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Meine Impfung am HauptbahnhofEin mieses Gefühl

Ich dachte, ich hole mir mal eben den Booster im Vorübergehen in einem neuen Impfzentrum am Hamburger Hauptbahnhof. Es war eine schlechte Idee.

Impfen im Neonlicht: Der Hamburger Hauptbahnhof Foto: dpa / Georg Wendt

Warum bin ich nicht cool? Warum bin ich so wenig entspannt? Oder anders gefragt: Warum bin ich so leicht zu erschrecken? Und so stehe ich am vorletzten Sonntagmorgen vor einem neuen Impfzentrum im Hamburger Hauptbahnhof zwischen den Gleisen 5 und 6. Links eine Raucherkneipe, rechts die Schließfächer. Dazwischen ein Raum, die Tür und die Fenster abgeklebt, da geht es rein. HSV-Fans ziehen vorbei, sie grölen angemessen vorbetrunken.

Die sechs Monate meiner Zweitimpfung laufen bald ab, die steigenden Fallzahlen, diese Sache mit der Omikron-Variante setzt mir zu. Und ich sage mir: ‚Komm’, mach das einfach, Augen zu und durch, was soll schon schiefgehen‘. Impfen ohne Tamtam, so im Vorübergehen, niedrigschwellig. Dabei habe ich studiert.

Drinnen dann ein Schwung junger Leute an einem langen Tisch wie Hühner auf der Stange, klein und eng ist der Raum. Manche tragen Maske und Kittel. Niemand fragt mich irgendetwas. Niemand stellt sich vor. Es ist alles etwas schmuddelig, Bahnhof halt. Dazu grelles Neonlicht, es hat was von – Drogenküche.

Warum habe ich nicht wenigstens halblaut gesagt: ‚Ihr spinnt hier doch alle!‘ Und bin einfach gegangen. Aber ich krempele gehorsam meinen linken Hemdsärmel hoch, setze mich auf einen wackeligen Stuhl und ein junger Mann im Lieferdienst-Ausfahrer-Alter nimmt eine der vorgefertigten Spritzen, wortlos. Dann gehe ich wieder, der ICE nach Chur fährt gerade ein, mit – Achtung! – geänderter Wagenreihung.

Und nun weiß ich: Das Ordnungsamt war da, hat versiegelt; die Polizei kam und hat mitgenommen, was noch übrig war, vermutlich vieles Lug und Trug. Nur in welchem Ausmaß, das bleibt offen.

Stochern im Nebel

Aber ich bin Journalist, Recherche mein zweiter Vorname. Allein: Ich komme nicht weit. Die Gesundheitsbehörde verweist an das Bezirksamt Mitte, das verweist an die Sozialbehörde und die an die Staatsanwaltschaft. Die ermittelt und wer weiß, wie lange das dauern kann. Was ich dagegen weiß: Die Behörden kontrollieren private Impfzentren erst, wenn etwas vorgefallen ist. Nicht vorher.

In der Tagespresse ist immer wieder von einem ominösen Arzt als Verantwortlichen die Rede, der nicht zu erreichen sei. Und die Buchstaben T. und B. werden genannt. Aber sind wir hier bei Harry Potter, wo es einen gibt, dessen Name nicht genannt werden darf? Der Mann, mit dessen Name der neue Eintrag in meinen gelben Impfausweis gestempelt wurde, kann auf diverse Strafverfahren zurückblicken, Sohn eines Bausenators und langjährigen Ärztekammerpräsidenten, meine Freunde haben sofort gelacht, als ich das erzählt habe, dabei muss das rein gar nichts bedeuten.

Und nun? Bin ich geboostert oder bin ich nicht geboostert? Eine Frage nicht nur für die nächste Hamlet-Adaption in der Garage im Thalia in der Gaußstraße. Trotz vieler Telefonate: Niemand hat sie mir beantwortet.

Aber das Gute am Nicht-cool-sein ist: Man macht sich keine Illusionen. Man weiß, wenn man verloren hat, hat man verloren. Und so werde ich zu meinem Hausarzt gehen, wenn er eines Tages Termine hat und sagen: „Sorry, Doc, aber ich bin fremdgegangen.“ Werde erzählen, dass ich nicht ich selber war, kurzzeitig verwirrt, die Hormone. Aber dass es nicht wieder vorkommt. Nie wieder. Versprochen. Und auf die vierte Impfung hoffen, von der bald alle reden.

