Meisterknüpfer über Teppiche und Flucht: „Teppiche beruhigen mich“
Ashgar Keshvari kam als politischer Geflüchteter aus dem Iran nach Deutschland. In seinem Laden in Hannover wäscht, pflegt und repariert er Teppiche.
taz: Herr Keshvari, was bedeuten Teppiche für Sie?
Ashgar Keshvari: Teppiche bedeuten für mich Kultur, Kunst und viel, viel Arbeit. Sie beruhigen mich. Wenn ich darüber streiche, mir die Wolle und die Knüpfung ansehe, das macht mich glücklich. Mein ganzes Leben habe ich mit Teppichen gearbeitet. Sie sind etwas Besonderes für mich. Knüpfung oder Teppicharbeit ist für mich mein Leben, das kann ich sagen.
Auf den ersten Blick kann ich hier in Ihrem Laden vielleicht dreißig, vierzig Teppiche entdecken.
Es gibt so eine große Vielfalt an Teppichen, das fasziniert mich. Ich hatte einen hier – ich war selbst nicht mehr sicher, woher der kommt. Dann habe ich Bilder an zwei, drei Kollegen geschickt und am Ende herausgefunden, dass dieser Teppich aus Teheran kommt, der Hauptstadt des Iran. Aber: Seit hundert Jahren werden dort keine Teppiche mehr geknüpft. Dieser ist also vielleicht über 150 Jahre alt. Das fasziniert mich. Und dann diese Kunst.
Sie meinen die Muster?
Viele Teppiche kann man eher als Kunst betrachten, weil so feine Arbeit in ihnen steckt. Ein schöner Teppich hat Charakter. Einen sehr intensiven Charakter. Eine feine Knüpfung. Die Farben sind alle 100 Prozent Naturfarbe und nach den Jahren, selbst nach 100 Jahren, ist keine Farbe verloren gegangen.
Wie kam es eigentlich zu Ihnen und den Teppichen?
Im Iran war das so: Wir hatten drei Monate Sommerferien wegen der Hitze. Wenn ein Kind drei Monate zu Hause ist, dann ist das zu anstrengend für die Eltern. Deswegen schickten sie uns zu Bekannten und sagten: Lernt mal was! Das Konzept Ausbildung gab es nicht wirklich. Einmal bin ich zu einem Teppichhändler auf dem Basar gegangen und habe dort angefangen zu arbeiten. Drei Monate im Sommer und danach auch an den freien Tagen. So bin ich in diese Branche gekommen.
Sie sind früh ins Geschäft eingestiegen.
Später haben wir jeden Monat Teppiche in die ganze Welt geschickt, nach Italien, ganz Europa, Amerika, Australien. Wir mussten die Teppiche reparieren, säubern, reinigen. Manchmal haben wir jeden Monat mehr als zweitausend Teppiche verschickt. Fast zwanzig Leute haben über acht, neun Stunden am Tag gearbeitet.
60, lebt seit 1995 in Deutschland. Der Meisterknüpfer und Sachverständige für Teppiche hat heute ein Ladengeschäft in der hannoverschen Südstadt. Dort restauriert, repariert und reinigt er Woll- und Seidenteppiche nach traditionellen Methoden, das heißt auch: „ohne Zusatz von Chemikalien“.
Warum haben Sie dort aufgehört?
Ende 1995 bin ich nach Deutschland gekommen. Zuerst war ich in Oldenburg. Ich musste schnell irgendwie arbeiten, konnte nicht einfach untätig bleiben. Ich habe mich dann beim Arbeitsamt gemeldet. Sie haben mir einen Job beim Steinmetz vorgeschlagen und dann war ich dort. Ich weiß nicht, wie das zustande gekommen ist. Fünf Jahre habe ich durchgehalten.
Das heißt, sie können nicht nur Wolle, sondern auch Stein bearbeiten?
Ja, das habe ich auch gelernt. Ich bin eher so der handwerkliche Typ. Danach habe ich aber gesagt: Nein, ich muss meine eigentliche Arbeit weitermachen.
Sie wollten dringend wieder zu Ihren Teppichen?
Ja, genau, wirklich. Ich habe in Oldenburg überall gesucht, aber das war keine große Stadt. Dann habe ich gesehen, dass es in Hannover viele Teppichhändler gibt und bin hierher gekommen. Ich habe zwei Jahre beim Teppichhaus Kibek als Verkäufer gearbeitet. Irgendwann habe ich gedacht: Okay, ich mache mich selbstständig. Angefangen habe ich ganz normal von ganz unten, mit Reparaturen. Jetzt arbeite ich auch als Sachverständiger. Ich bin jetzt hier in der Südstadt, wohne auch in der Ecke und habe deshalb diesen Laden gesehen und gesagt: Den miete ich.
Wollen Sie darüber reden, warum Sie den Iran verlassen mussten?
Aus politischen Gründen bin ich damals nach Deutschland gekommen. Seitdem bin ich noch nicht einmal wieder in den Iran zurückgereist. Für mich ist die Flucht vorbei. Ich bin von Persien hierher gewandert. Hier ist für mich nun meine zweite Heimat. Mein Sohn war sechs Jahre alt, als er hierher kam. Ich sage es mal so: Er hat wenige Erinnerungen an den Iran. Deutschland ist seine Heimat. Gestern haben wir das Fußball-Länderspiel geguckt. Er hat gefiebert ohne Ende. Ich dachte, er hat einen Herzinfarkt. Und ich auch. Wir haben geschrien!
Sind Teppiche politisch?
Nicht direkt. Nach der Revolution im Iran haben Teppiche im Politischen vielleicht ein bisschen geholfen: Sie wurden im großen Umfang exportiert, um daran Geld zu verdienen. Sie brauchten damals Geld. Millionen Teppiche aus Persien, hunderte Millionen waren es damals. Nach der Revolution haben Teppiche irgendwann den Wert verloren, weil sie so viele exportiert haben.
Wie fühlen Sie sich heute mit Ihrer Situation?
Es tut weh, dass ich nicht in den Iran reisen kann. Besonders weil ich immer wieder höre: Es werden nicht mehr so viele Teppiche geknüpft. Die Tradition stirbt langsam. Ich kann das kaum glauben: Das ganze Land, jedes Dorf, jede Stadt, knüpfte für sich Teppiche. Alles fing für mich mit Teppichen an. Wir haben von der Kindheit an auf ihnen gespielt. Eine Wohnung ohne Teppich, die ist nackt. Ich will die Tradition unbedingt erhalten. Aber einer alleine kann nichts machen. Trotzdem tue ich, was ich kann.
Und knüpfen hier weiter.
Es gibt viele Leute in Deutschland, die lieben Teppiche wirklich. Ich habe viele Kunden gehabt, die haben Stunden bei mir gesessen und über Teppiche geredet. Das beruhigt mich, wenn ich so etwas sehe. Das gibt mir die Energie, die Arbeit weiterzumachen.
Gibt es Leute, die Schätze zu Hause haben, von denen Sie nicht wissen, wie wertvoll die sind?
Das gibt es immer wieder. Ein, zwei Leute rufen pro Woche an und sagen: Ich habe einen Teppich geerbt. Ich weiß nicht, was das für einer ist. Wenn die von weiter weg sind, sage ich: Machen sie ein Foto und schicken sie das. Von der Rückseite. Von der Knüpfung. Vom ganzen Teppich. Dann kann ich vielleicht sagen, um was es sich handelt. Dann haben sie ein bisschen mehr Informationen. Jede Woche habe ich ein paar solche Leute.
Und Sie reparieren aber eigentlich hauptsächlich?
Genau. Es gibt nicht so viele Leute, die so etwas machen und langsam wird das auch weniger. Vier oder fünf, wie mich, gibt es vielleicht in ganz Niedersachsen. Ich habe auch überregionale Kunden, aus Sachsen beispielsweise, die schicken die Teppiche mit der Post. Ich repariere sie dann und schicke sie zurück.
So einfach ist das?
Jeder Teppich hat eigene Probleme. Bei einem wurden die Fransen beschädigt, bei einem anderen die Kante oder die Seite. Seit fünf bis zehn Jahren sehe ich, dass die Motten in Deutschland sehr aktiv sind. Ich weiß ich nicht, woran das liegt – vielleicht an der Klimaerwärmung?
Die Motten sind aktiver als früher?
Wirklich, jede Woche gibt es mindestens einen Kunden, der anruft und sagt, dass sein Teppich von Motten befallen wurde. Sie gehen in die Teppiche, keiner stört sie, keiner saugt und dann vermehren sie sich. Sie fressen alles, machen Kokons – wie die Schmetterlinge. Dann fliegen sie zu anderen Teppichen und in die Schränke. Diese Arbeit ist heutzutage häufiger geworden. Passen Sie auf ihre Sachen auf!
Ich werde zuhause direkt die Motten stören. Hatten Sie viel zu tun während der Pandemie?
Während Corona war die Arbeit anstrengend. Der Laden war zu. Mit Kunden habe ich Termine gemacht. Ich war den ganzen Tag alleine. Aber Gott sei Dank haben einige unserer längeren Kunden in der Coronazeit angefangen, ihre Häuser zu renovieren. Weil alle haben gesagt: Wir sind zu Hause und haben sonst ja nichts zu tun. Sie haben Maler geholt, Fußböden erneuert und dann eben auch Teppiche frisch gemacht. So hat das bei mir ein bisschen funktioniert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen