Menschenrechtsverein gibt auf: Nicht helfen und nicht helfen lassen
Der Verein Mare Liberum hat Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Nun gab er seine Auflösung bekannt. Repression verunmögliche die Arbeit.
Am Montag gaben sie auf: Mare Liberum, ein Berliner Verein zur Menschenrechtsbeobachtung in der Ägäis, gab seine Auflösung bekannt. Die Arbeit ist den jungen Aktivist:innen nicht ausgegangen: Griechenland ist eines der EU-Länder, die vor allem seit 2020 offen auf massenhafte Pushbacks von Flüchtenden setzen – illegal, mit Gewalt, bisweilen tödlich. Dass darüber heute so viel bekannt ist, ist auch das Verdienst von NGOs wie Mare Liberum, deren Freiwillige es sich 2018 zur Aufgabe gemacht hatten, diese Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren.
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Es waren, so schreiben sie nun, die „zunehmende Repression“ und die „Gesetzgebung der rechts-konservativen Regierung“, die ihre Arbeit unmöglich gemacht hätten. Um die Sicherheit der Aktiven nicht zu gefährden, sehe sich der Verein gezwungen, seine Arbeit einzustellen. Einschüchterungen, Auslaufverbote, eine „Festhalteverfügung“, das Schiff wurde gestürmt, durchsucht, Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet – lange habe man trotz solcher Angriffe weitergemacht. Jetzt nicht mehr: „In Griechenland ist nun jedoch eine neue Ebene erreicht und lässt uns keinen Handlungsspielraum mehr.“
Flucht und Migration sind heute immer öfter begleitet von Gewalt, Entrechtung und Tod. Und wer darauf aufmerksam macht, lebt gefährlich: Migrant Defenders, die die Verletzung von Menschenrechten dokumentieren und Notleidende unterstützen, geraten vielerorts ins Visier eines globalen Systems, das darauf abzielt, Mobilität von Menschen mit Gewalt zu kontrollieren – so wie die Aktivist:innen von Mare Liberum. Vom sogenannten „Shrinking Space“, dem schrumpfenden Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft, sind deshalb jene immer öfter betroffen, die die Entrechtung Migrierender anklagen oder die mit praktischer Solidarität das Vakuum füllen, das Staaten bei deren Versorgung lassen.
Von rechtlichen oder räumlichen Beschränkungen ihres Handelns über Diffamierungskampagnen bis hin zu Gefängnisstrafen und angedrohter Gewalt werden heute viele Facetten politischer Repression gegen jene angewandt, die sich an die Seite von Geflüchteten und Migrant:innen stellen. Sogar Selbstverständlichkeiten wie das Verteilen von Wasser oder Essen, Rechtsberatung oder die Rettung aus Seenot werden heute teils strafrechtlich verfolgt. Die Kriminalisierung der Migrant Defenders ist heute zu einem zentralen Baustein in einer auf Abwehr ausgerichteten Migrationspolitik geworden.
Migration und globale Ungleichheit
Dieses Vorgehen steht in engem Zusammenhang mit globalen Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen. Migration ist auch Ausdruck globaler Ungleichheit – Menschen versuchen, am Wohlstand teilzuhaben, der ihnen vorenthalten wird, und in Sicherheit zu leben. Und der Globale Norden versucht, ebendies zu verhindern – obwohl er immer stärker auf Zuwanderung angewiesen ist. Der wachsende Einfluss autoritärer und extrem rechter Akteure hat die teils militärische Abriegelung der Zielländer vor Migrant:innen und Flüchtlingen in den vergangenen Jahren noch verschärft.
Die Angriffe auf die Helfer:innen erschweren ihr Engagement, zermürben bisweilen psychisch und zerstören wirtschaftliche Existenzen. Sie bringen ganz neue Erfordernisse für den Schutz der eigenen Arbeit, der Kommunikation und der Mitarbeitenden mit sich. Sie absorbieren knappe Ressourcen für die Arbeit. Teils müssen NGOs schließen oder ihre Arbeit stark einschränken – worunter jene leiden, die auf ihre Hilfe angewiesen sind.
Zu beobachten ist all dies nicht nur in autokratischen Staaten, deren Regime ihre Macht mit Menschenrechtsbrüchen zu erhalten versuchen, sondern teils auch in Demokratien. Denn auch diese wollen keine Zeug:innen, wenn sie Flüchtlinge entrechten.
Die Repression gegen Flüchtlingshelfer:innen ist dabei bisher kaum systematisch erfasst. Anklagen, Verhaftungen, Ermittlungsverfahren oder der Entzug von Akkreditierungen werden nirgendwo zentral dokumentiert. In mühsamer Kleinarbeit versuchen einzelne NGOs, ein Bild dieser Vorgänge zu zeichnen. Mehr als ein Schlaglicht ist dies aber nicht. Hinzu kommt, dass in autoritären Staaten viele aus Angst vor Repressalien scheuen, Angriffe öffentlich zu machen. Die UN sprechen deshalb von „Secret Defenders“.
Die gute Nachricht ist trotz alldem, dass die Repression bislang wenig Erfolg hatte: Die Netzwerke antirassistischer Solidaritätsarbeit sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen, haben sich professionalisiert und verstetigt. Dort, wo einzelne Akteure aufgeben oder aufgeben müssen, entstehen meist schnell neue. Das beste Beispiel ist die Seenotrettung im Mittelmeer: Obwohl die NGOs dort seit Jahren mit Repressalien bis hin zu Anklagen und Beschlagnahmen der Schiffe zu kämpfen haben, umfasst die Flotte der Retter:innen heute mehr und modernere Schiffe denn je.
Hinweis: Der Autor hat den Jahresschwerpunkt zur Repression gegen „Migrant Defenders“ im neuen „Atlas der Zivilgesellschaft“ 2023 geschrieben, den Brot für die Welt am Mittwoch vorgestellt hat. Diesen kann man auf der Website der NGO runterladen.
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