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Mehr Verletzte und Tote im VerkehrSicherheit statt Vatertag

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die Zahl der Verkehrstoten ist um neun Prozent gestiegen. Vier Thesen, was sich im deutschen Straßenverkehr dringend ändern muss.

Tödlich: Fahrradfahren in Deutschland Foto: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

D ie Zahl der Verkehrsopfer ist im Jahr 2022 deutlich angestiegen. Laut Statistischem Bundesamt sind in Deutschland 2.788 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben gekommen, neun Prozent mehr als im Jahr zuvor. Allerdings gab es während der Lockdowns in der Corona-Pandemie weniger Verkehr – und damit auch weniger Opfer. 2022 lagen die Opferzahlen immer noch deutlich unter dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019.

Sind die Zahlen also nur der Beleg der Normalisierung nach der Pandemie? Leider nein. Dazu vier Thesen:

These 1: Autofahrer sitzen im Panzer

Zunächst die scheinbar beste Entwicklung: Die Zahl der getöteten Au­to­fah­re­r:in­nen sinkt beständig. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 um mehr als 12 Prozent. Und das, obwohl auch während der Pandemie weiter fleißig Autos gekauft wurden. Ihre Zahl stieg seit 2019 um über 3 Prozent auf 48,7 Millionen. Autofahren ist also sicherer geworden.

Ein Grund dafür liegt auf der Hand: die wachsende Zahl der SUV. 2019 stellten sie 30 Prozent aller neu zugelassen PKW, 2022 schon über 40 Prozent. Die SUV verbrauchen nicht nur mehr Energie und mehr Platz in den Städten, sie bieten auch mehr Sicherheit. Allerdings nur den Insassen. Weniger gepanzerte Verkehrsteilnehmer haben das Nachsehen. Es ist eine permanente Umverteilung der Risiken zulasten von Fußgängern und Radfahrern.

Das belegen die Unfallzahlen in den Städten: 62 Prozent der dort Getöteten waren mit einem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. Ein Verkehrssystem aber, das Schutz nur denen bietet, die sich panzern, ist fatal.

These 2: Radfahrer brauchen Schutz

Der Wiederanstieg der Verkehrstoten geht nahezu ausschließlich zu Lasten einer Gruppe. Die Zahl der getöteten Rad­fah­re­r:in­nen stieg binnen eines Jahres von 372 auf 476. Ein dramatischer Zuwachs.

Ein Grund dafür ist auch hier durchaus positiv: Mehr Menschen fahren Rad. Dumm nur: Es verunglücken auch mehr.

Der Anteil der Radfahrenden an den Verkehrstoten hat sich innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt auf 17 Prozent, errechnete der TÜV-Verband – und fordert Konsequenzen: ein durchgehendes Radwegnetz von hoher Qualität.

Anders formuliert: Die autofokussierte Weltsicht konservativer Po­li­ti­ke­r:in­nen ist vor allen eins: tödlich.

These 3: Technischer Fortschritt braucht technische Sicherheit

Ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt aber auch: Es sind nicht die Radfahrer allgemein, die häufiger verunglücken, sondern die mit den Elektrorädern. Immer mehr Menchen fahren E-Bike. Die Zahl der getöteten Pedelec-Fahrer:innen ist binnen eines Jahres um fast 60 Prozent auf 208 gesprungen. Im Vergleich zum Jahr 2019 hat sie sich sogar nahezu verdoppelt.

Eine schnelle These liegt auch hier auf der Hand. Pedelecs nutzen vor allem Ungeübte, Ältere, die sich selbst über- und die Gefahren unterschätzen. Kein Wunder, dass ihnen schneller was passiert. Die Daten belegen das aber nicht.

Denn ähnlich stark wie die Zahl der Verunglückten ist die Zahl der Pedelec-Besitzer:innen gestiegen. 2019 hatten nur 9 Prozent aller Haushalte ein E-Bike, 2022 waren es schon 15,5 Prozent.

Wenn dank technischer Weiterentwicklung mehr Menschen auf ein umweltfreundliches Gefährt umsteigen, kann auch hier nur die Konsequenz sein: mehr sichere Radwege.

These 4: Vatertag tötet

Eine besondere Entwicklung haben die Statistiker bei den Unfallursachen entdeckt: Alkohol. 2022 gab es 19 Prozent mehr Alkoholunfälle als im Vorjahr – und deutlich mehr als in den Vor-Corona-Jahren. Offenbar hat die Hemmung abgenommen, sich betrunken ans Steuer zu setzen.

Besonders extrem ist es an Christi Himmelfahrt, der vielerorts als Vatertag begossen wird. Laut Unfallkalender gibt es an diesem Tag viermal mehr alkoholbedingte Unfälle als an jedem anderen Donnerstag.

Als hochprozentige Reaktion kann es da nur eine Reaktion geben: Schafft den Vatertag ab.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

18 Kommentare

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  • 1G
    14397 (Profil gelöscht)

    Anders formuliert: Die autofokussierte Weltsicht deutscher PKW-Führe­r:in­nen ist vor allen eins: tödlich.

  • 6G
    652797 (Profil gelöscht)

    "These 2: Radfahrer brauchen Schutz"



    Bei aller liebe als leidenschaftlicher Radfahrer. Seit die E-Bikes vermehrt unterwegs sind haben selbige häufig den Drang Verkehrsregeln zu ignorieren. Mir sind schon mehrfach an derselben Kreuzung E-Biker vor die Karre gefahren weil ihnen die rote Ampel anscheinend egal ist.

  • Breite „gepanzerte“ Spritfresser SUV abschaffen! Dass diese Teile überhaupt noch zugelassen werden, ist die reinste Farce. Viele können mit diesen „Wüstenschiffen“ weder einparken, fahren fast mittig auf schmaleren Straßen, weil sie wohl an jeder Seite ihres Vehicels noch 50 cm dazurechnen und sinnentleerte Selbstdarstellung à la „ Ich komm’ mit meinem dicken Wüstenschiff! Alle weg da!“ betreiben.

    Immer noch kein Tempolimit wie im ganzen Rest der EU – eine einzige Deutsch-politische Missachtung, Arroganz und Frechheit, von weniger CO2-Ausstoß ganz zu schweigen, Ihr „Klimapolitiker“!

    Besoffen Autofahren…, dann sollte man solchen Kerlen den Lappen gleich ganz wegnehmen – und Schluss. Vatertag können die meinetwegen dann die nächsten 100 Jahre feiern…

    Deutsche Raser —ein tagtägliches Geschehen, und die Berliner „Pampel-Ampel“ gibt auch noch extra „grünes“ Licht. Ernst nehmen kann man das schon lange nicht mehr: die reinste Lobbyistenvertretung!

    Weiter so!



    Anscheinend reicht die Anzahl getöteter Verkehrsteilnehmer noch nicht!

    • @POFF KAMITO:

      ...Sie schreiben ✍️ mir aus der Seele - danke für die sorgsam gewählten liebevollen Worte...-

  • Die Masse der E-Bike und Pedelec Toten sind über 75 Jahre alt - siehe Unfallstatistiken Destatis. Viele von ihnen sind jetzt ungeübt unterwegs, da sich ein Pedelec anders verhält als ein normales Fahrrad - dafür gibt es Seniorenlehrgänge, macht nur keiner Begründung: Radfahren verlernt man nicht!



    Motorisierte Fahrzeuge:



    1972 = 13Mio Fahrzeuge 22000 Tote und ca.7000 km Fahrleistung pro Jahr



    2022= 53Mio Fahrzeuge 2800 Tote und ca. 15000 km Fahrleistung pro Jahr (Destatis)



    Hätte man 1972 mit den Annahmen des Club of Rome die Todeszahlen für 2023 hochgerechnet hätten wir ein Zahl von 176000 Toten berechnet.



    Die Entwicklung geht weiter auch mit Schutzkleidung für Radfahrer Gegensatz z.B. Mofa 25/h Helmpflicht - Pedelec nicht!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    70 Prozent aller Unfälle, bei denen Menschen zu Schaden gekommen sind, ereigneten sich innerorts,

    27 Prozent auf Landstraßen und



    6 Prozent auf Autobahnen, wie aus dem Bericht des Bundesamts hervorgeht.

    Die meisten Personen kamen 2022 demnach in einem Pkw ums Leben. Mit 1192 Personen machten sie



    43 Prozent aller Verkehrstoten



    aus.

    492 Menschen verunglückten tödlich mit einem Kraftrad - wie einem Motorrad oder Roller (18 Prozent).



    474 Fahrradfahrer (17 Prozent) kamen ums Leben und 368 Menschen, die zu Fuß (13 Prozent) am Straßenverkehr teilnahmen. Insassen eines Güterkraftfahrzeugs machten fünf Prozent aller Verkehrstoten aus (127 Menschen). Bei Unfällen auf E-Scootern starben zehn Menschen.

    Während die Gesamtzahl der Todesopfer bei Verkehrsunfällen in Deutschland über einen längeren Zeitraum gesunken ist - um 63 Prozent im Jahr 2022 verglichen mit dem Jahr 2000, hat sich der Anteil der RADFAHRER an den Verkehrstoten im selben Zeitraum fast VERDOPPELT

    mit 9 Prozent auf 17 Prozent.

    Wer am Straßenverkehr teilnimmt weiß, das der gigantische Anstieg an getöteten Fahrradfahrern nicht nur an der Ungeübtheit im Umgang mit Elektroantrieben liegt.

    Ungeübtheit im Erkennen von möglichen Gefahrensituationen und Selbstüberschätzung (zum Beispiel wenn Fahrradfahrer bei rot über die Kreuzung düsen, Volkssport in Berlin)



    sind schlichtweg Todesursachen.

  • statistisches bundesamt sagt ca. 61 mio Fahrräder ohne Motor in Deutschland unterwegs, andere quelle sagt 10 mio mit motor unterwegs. also pi mal daumen 14%.

    die hälfte der fahhradtoten geht aber den e-bikes zu lasten. wenn 14% für 50% verantwortlich sind, e-bikes abschaffen!

  • SUV = Panzer ist zwar bedingt richtig aber alle Autos sind sehr viel sicherer geworden, auch ein Polo oder Mini.



    1972 hatte wir mehr als 20000 Verkehrstote bei halb soviel Fahrzeugen. Und den Vatertag abschaffen? Ich weiss ja nicht, wie wäre es an diesem Tag mit deutlich mehr und sehr gezielten Verkehrskontrollen. Fördert auch die Kommunalen Einnahmen.

    • @Stefan L.:

      ...oder einfach gleich pauschal - prophylaktisch - 100 Euro von jeden Papa - pro Kind - am Vatertag einziehen.....

      • @Alex_der_Wunderer:

        Gute Idee! Aber für eine Stiftung! Aus dem Steuersäckl bedienen sich schon genug „Hirntote“ …



        Von Gutverdienern dürfen es auch gerne 1000 € - pro Vater - pro Kind sein.

  • 6G
    678409 (Profil gelöscht)

    Konservative, rechte und liberale Politiker sind Automobil-geil.

    Panzer könnte man deutlich noch höher besteuern. Wird mit der FDP nicht kommen.

    Radwege werden z.B. gerade mit der CDU in Berlin eingestampft oder sogar rückgebaut. Warte immer noch auf die Empörung der Springer Presse, dass der Rückbau teurer ist als der eigentliche Bau.

    Saufen und Autofahren geht immer. Fußballspiel, Konzert,.... Wie wäre es denn mit deutlich höheren Strafen. Geldstrafe, die wirklich weh tut, und Führerscheinentzug für eine sehr, sehr, sehr lange Zeit oder für immer. So reduzieren wir auch gleich die Anzahl der Autofahrer in D. Sollte der betrunkene Fahrer sich selbst verletzen, dann könnte man ja auch sagen, dass die Behandlungskosten für die Verletzungen, die durch Alk am Steuer verursacht wurden, nicht mehr komplett von der Allgemeinheit getragen werden. D.h



    die Krankenkasse zahlt z.B. nur noch 60% der Behandlungskosten. Den Rest muss der Verursacher neben seiner Strafe selber zahlen.

    Eine weitere These: Geschwindigkeit tötet.

    Dazu gehört die deutliche Überschreitung der Geschwindigkeit in Städten / auf dem Land / der Autobahn. Auch hier könnte man die Strafen anpassen und wie oben beschrieben bei Eigenverschulden die Arztbehandlung zum großen Teil selbst bezahlen.

    Es gebe viele Möglichkeiten etwas zu tun, aber die Politik möchte niemandem auf die Füße treten. Und jede Partei hat ihre Ideologie. Und deshalb wird gar nichts passieren.

    • @678409 (Profil gelöscht):

      Aber, was wenn der "Panzer" "schadstoffärmer" unterwegs ist als Omas alter Opel? Diesen dann auch höher besteuern?

      Bei den höheren Strafen bin ich jedoch komplett bei Ihnen! Nicht nur bei Alk, sondern allem, was das Bewusstsein beeinflusst. Und Sie haben recht, wer selbst seinen Körper seine Psyche kaputt macht, sollte nicht (immer und immer wieder) von der Gesellschaft alimentiert werden.

  • Es sind nicht nur die Radfahrer, auch die Motorradfahrer leben gefährlich und haben einen extremen Hang zum Alleinunfall bei dem sonst kein Verkehrsteilnehmer beteiligt ist. In Punkto Geschwindigkeit (neben Unachtsamkeit die häufigste Unfallursache) denke ich dass die EU in einigen Jahren es den inzwischen intelligenten Autos vorschreiben wird dass die Autos sich selbstständig an die Geschwindigkeitslimits halten müssen. Technisch ist das schon lange kein Problem mehr. Tempo 30 innerorts ist noch etwas das Unfalltote verhindert. Für E-Bikes gibt es inzwischen auch ABS, das vermeidet Unfälle bei dem die Radfahrer über den Lenker hinwegfliegen.

    Es gibt noch genug Möglichkeiten die Zahl der Unfalltoten weiter zu senken ohne gleich den Vatertag abzuschaffen. Obwohl, ein Vatertag an dem die Männer autofrei haben wäre ja auch ein interessantes Experiment.

  • Ein Artikel, der an der richtigen Stelle ansetzt, auch wenn er noch etwas mehr in die Tiefe gehen könnte.



    Es ist durchaus erstrebenswert Null Unfalltote als gesellschaftliches Ziel zu vereinbaren und dies auch systematisch anzugehen, wie z.B. in der Luftfahrt.



    Mit genaueren Untersuchungen nach jedem schweren/ tötlichen Unfall und entsprechenden Vorschlägen zu Gesetzesänderungen bzw, staatlichen Massnahmen zur Verringerung des Risikos.



    Das liegt mir besonders am Herzen, da ich beide meine Eltern durch Unfälle verloren habe.

  • Vatertag abschaffen - gerne.

    Die anderen Thesen sind aber schlicht. Mehr Tote = SUV = Panzer . Das geben die Daten genauso wenig her, wie die Daten zur Pedelec Nutzung. Tatsächlich haben die neuen SUVs auch mehr Warn- und Assistenzsysteme. Sind sie vielleicht sogar für andere hilfreich?



    Es werden schlichtweg Daten benötig:



    Sind PedelecfahrerInnen alleine verunglückt oder durch AutofahrerInnen?



    Sind VW Golfs proportional weniger daran beteiligt als Mercedes GLS?

    • @fly:

      Zu den SUV gab's schon vor Jahren erste Erkentnisse aus den SUV dass sie für Fußgänger gefährlicher sind www.codot.gov/safe...illing-pedestrians

      • @Thomas R. Koll:

        Die Frage war, ob die Assistenzsystem den SUV ggf. sicher machen. Dazu sagt ihr Links nichts.

        • @Diana Klingelstein:

          Die SUV‘s haben soviel Assistenzsysteme, da blickt kein Schein mehr durch. Also kann man sie auch getrost abschaffen!



          Wer SUV fahren will, kann das in der Sahara tun, und zwar mit vom Sand voll zerdröhnter Klimaanlage ;-)) Viel Spaß dann auch im sonnigen Süden …