Zeitgemäßer Fußball funktioniert nur auf der Grundlage strukturierten Verteidigens, und das haben die Deutschen bei dieser WM nicht hingekriegt. Das Problem war weder Saturiertheit noch Alter und auch nicht Erdoğan-Fotos; es war die fehlende Struktur.
Die Abstände zwischen den Ketten waren zu groß für das Tempo, in dem die Sechser sich rückwärts bewegen können. Um Gary Linekers berüchtigten Aphorismus abzuwandeln: Fußball ist ein Spiel, bei dem mittlerweile alle verteidigen können – nur die Deutschen nicht mehr. Und fast alle umschalten können – nur die Deutschen nicht mehr.
Damit ist man auch schon bei Jogi Löw, 58, dem erfolgreichsten Bundestrainer, den der deutsche Verbandsfußball je hatte. Sechsmal in Folge kam er mindestens ins Halbfinale von EM und WM, weil er den komplett rückständigen deutschen Fußball immer weiter modernisierte, eine jeweils passende Struktur fand und Glück hatte, denn auch im Zeitalter der Fußball-Algorithmen ist der Zufall ein riesiger Faktor. Diesmal fehlte die defensive Grundlage, auf der man hätte dominieren können.
Man ist ja keine „Turniermannschaft“, weil man „deutsch“ ist, sondern weil man eine stabile strukturelle Grundlage hat oder findet, die einen – wie etwa 2014 geschehen – trotz des üblichen Anfangsgestotters auf der Straße bleiben lässt. Es war erstaunlich, wie Löw gegen Südkorea mit jeder Auswechslung die Unordnung auch noch erhöhte, als steige die Wahrscheinlichkeit eines Tores mit der Zahl der Stürmer.
Burnout der topbelasteten Spieler
Wenn nun die angeblich „Alten“ als Problem und das junge siegreiche Confed-Cup-Team des letzten Jahres als naheliegende Lösung beschworen wird, die jeder Trottel gesehen hätte, nur Löw nicht, so scheint mir das reichlich unterkomplex. Richtig scheint aber zu sein, dass der zunehmende Burnout der topbelasteten Spieler mittlerweile nicht nur Testspiele beeinträchtigt, sondern auch die Vorrunde einer WM.
WM 2018: Und raus bist du!
Kroatien ist bei dieser WM genau genommen nicht ausgeschieden. Das Finale haben sie trotzdem mit 2:4 gegen Frankreich verloren. Und Mandzukic (Foto) geht als erster Eigentorschütze in die WM-Geschichte ein.
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Belgien verliert das Halbfinale mit 1:0 gegen Frankreich. Im Spiel um den dritten Platz können die Belgier jedoch punkten: sie gewinnen 1:0 und erklimmen damit das WM-Treppchen. Ein historischer Erfolg.
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Ein zerplatzer Traum: Die letzte WM-Finalteilnahme der Engländer war im Jahr 1966 im eigenen Land. Auch dieses Mal hat's nicht gereicht; die Mannschaft verliert im Halbfinale 2:1 gegen Kroatien. Auch im Spiel um den dritten Platz müssen sie sich geschlagen geben: Belgien gewinnt 1:0.
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Igor Akinfeew, im Achtelfinale gegen Spanien noch Elfmeterkiller, muss diesmal zu oft hinter sich schauen. Dennoch: Das in der Fifa-Rangliste schwächste Team hat sich hervorragend geschlagen, Zeiter in der Gruppe A, Spanien rausgeworfen, gegen Kroatien im Viertelfinale gut mitgehalten. Tolles Heimturnier.
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Weit gekommen, gut verteidigt, Deutschland und die Schweiz rausgeschmissen: Schweden scheitert erst im Viertelfinale mit 0:2 gegen England.
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Brasilien war stark. Aber Belgien war stärker. Das Aus für Neymar und Co kam im Viertelfinale nach einem 1:2.
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Uruguays Torwart Muslera patzt: Frankreich gewinnt das erste Viertelfinale mit 2:0, die Urus (ohne den verletzten Cavani) sind raus. Dennoch: Starker WM-Auftritt von Uruguay. Souverän in Gruppe A gewonnen und ein gutes Achtelfinale gegen Portugal abgeliefert.
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Achtelfinale. England gewinnt gegen Kolumbien. England gewinnt gegen Kolumbien im Elfmeterschießen. Kein Witz. Kolumbien fährt heim.
Die Schweizer können ihrer Favoritenrolle nicht gerecht werden. Emil Forsberg erzielt für Schweden in der 65. Minute den einzigen Treffer des müden Achtelfinales. Michael Lang (Schweiz, Foto) schleicht vom Platz.
