Mehr Verletzte und Tote im Verkehr: Sicherheit statt Vatertag
Die Zahl der Verkehrstoten ist um neun Prozent gestiegen. Vier Thesen, was sich im deutschen Straßenverkehr dringend ändern muss.
D ie Zahl der Verkehrsopfer ist im Jahr 2022 deutlich angestiegen. Laut Statistischem Bundesamt sind in Deutschland 2.788 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben gekommen, neun Prozent mehr als im Jahr zuvor. Allerdings gab es während der Lockdowns in der Corona-Pandemie weniger Verkehr – und damit auch weniger Opfer. 2022 lagen die Opferzahlen immer noch deutlich unter dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019.
Sind die Zahlen also nur der Beleg der Normalisierung nach der Pandemie? Leider nein. Dazu vier Thesen:
These 1: Autofahrer sitzen im Panzer
Zunächst die scheinbar beste Entwicklung: Die Zahl der getöteten Autofahrer:innen sinkt beständig. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 um mehr als 12 Prozent. Und das, obwohl auch während der Pandemie weiter fleißig Autos gekauft wurden. Ihre Zahl stieg seit 2019 um über 3 Prozent auf 48,7 Millionen. Autofahren ist also sicherer geworden.
Ein Grund dafür liegt auf der Hand: die wachsende Zahl der SUV. 2019 stellten sie 30 Prozent aller neu zugelassen PKW, 2022 schon über 40 Prozent. Die SUV verbrauchen nicht nur mehr Energie und mehr Platz in den Städten, sie bieten auch mehr Sicherheit. Allerdings nur den Insassen. Weniger gepanzerte Verkehrsteilnehmer haben das Nachsehen. Es ist eine permanente Umverteilung der Risiken zulasten von Fußgängern und Radfahrern.
Das belegen die Unfallzahlen in den Städten: 62 Prozent der dort Getöteten waren mit einem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. Ein Verkehrssystem aber, das Schutz nur denen bietet, die sich panzern, ist fatal.
These 2: Radfahrer brauchen Schutz
Der Wiederanstieg der Verkehrstoten geht nahezu ausschließlich zu Lasten einer Gruppe. Die Zahl der getöteten Radfahrer:innen stieg binnen eines Jahres von 372 auf 476. Ein dramatischer Zuwachs.
Ein Grund dafür ist auch hier durchaus positiv: Mehr Menschen fahren Rad. Dumm nur: Es verunglücken auch mehr.
Der Anteil der Radfahrenden an den Verkehrstoten hat sich innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt auf 17 Prozent, errechnete der TÜV-Verband – und fordert Konsequenzen: ein durchgehendes Radwegnetz von hoher Qualität.
Anders formuliert: Die autofokussierte Weltsicht konservativer Politiker:innen ist vor allen eins: tödlich.
These 3: Technischer Fortschritt braucht technische Sicherheit
Ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt aber auch: Es sind nicht die Radfahrer allgemein, die häufiger verunglücken, sondern die mit den Elektrorädern. Immer mehr Menchen fahren E-Bike. Die Zahl der getöteten Pedelec-Fahrer:innen ist binnen eines Jahres um fast 60 Prozent auf 208 gesprungen. Im Vergleich zum Jahr 2019 hat sie sich sogar nahezu verdoppelt.
Eine schnelle These liegt auch hier auf der Hand. Pedelecs nutzen vor allem Ungeübte, Ältere, die sich selbst über- und die Gefahren unterschätzen. Kein Wunder, dass ihnen schneller was passiert. Die Daten belegen das aber nicht.
Denn ähnlich stark wie die Zahl der Verunglückten ist die Zahl der Pedelec-Besitzer:innen gestiegen. 2019 hatten nur 9 Prozent aller Haushalte ein E-Bike, 2022 waren es schon 15,5 Prozent.
Wenn dank technischer Weiterentwicklung mehr Menschen auf ein umweltfreundliches Gefährt umsteigen, kann auch hier nur die Konsequenz sein: mehr sichere Radwege.
These 4: Vatertag tötet
Eine besondere Entwicklung haben die Statistiker bei den Unfallursachen entdeckt: Alkohol. 2022 gab es 19 Prozent mehr Alkoholunfälle als im Vorjahr – und deutlich mehr als in den Vor-Corona-Jahren. Offenbar hat die Hemmung abgenommen, sich betrunken ans Steuer zu setzen.
Besonders extrem ist es an Christi Himmelfahrt, der vielerorts als Vatertag begossen wird. Laut Unfallkalender gibt es an diesem Tag viermal mehr alkoholbedingte Unfälle als an jedem anderen Donnerstag.
Als hochprozentige Reaktion kann es da nur eine Reaktion geben: Schafft den Vatertag ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen