Menschenrechtspreis „Schneelöwe“: Lobsang Monlam hat die Dalai-Lama-KI erfunden
Der tibetisch-buddhistische Gelehrte nutzt moderne Technik, um die kulturelle Vielfalt Tibets zu bewahren. Darunter ist das „Monlam Grand Dictionary“.
Lobsang Monlam ist ein bescheidener Mann mit kurzem Haar, in traditioneller dunkelroter Mönchsrobe. Als er vor über 30 Jahren aus Tibet nach Südindien floh, sah er im dortigen Kloster zum ersten Mal einen Computer. Das „seltsame Ding“ faszinierte ihn, und er fing an, Geld zu sparen. 2002 kaufte er sich seinen ersten Laptop. Der Verkäufer zeigte ihm, wie man ihn ein- und ausschaltet. Den Rest brachte sich Monlam selbst bei – durch Ausprobieren und mithilfe englischer Handbücher, die er kaum verstand. So begann seine Reise zum Digitalpionier.
Heute verbringt der tibetisch-buddhistische Gelehrte Geshe Lobsang Monlam mehr Zeit vor dem Bildschirm als mit Gebetsrollen. Seine Hingabe hat eine andere Form angenommen: Er nutzt moderne Technik, um die kulturelle und sprachliche Vielfalt Tibets zu bewahren. Wenn er nicht gerade sein Team anleitet oder sich weltweit mit Wissenschaftler:innen und IT-Expert:innen austauscht, zieht er sich zur Meditation zurück, um seine innere Praxis mit seiner digitalen Mission zu vereinbaren.
Doch gerade hat er wieder einen Grund zu reisen: Am Wochenende erhielt Monlam in Berlin zusammen mit Sophie Richardson, der ehemaligen Leiterin der China-Abteilung von Human Rights Watch, den mit 3.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis „Schneelöwe“ der International Campaign for Tibet. Überreicht wurde der Preis vom Schauspieler Richard Gere, zu den Gästen zählten Exil-Tibeter:innen sowie Vertreter:innen aus Politik, Medien und Menschenrechtsorganisationen.
Monlam verkörpere den tibetischen Geist, hieß es in der Laudatio: „widerstandsfähig, innovativ und von ewigem Mitgefühl“. Mit Projekten wie dem 223-bändigen „Großen Tibetischen Wörterbuch“ und der in Planung befindlichen Dalai-Lama-KI sorge er dafür, „dass die Stimme Tibets auch in Zukunft klar, kraftvoll und zeitlos erklingt“, betonte Tulku Tenzin Thoesang vom Tibethaus Deutschland.
Bekannt wurde der programmierende Mönch durch die Entwicklung von tibetischen Schriftarten (Fonts) für Computer. Später folgten Wörterbücher und Übersetzungstools. Seine kostenlose App „Monlam Grand Dictionary“, verfügbar in mehreren Sprachen, wurde über 18 Millionen Mal heruntergeladen. Die deutsche Version entstand mit dem Tibet-Institut im schweizerischen Rikon.
Monlam vergleicht seine Arbeit mit dem Buchdruck
Nun entwickelt Monlam ein sogenanntes Large Language Model (LLM) – die „Dalai Lama AI“, die die Weisheiten und Lehren des tibetischen Oberhaupts für kommende Generationen digital bewahren soll. Gerade jetzt, da der 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso über 90 Jahre alt ist, möchte Monlam seine Worte für die Nachwelt sichern. Die Frage seiner Nachfolge bleibt politisch heikel – vor allem für Peking.
Monlam vergleicht seine Arbeit enthusiastisch mit dem Buchdruck, der einst von Klöstern genutzt wurde, um Wissen zu verbreiten. Hinter dieser Idee steckt nicht nur Interesse an Technik, sondern auch der Versuch, eine ganze Kultur vor dem Verschwinden zu bewahren.
Zwar wurde die Geschichte Tibets und des Dalai Lama bereits in Büchern, Biografien und Museen aufgearbeitet. Doch keine Sammlung ist so umfassend, wie es eine lernfähige KI sein könnte. „Wenn wir es schaffen, den Dalai Lama zu erhalten, bewahren wir auch die Bewegung“, ist Monlam überzeugt. Daran arbeitet er in seinem Büro, dem 2012 gegründeten „Monlam Charitable Trust“. Heute ist er mit dieser Mission nicht mehr allein. Mehr als 500 Menschen, viele davon Tibeter:innen im Exil, sind dort beschäftigt. Sie bestreiten damit ihren Lebensunterhalt und gestalten die digitale Zukunft ihrer Kultur mit.
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