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16 Kommentare

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  • Mein Hausarzt impft auch nur im Schneckentempo. Daher hab ich mir meine Booster-Impfung in einem staatlichen Impfzentrum geholt. Die Terminvergabe erfolgte über die Webseite impfzentren.bayern, ich habe einen Termin innerhalb einer Woche bekommen.

    Das Impfzentrum war in einem ehemaligen Aldi im Industriegebiet einer bayerischen Mittelstadt. Sehr groß und hell, jede Menge Parkplätze vor der Tür. An der Einfahrt und am Eingang ein privater Sicherheitsdienst, ganz in schwarz, aber sehr freundlich. Drinnen Soldaten in Uniform, nur die Ärzte trugen weiße Kittel.

    Vom Eingang zum Wartebereich (2,50 Meter Abstand zu jedem weiteren Stuhl) wurde man vom Sicherheitsdienst eskortiert, der auf dem kurzen Weg auch gleich den weiteren Ablauf erläutert hat und Erläuterungen in Papierform überreicht hat.

    Am Empfang dann ein kurzes Aufklärungsgespräch mit dem Arzt. (Bei einigen älteren Besuchern hat es auch länger gedauert.) Freie Impfstoffwahl, jedenfalls zwischen Biontech und Moderna. (Ob sie was anderes hatten, weiß ich nicht.)

    Danach ging es direkt weiter zur Impfung, wo erneut eine Beratung angeboten wurde.

    Nach der Impfung 15 Minuten in einem separaten Wartebereich, falls einer umkippt.

    Schließlich Übergabe des Impfzertifikats mit QR-Code am Ausgang, wieder aus den Händen der Bundeswehr.

    Ich fühlte mich zwar streckenweise wie in einem Bundeswehr-Lazarett in einem Krisengebiet. Die Stimmung war schon komisch. Aber andererseits war es eben sehr professionell und geordnet und von daher ein krasser Gegensatz zu dem Hamburger Fall.

  • Ich habe nach der Lektüre des Artikels viele Fragezeichen in den Augen. Was will uns der Journalist, dessen zweiter Vorname Recherche sein soll, nun eigentlich mit seinem Erfahrungsbericht "Impfen am Bahnhof" sagen? Mit welchem Impfstoff wurde er denn geimpft? Hat er wirklich seinen Arm einfach hingehalten, ohne zu fragen, was er da injiziert bekommt? Gab es kein Aufklärungsgespräch? Gab es einen Stempel im Impfpass? Gab's nen QR-Code? Für mich liest sich das alles, was er schreibt, ziemlich schräg...

    • @Elena Levi:

      Ich war in einem Impfbus, organisiert vom Land, da gab es auch keine Aufklärung, kein Gespräch und keinen QR-Code. Massenabfertigung (zum Glück, weil auf Blabla hätte ich nach 5 mal je 2-3h als Schwangere anstehen keine Lust gehabt).



      Rein in den Bus, Impfstoff auswählen, Spritze rein und gehen.

      Wenn man nicht Moderna möchte, sondern Biontech, bekam man im November schon nur noch Termine für Mitte Januar über die Impfterminvermittlung.

      Und da weder ich als Schwangere, noch mein 15jähriger Sohn Moderne nutzen können, gab es keine Alternative zu den öffentlich spontanen Impfaktionen.

    • @Elena Levi:

      Tatsächlich war ich auch da und wurde quasi überrumpelt. Die Spritze war so schnell drin, dass ich kaum Zeit hatte, nein zu sagen. Zumal mein Gedanke war, dass ein Impfzentrum, was mitten im Hamburger Hauptbahnhof ist, ja nicht unkontrolliert sein könne.

  • Ich habe mir gerade den Moderna Booster in einem schönen großen Impfzentrum im benachbarten Landkreis in einem ehemaligen Baumarkt aus der Praktikerpleite abgeholt. Eine tolle Nachnutzung. Termin online vereinbart, zwei Tage später pünktlich drann gekommen und von einem kompetenten Arzt in einem kurzen Gespräch nochmal abgeholt worden, bevor er in die Nachbarkabine enteilt ist. Der gute Mann hatte drei davon parallel laufen.

    Mein Hausarzt, na ja, mag ja sein das es in Hamburg ausreichend impfende Hausärzte gibt, aber hier ist das definitiv nicht der Fall und als ich nach gefühlt 20 Versuchen endlich mal durchgekommen bin habe ich die Auskunft bekommen das sie mich Anfang Februar einplanen wollen. Ich wollte es nicht glauben und habe dankend abgelehnt. Dafür hätten sie gerne ne Krebsvorsorge und alles andere mit mir gemacht was Geld bringt. Der Termin wäre auch kurzfristig möglich...