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Japan schockt im Achtelfinale die favorisierten Belgier mit einem Doppelschlag nach der Pause: erst Haraguchi, dann Inui (Foto). Doch Belgien kommt zurück und schafft mit einem Tor in der Nachspielzeit den Lucky Punch. Japan muss heimfahren.
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Torhüter Guillermo Ochoa kann dem Ball nur noch entgeistert hinterhergucken - das 2:0 durch den Brasilianer Willian besiegelt das Ausscheiden von Mexiko, das einigen bis dahin als Geheimfavorit gegolten hatte.
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Kroatien setzt zum Jubel an, Dänemark versteift. Erst im Elfmeterschießen konnten sich die Kroaten durchsetzen und treffen im Viertelfinale auf Russland. Dänemark scheidet als starke Defensivmannschaft im Achtelfinale aus.
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Russlands Torwart Akinfeew hält im Elfmeterschießen zwei Elfer, einen von Koke (im Bild). Die sehr defensiv spielenden Russen kommen ins Viertelfinale. Für Spanien, den Weltmeister von 2012, ist im Achtelfinale Schluss.
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Ein schönes, faires, sportliches Bild: Cristiano Ronaldo (Portugal, r.) führt den verletzten Edinson Cavani (Uruguay), der zuvor zweimal getroffen hatte, vom Feld. Wenn es ums Ergebnis geht, ist das Bild spiegelverkehrt. Uruguay ist mit weiter, Portugal scheidet im Achtelfinale nach einer 1:2-Niederlage aus.
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Argentiniens Torwart Franco Armani fliegt umsonst: Benjamin Pavard trifft zum 2:2. Frankreich gewinnt das erste Achtelfinale der WM mit 4:3 und zieht ins Viertelfinale ein. Argentinien ist raus!
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Vorrundenaus: Senegal, 4 Punkte, 4:4 Tore, Gruppe H: einmal gewonnen, ein Unentschieden, einmal verloren. Punkt und torgleich mit Japan. Raus wegen Fairplay: Japan hatte am Ende zwei gelbe Karten weniger. Ganz bitterer Abschied für Senegal.
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Polen, 3 Punkte, 2:5 Tore, Gruppe H: Seit 12 Jahren hat Polen mal wieder an einer WM teilgenommen, die Erwartungen der Fans waren hoch. Aber Robert Lewandowski und seine Mitspieler lieferten nicht.
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Panama, 0 Punkte, 2:11 Tore, Gruppe G: Panama hatte bei seiner ersten WM nicht das größte Glück, mit Belgien und England als Gruppengegner. Aber: Die Mittelamerikaner haben ihr erstes WM-Tor geschossen – gegen England! Gegen Tunesien hätte es fast noch zu einem Punkt gereicht. Fast.
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Tunesien, 3 Punkte, 5:8 Tore, Gruppe G: Tunesien war neben Marokko das einzige Außenseiterteam, das versuchte, offensiv zu spielen. Auffällig war, dass die Tunesier am Anfang (Minuten 0 bis 10) und am Ende des Spiels (85. Minute bis Ende der Nachspielzeit) schwach waren. Nach einem knappen Sieg gegen Panama schieden sie aus.
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Deutschland, 3 Punkte, 2:4 Tore, Gruppe F: Schland unter, das war's. Der amtierende Weltmeister und Gruppenfavorit verliert gegen Mexiko und Südkorea und scheidet damit in der Vorrunde aus. Verdient.
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Südkorea, 3 Punkte, 3:3 Tore, Gruppe F: So sehen glückliche Verlierer aus. Trotz WM-Aus kann sich Südkorea über ein verdientes 2:0 gegen Deutschland freuen. Die Südkoreaner scheiden als Gruppendritter vor Deutschland aus dem Turnier aus.
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Costa Rica, 1 Punkt, 2:5 Tore, Gruppe E: Im letzten Spiel sicherte man sich knapp noch einen Punkt. Geholfen hat es nicht: Das Team muss nach der Vorrunde nach Hause fahren.
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Serbien, 3 Punkte, 2:4 Tore, Gruppe E: Zuletzt traf Serbien 2014 in einem Freundschaftsspiel auf Brasilien – und gewann mit 1:0. Vier Jahre später verlieren die Serben 0:2. Damit sind sie raus aus dem Turnier.
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Island, 1 Punkt, 2:5 Tore, Gruppe D: Island ist das Team, dass irgendwie jeder mag. Die Isländer spielen körperbetont, aber nicht unfair und sie agieren als Team. Bei ihrer ersten WM-Teilnahme konnten sie zwar nicht in die K.o.-Phase vordringen, aber sie haben mit drei guten Partien gegen starke Teams eine gute Premiere hingelegt.
