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Merz will Lieferkettenrichtlinie beendenDen Preis nicht wert

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Eine Abschaffung der Lieferkettenrichtlinie würde nicht nur dem Koalitionsvertrag widersprechen, sondern auch gesellschaftlichem Anstand.

Menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen wollte die EU-Lieferkettenrichtiline entgegenwirken. Kanzler Merz will sie wieder abschaffen Foto: Go Nakamura/ reuters

B ei seinem Antrittsbesuch in Brüssel hat Friedrich Merz (CDU) manches Richtige, aber auch Unsinn erzählt. Zu Letzterem gehört, dass er die Abschaffung der europäischen Lieferkettenrichtlinie forderte. Das widerspricht nicht nur dem Koalitionsvertrag, den er gerade mit der SPD beschlossen hat. Es läuft auch dem Selbstverständnis der Mehrheit der Gesellschaft zuwider.

Fast alle Menschen finden es richtig, dass der Euro rollt. Gleichzeitig möchten sie in den Spiegel schauen können. Wirtschaftliche Freiheit, Wohlstand und Anständigkeit gehören zusammen. Dieser Konsens wird verletzt, wenn Kleidung und andere Konsumgüter aus Fabriken stammen, die ihre Beschäftigten wie Dreck behandeln. Über diesen Zusammenhang ist sich unser neuer Bundeskanzler offenbar nicht im Klaren.

Der ehemalige Entwicklungsminister Gerd Müller, Unionspolitiker und Katholik wie Merz, wusste das. Er forderte „Nie wieder Rana Plaza“, nachdem 2013 die Textilfabrik in Bangladesch, die auch für deutsche Geschäfte produziert hatte, eingestürzt war. Die Erkenntnis, dass sich eine solche Katastrophe mit 1.138 Toten nicht wiederholen dürfe, führte schließlich zum deutschen Lieferkettengesetz und zur europäischen Lieferkettenrichtlinie. Merz gehört zu denen, die beides beseitigen wollen. Damit betreibt das Geschäft der Wirtschaftslobby, die die Lieferkettenregulierung schon immer zu verhindern versuchte – sowohl national als auch europäisch.

Was wäre das für ein Welthandel, wenn es egal sein soll, wie die Konsumgüter hergestellt werden, die die Bun­des­bür­ge­r:in­nen täglich nutzen? Es muss den Beschäftigten überall auf der Welt möglich sein, mit ihrer Arbeit ein Existenzminimum zu erwirtschaften, ihre Kinder zur Schule zu schicken und ärztliche Versorgung zu bezahlen. Wenn man darauf verzichtet, senken hiesige Firmen vielleicht ihre Kosten und sparen ein paar Mitarbeiter:innen, die die ausländischen Lieferanten überprüfen. Die wirtschaftlichen Vorteile für hiesige Unternehmen aber sind den menschlichen Preis beim besten Willen nicht wert.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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10 Kommentare

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  • Das Lieferkettengesetz zur Lieferkettenrichtlinie zu streichen ist vollkommen richtig.

    Denn es ist ein vollkommen nutzloses Gesetzt das eine schier endlose Bürokratie-Orgie lostritt.

    Was viele übersehen:

    Die vorgeblich "adressierten" Großunternehmen bauen nur einen neue Bürokratie auf und zwingen dann allen Geschäftspartner oft kleinen Unternehmen neuen Aktenquatsch auf.

    Wir brauchen kein dezedierten komplexes Gesetzt und "Bürokratie-Monster" um den Ausbeutungs-Wahnsinn in der Dritten Welt ein-zu-dämmen.

    Ein einfaches Leiturteil oder ein zwei sehr einfache Gesetzes Ergänzungen würden reichen.

    Z.B. in der Art:

    "Wer einen Zulieferer / Geschäftpartner / etc. wissentlich oder fahrlässig Vertragsbedinungen aufgibt welche die Einhaltung von sozialen oder die Arbeitssicherheits betreffenden Mindest-Standarts verunmöglicht oder signifinkat erschwert.



    Der ist in gleicher Weise für diese Verstößre verantwortlich wie bei Verstößen in seinem unmittelba eigenem Verantwortungsbereich."

    In der Art als Ergänzung "BGB § 823 Schadenersatz" und StGB 229 "Fahrlässige Körperverletzung".

    Das wäre klar, einfach, unbürokratisch und würde mehr an den realen Verhältnissen ändern.

  • "Fast alle Menschen finden es richtig, dass der Euro rollt. Gleichzeitig möchten sie in den Spiegel schauen können."

    Das ist leider nicht so. Sonst gäbe es keine Märkte, die Kleidung für fast nichts verschachern und auch keine Fast Fashion.

  • Wenn sich das Lieferkettengesetz auf Umwelt- und Naturschutzstandards konzentrieren würde, wäre es eine sinnvolle und erhaltenswerte Errungenschaft. Das Gegenteil ist leider der Fall. Löhne und Arbeitsbedigungen in Drittkändern können aber nicht die Sorge von EU-Firmen und -Kunden sein. Der (bürokratische) Aufwand steht einfach in keinem Verhältnis zum vermeintlichen Ertrag. Deswegen muss es weg.

  • Ich hoffe, dass dann entsprechende Arbeitskämpfe der weltweiten Arbeiter:innen die Folge sind.



    Natürlich schafft ein Lieferkettengesetz auch ein gewisses Maß an Transparenz über die Lieferketten. Aber dass es menschenunwürdige Verhältnisse menschenwürdig macht, das bezweifle ich.

  • "Dieser Konsens wird verletzt, wenn Kleidung und andere Konsumgüter aus Fabriken stammen, die ihre Beschäftigten wie Dreck behandeln. Über diesen Zusammenhang ist sich unser neuer Bundeskanzler offenbar nicht im Klaren."

    Dass das Ziel richtig, die Mittel aber verfehlt sein könnten, das kommt dem Autor wohl nicht in den Sinn? Die EU kann durch ihre Verhandlungsmacht verhindern, dass unsichere Lebensmittel importiert werden, z.B. das gute chlorierte Huhn oder Hormonrindfleisch. Auf diesem Weg ist es sicher möglich, die Einfuhr aus Ländern mit unzulänglichen Arbeitsstandards zu erschweren. So wird die Arbeit auf Betriebe abgewälzt, die gar nicht die Ressourcen haben, den Dokumentationspflichten nachzukommen. Denn die Annahme, dass nur große Konzerne betroffen wären, ist falsch. Die laden die Pflichten bei ihren Zulieferern (oft KMUs) ab.

    • @troglodyt:

      Es geht aber nicht um chloriertes Huhn oder Hormonrindfleisch. Dafür sind Handelsabkommen zuständig., Es geht um die Menschenrechte. Kinderarbeit, Sklavenarbeit, zu niedrige Löhne, fehlender Arbeitsschutz u.s.w.

  • Alles für die neoliberale "Wirtschaft", die sowohl unsere Lebensgrundlagen zerstören, wie auch die der Menschen in den Schwellen-Ländern, damit wir T-shirts für 3,- Euro/Stück kaufen, welche nach 3 Wäschen weggeworfen werden.



    Wieso machen wir es nicht ebenso, wie die Trump-Administration und erlassen alle Umwelt-Standards im Inland? Wozu in hiesigen Flüssen baden können und hiesige Luft ohne Asthma-Anfälle atmen wollen? Alles "linksgrünversiffter" überflüssiger worker Dreck.

  • Endlich! Warum hat es eine gefühlte Ewigkeit gedauert die Union mit diesen simplen Fakten zu konfrontieren? Im Wahlkampf wurde nur über das Bürokratiemonster berichtet und die gute Ursprungsidee sogar der Ampel vorgehalten. Bitte weiter Herrn Merz bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit dem Anstand von Herrn Müller konfrontieren.

  • "Wirtschaftliche Freiheit, Wohlstand und Anständigkeit gehören zusammen. " Nicht in diesem Wirtschaftssystem, da schließen sie sich aus.

  • Anstand ist doch genau das, was den c.h.r.i.s.t.l.i.c.h.e.n. fehlt, in jeder denkbaren Hinsicht. Daher bleiben sie ihrer Linie damit nur treu.