Menschenverachtung in Belarus: Erzwungene Geständnisse
Die Erniedrigung von Inhaftierten geht weiter. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 110.
B eamten des Innenministeriums zwingen Inhaftierte dazu, vor laufender Kamera Erklärungen zu ihren Taten abzugeben. Anschließend werden diese Videos ins Netz gestellt und im Fernsehen gezeigt. An die Richtigkeit dieser „Aussagen“ glaubt allerdings niemand. Belarussen agieren in Bezug darauf vielmehr wie Internet-Trolle: Sie machen sich ganz offen über diese Selbstbezichtigungen lustig. Und aus den Videos werden virale Protest-Memes im Web.
Am 27. Oktober wurde ein Video mit dem verhafteten Mitarbeiter der Firma Integral, Sergei Mironowy, veröffentlicht. Besondere Beachtung fand in den sozialen Netzwerken, dass der junge Mann im Film nicht deprimiert aussah, sondern munter und sogar fröhlich erzählte, dass streiken ein „mühsames Geschäft“ sei. Auf die Frage, welche Lektion er für sich selbst gelernt habe, antwortete er im Video: „Ich denke, man sollte mit dem Rauchen aufhören, womit ich mich in den kommenden 15 Tagen (das ist die Länge seiner Haftstrafe, Anm. d. Redaktion) befassen werde. Morgens sollte man eine halbe Stunden laufen, und zwar nicht nur so vor sich hin joggen, sondern voll Gas geben dabei.“
Das Video mit ihm wurde berühmt, es wurde in den sozialen Netzwerken geteilt und es wurde sogar ein Sticker-Pack für Telegram damit gemacht.
Der 65-jährige Ingenieur Anatoli Schelkowitsch wurde am 11. November festgenommen, sein „Buße-Video“ mit Originalgeständnis hat einen neuen online-Flashmob ausgelöst. Anatoli sagt in dem Video, dass seine Frau rothaarig sei und dass er gerne Tomaten mit Sauerrahm esse. Das ist eine Kombination aus weiß und rot (die Farben der belarussischen Opposition; Anm. der Redaktion).
ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.
Am gleichen Abend explodierten die sozialen Medien vor lauter geposteten Bildern: „Heute Abend gab es bei mir Tomatensalat mit Sauerrahm“. An den Gemüseregalen der Geschäfte lächelten sich verständige Menschen gegenseitig zu, wenn sie an diesem Tag ausgerechnet Tomaten kauften.
Menschenrechtler haben herausgefunden, dass Schelkowitsch zu 15 Tagen Haft verurteilt wurde. Nach welchem Artikel er verurteilt wurde, ist bislang nicht bekannt. Aus dem belarussischen Innenministerium verlautet, dass „der Ingenieur des hauptstädtischen Unternehmens im Keller seines Hause die Herstellung von Protestsymbolik organisiert“ habe. Die dort hergestellten Flaggen habe der Mann „in die Bäume geworfen“.
Ähnliche Videos wurden auch als Werbung auf YouTube gepostet, was bedeutet, dass die Belarussen faktisch gezwungen sind sie anzusehen, völlig unabhängig davon, ob sie auf der Suche nach Musik oder Videos waren.
Wie hat Google darauf reagiert? Das Unternehmen hat die Konten und YouTube-Kanäle des Untersuchungskomitees der Republik Belarus gesperrt, und die fast aller anderen Firmen und Einrichtungen, die auf der gemeinsamen Sanktionsliste der USA und Großbritannien stehen. Aber auch das stoppt nicht das derzeitige, menschenverachtende Tun der belarussischen Miliz.
Am Morgen des 10. November gab es bei Sergei Beljaew aus der Stadt Bobruisk eine Hausdurchsuchung. Nach Aussagen seiner Angehörigen wurde dabei nach Beweisen gesucht, die den Vorwurf der Beleidigungen eines Mitarbeiters des Innenministeriums bestätigen.
Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.
Sergei leidet an Parkinson, er lebt mit einem implantierten Neurostimulator. Auf der Wache schlug einer der Milizionäre Sergei völlig grundlos auf den Kopf. Selbst abrupte Bewegungen sind bei einer solchen Krankheitsdiagnose, wie Sergei sie hat, schon kontraindiziert. Wenn der Stimulator aus dem Takt gerät, ist das eine Bedrohung für die Gesundheit und das Leben des Menschen.
Am 16. November wurde Sergei zu einer Administrativstrafe von 10 Tagen verurteilt. Er war davon überzeugt gewesen, dass er statt der Haftstrafe eine Geldstrafe erhielte, und war deshalb nicht auf den Gefängnisaufenthalt vorbereitet. Angehörige bemerkten, dass er sich nur schlecht bewegen könne. Der Akku des Neurostimulator hat eine Ladekapazität von mehreren Tagen. Wenn er danach aber nicht wieder neu geladen wird, kann das für Sergei sehr schlimm enden.
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sergei einfach stirbt, wenn der Neurostimulator nicht neu geladen werden kann. Außerdem haben sie ihn geschlagen. Eine Zeit lang hat er nicht mal diejenigen Menschen erkannt, die er kennt“, sagten Beljaews Angehörige.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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