Merkel beim CSU-Parteitag: „Marmor, Stein und Eisen bricht“
Beim CSU-Parteitag freut man sich auf die Rede der Kanzlerin. Vorbei sind die Zeiten, als Angela Merkel fluchtartig den Saal verlassen musste.
Zu gut hat man noch den Parteitag vom 20. November 2015 in Erinnerung. Eine rund zwanzigminütige Strafpredigt von Horst Seehofer hat sich Merkel damals nach ihrer Rede anhören müssen, bevor sie fluchtartig den Saal verließ. „Wie ein Schulmädchen“ war der damals wohl häufigste Vergleich, der bemüht wurde, um Merkels Behandlung durch den Parteivorsitzenden zu beschreiben. Die Folge: Im Jahr darauf verzichteten Seehofer und Merkel ganz auf ihre gegenseitigen Parteitagsbesuche. Und auch Merkels Besuche bei den Klausurtagungen der CSU in diesem Jahr fielen eher kühl aus.
Ganz anders an diesem Freitag. Artig kommt auch Seehofer ins Foyer, scherzt noch ein bisschen mit einer Handvoll Demonstranten der Mittelstandsunion, die Schilder wie „Keine Koalition um jeden Preis“ und „Soli weg! Jetzt!“ vorbereitet haben, um sie der Kanzlerin entgegenzurecken. Dann flüstert Seehofers Sprecher: „Sie ist da“, Seehofer eilt zur Tür und begrüßt Merkel herzlich. Man spricht über das Wetter. „Am Flughafen war’s noch besser“, sagt Merkel, auf deren grünem Blazer eine Schneeflocke glitzert. Ansonsten ist Frostigkeit hier kein Thema.
Zu bombastischen Diskoklängen zieht Angela Merkel schließlich in den Saal ein, dicht gefolgt von Scheuer und Seehofer. Schnell noch ein Selfie mit einer Delegierten, dann steht sie auf der Bühne. „Ob Sie’s glauben oder nicht, ich freu mich richtig, heute wieder bei Ihnen auf einem CSU-Parteitag zu sein.“ Und Seehofer wird ihr nach ihrer Rede antworten: „Auch wenn du es mir nicht glaubst, ich freue mich, dass du da bist beim CSU-Parteitag.“
Harmonie, Geschlossenheit, Einigkeit
Merkel erwähnt die letzten zwei Jahre, die „für uns alle nicht einfach“ gewesen seien, folgert aber umgehend: „Stark sind CDU und CSU immer dann, wenn sie einig sind.“ Und damit hat sie auch schon den Nerv dieser Veranstaltung getroffen, denn nur um eines geht es hier in Nürnberg: Harmonie, Geschlossenheit, Einigkeit. Geschlossenheit innerhalb der CSU, aber auch zwischen den beiden Schwesterparteien. Kurz zuvor hatte man schon dem Ehrengast Volker Kauder eine CSU-Mitgliedschaft antragen wollen.
So ist es denn eigentlich auch zweitrangig, was Merkel noch zu sagen hat. Über die Landtagswahl, die Bayern im nächsten Jahr erwartet, und bei der die CSU natürlich ein „tolles Ergebnis“ einfahren solle. Über die gute Zusammenarbeit, die sie dem designierten Spitzenkandidaten Markus Söder anbietet, und über den Respekt vor dem Beschluss der SPD nach langem Ringen, Sondierungsgespräche aufzunehmen, und der „Riesenverantwortung, eine stabile Regierung zu bilden“.
Und dann folgt über eine knappe halbe Stunde eine Parforceritt durch alle Politikfelder, die das Land bewegen. Wohlstand, Beschäftigung, Sicherheit, Stabilität, Zusammenhalt der Gesellschaft, Digitalisierung, ausgeglichener Haushalt, Bedeutung der Familie und, und, und … Auch über die Situation im ländlichen Raum, die „Pflege der Pflegenden“. Es scheint, als hätte Merkel noch einmal eine ihrer Reden aus dem Wahlkampf aus der Schublade gezogen. Da alles Forderungen sind, über die sich die Parteien für ihr gemeinsames Regierungsprogramm ohnehin geeinigt hatten, besteht keine Gefahr, die Schwester vor den Kopf zu stoßen.
Die CDU-Chefin redet schnell, die Delegierten bekommen kaum eine Möglichkeit zu applaudieren, als sich der Beifall in einer Sprechpause dann doch entlädt, ist Merkel fast erstaunt. Ob es da ein „Twittersignal“ gegeben habe, dass jetzt alle klatschen solle, fragt sie. Am Ende scherzt sie noch schnell über ihr spezielles Verhältnis zu Horst Seehofer: „Marmor, Stein und Eisen bricht“ Und das war es. Dreiminütiger Applaus, stehende Ovationen, man hat sich wieder lieb.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945