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Nigeria, 3 Punkte, 3:4 Tore, Gruppe D: Ach ja, Nigeria. Es ist in den letzten vier Weltmeisterschaften immer dasselbe: Man ist mit den Argentiniern in der Gruppe, um knapp an ihnen zu scheitern.
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Australien, 1 Punkt, 2:5 Tore, Gruppe C: Australien hat in dieser WM mal wieder überrascht. Aufgrund ihres Kaders, der größtenteils mit Spielern aus zweitklassigen Ligen besetzt ist, wurden die Australier mehr oder weniger abgeschrieben. In einer schweren Gruppe konnten sie aber mit jedem Gegner mithalten – fast.
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Peru, 3 Punkte, 2:2 Tore, Gruppe C: Peru hat die leidenschaftlichsten Fans der WM – eine riesige WM-Euphorie. Im letzten Spiel zeigten die Peruaner dann, wie stark sie wirklich sind und besiegten Australien mit 2:0.
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Marokko, 1 Punkt, 2:4 Tore, Gruppe B: Marokko ist der Pechvogel der WM. Gegen Iran verlor man wegen eines Eigentores in der 95. Minute. Marokko hat außerdem, im Gegensatz zu vielen Underdogs, das ganze Turnier über versucht, offensiv zu spielen. Gegen Portugal und Spanien war das Team durchaus ebenbürtig.
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Iran, 4 Punkte, 2:2 Tore, Gruppe B: Der Iran hat bei der WM positiv überrascht. Besonders beeindrucked war, dass die Iraner sich von Spiel zu Spiel verbessert haben. Sie brachten sowohl Spanien als auch Portugal ins Schwitzen.
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Ägypten, 0 Punkte, 2:6 Tore, Gruppe A: Auch Ägypten stellte einen Rekord auf. Im Tor vertraute das Team auf den ältesten Spieler der WM-Geschichte, den 45-jährigen Torwart El-Hadary. Ansonsten bot Ägypten ohne Mohamad Salah im 1. Spiel gegen Uruguay offensiv nichts, Salahs zwei Tore in den anderen Spielen halfen auch nicht mehr.
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Saudi-Arabien, 3 Punkte, 2:7 Tore, Gruppe A: Saudi-Arabien hat einen speziellen Rekord aufgestellt. Mit 5:0 erlitten die Saudis eine der härtesten Eröffnungspleiten der WM-Geschichte. Trotzdem sind sie nicht so schlecht aufgetreten wie erwartet.
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Die Spieler sind aber nicht selbstherrlich, die sind einfach müde, Thomas Müller ist dies seit Jahren. Das Einsparen von Energie in vermeintlich kleinen Spielen ist keine Charakterfrage, sondern Überlebensmodus. Das vollzieht sich im Unterbewusstsein oder im Körper und wird bei Spitzenclubs ja das ganze Jahr über praktiziert.
Was nun die Verbindung mit der Gesamtsituation in Deutschland angeht, so besteht die Gemeinsamkeit darin, dass die gefühlte Stimmung viel mieser ist als die reale Lage. Dieses „größte Blamage aller Zeiten“-Geschwätz von Leuten wie Lothar Matthäus ist faktisch falsch. Die größte Fußballblamage aller Zeiten ist und bleibt Matthäus selbst.
Seit Mitte der nuller Jahre in Verantwortung
Sowohl Merkel als auch Löw sind seit Mitte der nuller Jahre in Verantwortung, aber das ist nur eine chronologische Koinzidenz. Löw hat als Helfer und Nachfolger des Reformers Jürgen Klinsmann den radikalen Wandel gebracht, den die Merkel-Jahre versäumt haben. Radikal bedeutet nicht, Steine zu schmeißen. Sondern Arbeitsprozesse radikal zu verändern, um in Gegenwart und Zukunft erfolgreich zu sein. Das ging deshalb, weil Löw eben nicht die Befindlichkeiten der Gesellschaft und ihre permanente Zustimmung brauchte. Sonst würden heute noch Oliver Kahn und Michael Ballack spielen.
Löw hatte also faktischen Erfolg, weil er nicht wie Merkel verzögerte. Und Merkel hatte Zustimmung, weil sie dem Willen der Gesellschaft folgend nicht modernisierte. Seit 2016 ist Löw zu altmerkelesk geworden und hat damit nichts bewahrt, sondern alles verloren. Und Merkel sah plötzlich die Notwendigkeit der politischen Veränderung ein, aber Jamaika ging nicht.
Wenn das DFB-Team-Aus eine Lehrgeschichte abgeben soll, so diese: Es gibt auch beim Fußball keine einfachen Antworten. Man muss die Komplexität der Realität annehmen, sich damit identifizieren, dass alles schwierig ist. Man muss dem Ball strukturiert hinterherrennen und das geil finden. Und dann ist es großartig, wenn es am Ende passt.
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