    Ach ja nen alkoholfreien Punsch und was Süßes gabs nach dem Impfen auch noch on Top. War ja schließlich der dritte Advent.

    Auf den Tag das mein Hausarzt mir nen leckeres Heißgetränk anbietet werde ich wohl mein Leben lang warten. Aber online Termine wären echt schonmal ein Anfang.

    Gruß vom Mondlicht

  • MoPo HH titelt:



    Das Ekel-Impfzentrum, der NPD-Kandidat und sein krimineller Arzt

    Vor wenigen Tagen wurde das Skandal-Impfzentrum am Hauptbahnhof von Polizei und Gesundheitsamt durchsucht, die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen des Verdachts auf Körperverletzung aufgenommen. Geimpfte sind in Sorge, ob bei dem dubiosen Betrieb überhaupt korrekt geimpft wurde. Jetzt kommen pikante Details zu der Einrichtung ans Licht – der Betreiber hat eine rechtsextreme Vergangenheit, der Arzt saß mehrfach im Knast. Wie reagieren die Behörden? ,..

  • Ich habe heute auch mehrere uninteressante Sachen erlebt. Soll ich mal einen Artikel schreiben?

  • Was haben junge Männer im Lieferfahreralter mit irgendetwas zu tun? - oder wurde hier der PC halber auf andere Beschreibungen verzichtet, weil die "studierte" Person nicht aussprechen wollte, welche Vorurteile sie hegt? Und dann dieser holprige Hamletvergleich und die Erwähnung (nicht etwa der Hauptbühne, nein, nein!) des Theaters. Etwas elitär und abgehoben.

    Dennoch, ich wünsche gesundheitlich das Beste.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Das wäre ein Fall, wo man eine Antikörperbestimmung machen sollte - die man sonst eigentlich nicht macht - und danach entscheiden sollte, ob das eine reale Booster-Impfung gewesen sein kann oder nicht...

    Im Falle von "nicht" wär's aus gesellschaftshygienischen Gründen dann eigentlich gut, eine Anzeige wegen Körperverletzung zu stellen... um da ein bisschen Schwung in die Sache zu bringen.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "Antikörperbestimmung"

      Ein sehr wichtiger Hinweis. Ich fragte mich beim Lesen des Artikels sofort, ob man nach einer echten oder einer eben vermeintlichen Impfung das so oder so feststellen kann. Hier also der Hinweis, das geht.



      Hoffentlich hilft diese Möglichkeit dem Autor und anderen Betroffenen weiter.



      Und: Ja. Die Strafanzeige ist eine Möglichkeit, dieser scheußlichen Sache wenigstens nachträglich entgegen zu treten.



      Die depremierte Stimmung des Autors kann ich nachvollziehen. Auch die Selbstvorwürfe. Aber wer handelt nicht mal "zu schnell entschlossen?"

      Deshalb dake für den offenherzigen Bericht. Er ist bestimmt nicht umsonst geschrieben.

      Und alles Gute für den Autor!

  • RS
    Ria Sauter

    Danke für den Beitrag!



    Einige dieser privaten Impfzentren sehen so aus, wie Sie es beschrieben haben. Sie stehen nicht an oder in einem Bahnhof.



    Nicht vertrauenswürdig.



    Deshalb stehe ich auf einer Warteliste bei.meiner Ärztin.



    Anscheinend kontrolliert niemand ?

  • Zum Bahnhof sollte man nur gehen, wenn man verreisen will oder Drogen kaufen muss.

    • @Jim Hawkins:

      Drogen am Bahnhof. Da weißt du auch nie so genau, was du da gekauft hast.. ;-)

    • @Jim Hawkins:

      Wer Drogen kaufen will, sollte in seinem Freundeskreis oder seine Eltern fragen.



      Das ist deutlich sicherer

      • @KnorkeM:

        Schon, aber dann hätte der Witz nicht funktioniert.

        Ich habe seit Jahrzehnten eine sichere Quelle. Die freut sich gar nicht auf die Legalisierung.

      • 0G
        05989 (Profil gelöscht)
        @KnorkeM:

        Ein guter Rat... alleine meine Freunde, Verwandte und Eltern taugen dafür halt gar nicht. Das betrübt mich auch nicht sehr, denn meine dergestaltigen Gelüste halten sich in Grenzen - aber ich wäre auch aufgeschmissen, wenn's anders wäre...

        Ich würd's dann auch mal am Bahnhof versuchen... oder jetzt doch auf die Legalisierung warten, was mir am sympathischten wäre....