einzelnen auch ist, die Mietenkrise wird er nicht lösen. „Das einzige Mittel dagegen ist die Vergesellschaftung. Doch bis es so weit ist, suchen wir nach pragmatischen Lösungen, die Mieter*innenn helfen“, sagt Justus Henze von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Die müssten sich nur organisieren, schließlich sind sie die große Mehrheit: Über 80 Prozent der Berliner*innen leben laut Senat in einer Mietwohnung.
Das Mobilisierungspotenzial für die Demonstration gegen Mietenwahnsinn, Verdrängung und Wohnungsnot am Samstag ist also groß. Über 200 Initiativen und Gewerkschaften haben sich zusammengetan und fordern einen bundesweiten Mietendeckel, die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids und das Verbot von Eigenbedarfskündigungen und Zwangsräumungen.
Start ist um 14 Uhr am Potsdamer Platz, einem eindrücklichen „Beispiel für verfehlte Stadtentwicklungspolitik“, so Bündnissprecher Jonas Schelling.
Das könnte bald auch für das Tempelhofer Feld gelten, wo die Demo ebenfalls vorbeiziehen soll. „Das Feld gibt es nur noch, weil die Berliner*innen sich gegen die Bebauungsfantasien wehren“, so Schelling. „Wir können die Stadt verändern, dafür müssen wir uns zusammentun“, ist er sicher. Denn: „Dass Mieten steigen, ist kein Naturgesetz. Und sie steigen auch nicht, sie werden erhöht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen