Menschenrechte in Pakistan: Lynchmord wegen Blasphemie
Ein Mann, dem Blasphemie vorgeworfen wurde, wird aus einer Polizeistation gezerrt und totgeprügelt. Ähnliche Fälle gibt es in Pakistan immer wieder.
Muhammad Waris überlebte ihn nicht. Die Angreifer zerrten den Betroffenen aus der Wache, entblößten ihn und prügelten den Mann zu Tode. Danach versuchten sie, den Leichnam anzuzünden. So lässt sich die Tat auf Videoaufnahmen, die in den sozialen Medien geteilt wurden, rekonstruieren.
Premierminister Shehbaz Sharif verurteilte den Mord und ordnete eine Untersuchung an. „Warum hat die Polizei den gewalttätigen Mob nicht gestoppt? Die Rechtsstaatlichkeit sollte gewährleistet sein“, äußerte sich Sharif. In dem mehrheitlich muslimischen Land gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Fällen, in denen Mobs Menschen töteten, die angeblich den Islam beleidigt hätten.
Bei dem Fall im Februar handelt es sich um den jüngsten religionsbedingten Mord in Pakistan. Medienberichten zufolge wurde das Opfer im Juni 2022 vom Vorwurf der Blasphemie von einem Gericht eigentlich freigesprochen.
Immer wieder werden Menschen gelyncht
Der Lynchmord an einem sri-lankischen Fabrikmanager, ebenfalls im Osten Pakistans, im Jahr 2021 hatte damals für große Empörung gesorgt. Auch hier wurde das Opfer der Blasphemie beschuldigt und getötet. Als harte Antwort der Regierungen wurden sechs Beteiligte zum Tode verurteilt, wohl um einen Präzedenzfall gegen Selbstjustiz zu schaffen. Allerdings scheint die Abschreckung nur bedingt zu wirken. Blasphemie wird in Pakistan mit einer Varianz von Strafen, von der Geld- bis zur Todesstrafe, belegt.
Und es trifft nicht nur Menschen: Erst Anfang Februar war die Online-Enzyklopädie Wikipedia für mehrere Tage – ebenfalls wegen Blasphemie-Vorwürfen – gesperrt worden. Das veranlasste die pakistanische Telekommunikationsbehörde PTA, wurde aber von Premierminister Sharif wieder aufgehoben. Menschenrechtler:innen beklagen ein Muster von zunehmender staatlicher Zensur von gedruckten und elektronischen Medien. Wegen ähnlicher Vorwürfe waren YouTube, Facebook und Wikipedia bereits in der Vergangenheit zeitweise in Pakistan gesperrt gewesen.
Seit 1927 sind Beleidigungen der Gründer oder Führer einer Religionsgemeinschaft eine Straftat. Auch im pakistanischen Strafgesetzbuch, in den Artikeln 295 bis 298, ist das verankert. Besonders scharf ist die Verurteilung im Zusammenhang mit Herabsetzungen des Propheten der Muslime, Mohammed. Zu Beginn des Jahres wurden die Blasphemie-Gesetze noch einmal verschärft. Wer nahe Verwandte des Propheten beleidigt, riskiert lebenslange Haft. Minister Riaz Hussain Pirzada regte nach der Tat an, das rückgängig zu machen.
Laut Menschenrechtsgruppen werden die Blasphemiegesetze auch zur Verfolgung von Minderheiten und persönlicher Rivalen gegenüber anderen Muslimen missbraucht. Der bekannteste Fall ist wohl der der Christin Asia Bibi, die vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen wurde, aber aus Sicherheitsgründen 2019 das Land verließ, nachdem sie von Extremisten bedroht wurde.
89 Bürger:innen außergerichtlich getötet
Im vergangenen Jahr gab die pakistanische Denkfabrik Centre for Research and Security Studies bekannt, dass seit der Unabhängigkeit Pakistans 89 Bürger:innen außergerichtlich in Zusammenhang mit Blasphemie-Vorwürfen getötet wurden. Die tatsächliche Zahl dürfte aber noch höher sein.
Der Minister für Menschenrechte, Riaz Hussain Pirzada, betonte in einem Brief an Sharif, dass der Staat die Pflicht habe, religiöse Minderheiten zu schützen. Dies sei sowohl ein islamisches Gebot als auch eine verfassungsmäßige Verpflichtung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten