Meinungsäußerung zu Coronazeiten: Auch Absurdes ist geschützt
Die Meinungsfreiheit gilt für harmlose wie auch für gefährliche Positionen. Wer aber Lügen als Tatsachen hinstellt, kann sich nicht auf sie berufen.
Auch Verschwörungstheoretiker werden vom Grundgesetz geschützt. Die Meinungsfreiheit ist grundsätzlich weit auszulegen, so beurteilt es das Bundesverfassungsgericht. Strafnormen, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, sind dagegen eng auszulegen.
Das Grundgesetz schützt alle Meinungen, seien sie klug oder dumm, seien sie harmlos oder gefährlich, seien sie emotional oder rational. Selbst Meinungen, die die Demokratie und die Freiheit in Frage stellen, sind grundsätzlich geschützt. Das heißt also: Beschränkungen müssen immer verhältnismäßig sein.
Auch Tatsachenäußerungen werden von der Meinungsfreiheit erfasst – aber nur, wenn sie wahr sind. Wer Lügen verbreitet, kann sich also nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Eine falsche Tatsache ist etwa die Behauptung, dass Bill Gates mit seiner Stiftung die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu 80 Prozent finanziere. Nach WHO-Angaben liegt der Anteil nur bei 11,4 Prozent. Auch erfundene und verfälschte Zitate werden laut Bundesverfassungsgericht nicht von der Meinungsfreiheit geschützt.
Dagegen genießen Werturteile weitgehenden Schutz, also alle Äußerungen, bei denen nicht bewiesen werden kann, ob sie wahr oder falsch sind. Hier endet der Schutz erst bei der Schmähkritik, also dort, wo es nur noch um die Diffamierung in einer Privatfehde geht und nicht mehr um die Auseinandersetzung in einer Sache, die die Öffentlichkeit interessiert. Die Behauptung, Bill Gates habe die Absicht, die Welt zu versklaven, würde wohl auch noch als Werturteil durchgehen.
Dorsten gekauft? Nur ein Werturteil
Die typische Technik von Verschwörungstheoretikern besteht darin, dass sie sich auf korrekte Tatsachen stützen, daraus aber absurde Schlussfolgerungen ziehen. Aus der Tatsache, dass die Gates-Stiftung Projekte des Berliner Virologen Christian Drosten fördert, wird geschlossen, dass dieser von Gates „gekauft“ sei. Letzteres ist dann ein Werturteil. Hier ist das Bundesverfassungsgericht großzügig. Denn auch berechtigte Machtkritik, etwa ein Korruptionsvorwurf, kann oft nur Indizien benennen, aber nicht den gesamten Vorgang beweisen.
Die Verbreitung von frei erfundenen Verschwörungsgeschichten ist in Deutschland an sich nicht strafbar. Denkbar wäre aber, dass Bill Gates einen Strafantrag wegen Beleidigung oder Verleumdung stellt. Bei antisemitischen Verschwörungsmärchen kommt dann schließlich auch eine Strafverfolgung wegen Volksverhetzung in Betracht.
Die Verbreitung von Lügen ist in Deutschland nicht automatisch strafbar. Es gibt auch keine Strafnorm für absichtliche politische oder medizinische Desinformation. Allerdings können soziale Netzwerke Unwahrheiten leichter löschen als Werturteile – weil sie hierbei nicht auf Grundrechte Rücksicht nehmen müssen.
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