Merz, Trump, Erdoğan und Depressionen: Ein dreckiges Dutzend
Merz schmäht den Begriff GroKo, Seehofer kehrt zurück, ein Journalist wird aus Versehen in Kriegspläne der US-Regierung eingeweiht. Wird's schlimmer?

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Jetzt wollen auch die Grünen einen verpflichtenden „Freiheitsdienst“.
taz: Und was wird besser in dieser?
Küppersbusch: Danach kann man ja wieder eintreten.
taz: Friedrich Merz möchte nicht, dass man die Koalition aus Union und SPD GroKo nennt. Wird ihm das ohne Grundgesetzänderung gelingen?
Küppersbusch: „Das dreckige Dutzend“ oder „die zwölf Geschworenen“ ginge auch, denn von dieser brutal knappen Mehrheit hängt die Koalition nach Mandaten ab. Die ehedem bedenklich strotzende GroKo – unter Kiesinger waren das über 90% der Mandate – ist schlicht „alternativlos“ oder die „Koalition der staatspolitischen Verantwortung“. Genau da liegt der Schlüssel zum Gelingen: Bleibt die Grokette ein grauer Hausmeier, der nur regiert, weil sonst gerade keiner kann, riecht sie unterm Arm nach Angst vor AfD. Gelingt dem Kabinett Merz ein Zukunftsentwurf, auf den man sich einlassen mag, herrscht Freude. Namenlose.
taz: Horst Seehofer hat sich zurückgemeldet. Können Sie für unsere jüngeren Leser:innen erklären, um wen es sich bei dem Mann handelt?
Küppersbusch: Horst Seehofer ist das, was übrigbleibt, wenn Markus Söder mit dem Mobbing fertig ist. Kein falsches Mitleid: Als Innenminister im Bund verhinderte er die Studie über Rechtsextremismus bei der Polizei, als Bauminister log er Bauanträge zu fertigen Wohnungen um, und als Heimatminister nannte er die Migrationsfrage „die Mutter aller politischen Probleme in unserem Land“. An dem Satz war alles falsch und alles drin – also Chauvisprache, Minderheitendiss und irgendwas gegen Merkel. Er war der vorerst letzte CSU-MP, der keinen Koalitionspartner brauchte, zugleich ein paritätisches Kabinett berief und Windkraftausbau blockierte. Kurz: die klassische CSU – rechts kommt nur noch die Wand, links fressen wir die SPD auf – blühte und kollabierte unter Seehofer. Söder prügelte ihn ins Austragsstüberl, um alles noch schlechter zu machen; man hört den Altbauern giftig feixen ab und an.
taz: Durch Depressionen kommt es bundesweit zu immer mehr Fehltagen. Kann man der kriselnden deutschen Volkswirtschaft zumuten, das als kollektives Leiden an der Leistungsgesellschaft anzuerkennen?
Küppersbusch: Depressionen wurden früher gern mit einer zünftigen Dosis „Stell dich nicht so an“ behandelt. Das verdoppelt Trauer und Kraftlosigkeit um prima Schuldgefühle. Heute sind es Mitarbeitende in Pflegeberufen und Kitas, die es überdurchschnittlich böse erwischt. Die qua Ausbildung und Arbeit mehr wissen über den Menschen im Lohnempfänger – und sattsam beklagte Arbeitsbedingungen haben. Bleibt also die Grauzone der weniger dunkelmütig Gemeldeten. Sei es, dass Supermarktkasse und Fließband weniger schlimm sind als Kita und Heim. Das wäre ein Skandal. Oder genauso schlimm, nur darf man nix sagen. Das wäre noch einer.
taz: Der Atlantic-Chefredakteur Jeffrey Goldberg wurde versehentlich zu einem Signal-Chat der US-Regierungsspitze hinzugefügt, in welchem Militärpläne für Jemen ausgetauscht wurden. Welchen Grad von dystopischer Inhumanität haben wir erreicht, wenn auf Kriegspläne mit Flammenemojis reagiert wird?
Küppersbusch: Guter Punkt. Im erregten Geheimhaltungs-Gau rutscht, mal wieder, der bestürzende Kern außer Sicht: Jungs, die auch nach Jahrzehnten der Pubertät keine Ausfahrt Richtung Persönlichkeitsreife gefunden haben, töten feixend remote am anderen Ende der Welt. Man weiß, wie sie beim Weltengericht winseln werden, doch das ist kein Trost.
taz: Im Gazastreifen demonstrieren Palästinenser:innen gegen die Hamas. Wandelt sich damit das Bild vom ewigen palästinensischen Opfer hin zum Protagonisten gegen die Unterdrückung durch die eigenen Leute?
Küppersbusch: Gut die Hälfte der „ewigen palästinensischen Opfer“ im Gaza-Krieg waren noch nicht geboren, als die Hamas zuletzt 2006 an die Regierung gewählt wurde. Die kann man nicht beschuldigen für eine Monstrosität, in die sie hineingeboren wurden. Tot sind sie trotzdem. Dass Überlebende sich nicht aus Trotz mit dem Regime solidarisieren, sondern dagegen aufstehen, nötigt Respekt ab.
taz: Erdoğans wichtigster politischer Gegner, Ekrem İmamoğlu, konnte trotz Inhaftierung als Präsidentschaftskandidat aufgestellt werden. Wie viel symbolische Macht hat er aus der U-Haft heraus?
Küppersbusch: Viele in der Türkei hoffen auf uns: Trotz Flüchtlingsabkommen, Nato-Partnerschaft und Erdogans Draht zu Putin sollten wir klare Kante zeigen. Viele in Europa hoffen auf den Mut der türkischen Zivilgesellschaft, trotz Polizeigewalt und Medienzensur. Yenişememe, Patt.
taz: Und was macht der RWE?
Küppersbusch: Wie soll ich das wohl finden, dass der SC-Verl Spieler Berkan Taz RWE abgeschossen hat? Fragen: Julia Schöpfer, waam
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