Menschenrechte in Afghanistan: Morde, Folter und Gewalt
Die Uno klagt in ihrem ersten Bericht zu Afghanistan. Der Grund sind die massiven Menschenrechtsverletzungen seit der Machtübernahme der Taliban.

Das sind zwei von 237 solcher Morde im „Stil einer Exekution“, die die UNO in ihrem ersten Bericht zur Menschenrechtslage in Afghanistan aufführt, den sie seit der Machtübernahme der Taliban Mitte August vorigen Jahres veröffentlicht hat. 160 Opfer waren ehemalige Angehörige der Streitkräfte oder des Staatsapparats der Vorgängerregierung. Die übrigen 77 Morde trafen angebliche oder tatsächliche Mitglieder des afghanischen Ablegers des Islamischen Staates (ISKP) oder neuer bewaffneter Anti-Taliban-Gruppen.
Dazu kommen mehrere Hundert Fälle „willkürlicher Verhaftungen“ oder des Festhaltens ohne Kontakt zur Außenwelt, 185 Fälle von Folter und Misshandlung – darunter an Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen, 118 Fälle exzessiver Gewalt durch Taliban-Polizei und 217 Fälle „grausamer, inhumaner oder erniedrigender Bestrafung“, meist für Vergehen gegen Taliban-Moralvorstellungen.
Die UNO berichtet von einer Steinigung und Auspeitschungen bei „Ehebruch“. Ladeninhaber wurden geschlagen, wenn sie Gebetszeiten nicht einhielten, oder Frauen, wenn sie ohne männliche Begleitung einkauften.
Geheimdienst und „Moralpolizei“ als Hauptverantwortliche
Laut UNO handle es sich bei all dem um „Anschuldigungen“, die sie nach Quellenlage aber als „glaubwürdig“ betrachtet. Sie kann offenbar bisher nicht selbst proaktiv Fälle verfolgen. Deshalb dürfte es eine Dunkelziffer geben. Die UNO verweist auch auf ungeklärte Morde an Menschenrechtsaktivistinnen, lastet sie aber nicht explizit den Taliban an.
„Die Taliban tragen Verantwortung für eine breite Palette an Menschenrechtsverletzungen“, resümiert der Bericht. Dabei ragten das Generaldirektorat für Sicherheit (der Taliban-Geheimdienst) und das meist als „Moralpolizei“ bezeichnete „Ministerium für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters“ als aktivste Akteure heraus. Die „häufiger werdenden Anweisungen“ dieses Ministeriums schränkten „fundamentale Menschenrechte wie die Freiheit der Bewegung, der Meinung und der Privatsphäre“ ein, besonders von Frauen und Mädchen.
In dem Bericht fällt auf, wie willkürlich einzelne Taliban-Behörden vorgehen können. Die Taliban ließen den geltenden rechtlichen Rahmen „offenbar bewusst vage“, heißt es. Zudem machen institutionelle Änderungen wie die Auflösung der Menschenrechtskommission es für Afghan:innen „schwerer und gefährlicher“, sich über Übergriffe zu beschweren oder dagegen zu klagen. Die UNO ist nun die einzige Institution im Land, die solche Vorfälle dokumentiert.
Durchaus bereit, sich auf das Thema einzulassen
Abgesehen von einem „technischen“ Büro der EU unterhält kein westliches Land mehr eine Botschaft in Kabul. Die UNO verweist auch darauf, dass die Menschenrechtslage „von der landesweiten Wirtschafts-, Finanz- und humanitären Krise beispiellosen Ausmaßes verschärft wird“. Sie verweist allerdings nicht auf die US-inspirierten Sanktionen, die dazu beitragen und weltweit von zahlreichen humanitären Akteuren scharf kritisiert werden.
Generell, vermerkt der Bericht positiv, hätten die von der UNO sogenannten De-facto-Machthaber sich durchaus bereit gezeigt, sich auf das Thema Menschenrechte einzulassen. Hochrangige Offizielle hätten an „bewusstseinsbildenden“ Treffen dazu teilgenommen. Sie „versuchen offenbar, ihre Verpflichtungen bei der Behandlung von Häftlingen zu erfüllen“ und ein Dekret von Taliban-Chef Hebatullah Achundsada verbietet Zwangsheiraten und die Verheiratung von Minderjährigen sowie von Frauen oder Mädchen zur Lösung von Familienkonflikten.
Die UNO berichtet aber auch, dass örtliche Taliban-Machthaber sich darüber hinwegsetzen. Im April hätten sie ein 15-jähriges Mädchen verhaftet, das vor einer Zwangsheirat geflohen war und einen anderen Mann geheiratet hatte. Das Mädchen sitze weiter in Haft.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade