Meduza-Auswahl 28. September – 4. Oktober: Wer will schon nach Donezk?
Moskau findet nicht genug Beamte für die annektierten Gebiete in der Ukraine. Denn die fürchten sich vor dem ukrainischen Militär. Texte aus dem Exilmedium.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Woche vom 28. September bis zum 4. Oktober 2023 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Ein Jahr nach der Annexion der ostukrainischen Gebiete
Vor einem Jahr, am 30. September 2022, unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin einen Vertrag, der den “Beitritt“ der selbsternannten Republiken Donezk (DNR) und Luhansk (LNR) zu Russland ermöglichte. Kremlnahe Quellen des Exilmediums Meduza sagen, dass dieser mehr russische Beamte in die Gebiete schicken möchte. Die annektierten Regionen sollten zu einem neuen föderalen Bezirk Russlands zusammengeführt werden.
Doch ein Jahr später scheinen Putins Pläne für das eigentlich ukrainische Territorium nicht wie gedacht zu funktionieren. Meduza berichtet über die verschiedenen Schwierigkeiten in diesem Beitrag (russischer Text): Unter anderem ist das Gebiet für Beamte vor allem unteren und mittleren Ranges nicht besonders attraktiv. Putin versucht sie mit einem neuen Dekret zu locken, wonach Angestellte in den „neuen Gebieten“ doppelt bezahlt werden, um “die Risiken zu kompensieren“, so eine anonyme Quelle, die von Meduza aus einem dieser Regionen zitiert wird.
„Sie ziehen in Erwägung, dass die ukrainischen Streitkräfte diese Gebiete zurückerobern könnten, und haben Angst, Ziel von Terroranschlägen zu werden“, fügt diese Quelle hinzu. In der Tat sterben regelmäßig Beamte in diesen Gebieten, wie etwa im September 2022 der “erste stellvertretende Regierungschef“ der Region Cherson, Alexei Katerinitschew. Außerdem fehlen Mittel für Infrastrukturen in diesen Gegenden.
Der Wirtschaftsboom der 2000er und die Autokratie
Meduza veröffentlicht regelmäßig Podcasts auf seiner Webseite. Dieser Tage kam die erste Folge der Podcast-Reihe “Negatives Wachstum“ raus (russischer Text). Der Podcast blickt auf den Wirtschaftsboom der 2000er Jahre zurück und analysiert, inwiefern dieses Wachstum sowohl die Autokratie in Russland schuf als auch Wladimir Putin – bis heute – hilft, die Macht zu behalten.
In der 20-minütigen Sendung beschäftigt sich Meduza mit dem ersten Jahrzehnt der Regierung Putins, in dem sowohl das Bruttoinlandsprodukt als auchMeduza der Einkommen vieler Russen sehr stark gewachsen sind. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Wirtschaftsreformen des russischen Präsidenten dazu beigetragen haben – oder war es doch vor allem eine Folge der global hohen Ölpreise?
Schwangere Jugendliche in russischen Waisenhäusern
Das unabhängige russische Medium Cherta blickt in russische Waisenhäuser und notiert, was geschieht, wenn Jugendliche schwanger werden. Das übliche Vorgehen ist so: Sobald die Leitung eines Waisenhauses erfährt, dass ein Mädchen schwanger wurde, werden die Erzieherinnen überzeugt, eine Abtreibung durchzuführen. Doch Cherta hat nun festgestellt, dass es oft umgekehrt verläuft – vor allem wenn die Leitung der festen Überzeugung ist, dass mehr Kinder geboren werden sollten. Meduza hat diese Gast-Reportage in voller Länge veröffentlicht (russischer Text).
Offizielle Statistiken zu Teenager-Schwangerschaften in russischen Waisenhäusern liegen nicht vor. Jedoch greifen Cherta und Meduza auf Zahlen zurück, die im Jahr 2022 von einer Stiftung veröffentlicht wurden. Befragt wurden 1.000 Mädchen zwischen 16 und 25 Jahre aus diesen Einrichtungen: 23 Prozent gaben an, bereits Kinder zu haben.
Die russischen Friedenstruppen in Bergkarabach
In einem anderen Meduza-Podcast der Reihe “The Naked Pravda“ analysiert das Exilmedium die Lage in Bergkarabach (englischer Text). Nachdem Aserbaidschan im September die Region angegriffen hat, sind Zehntausende in Richtung Armenien geflohen, das Gebiet ist praktisch von ethnischen Armeniern entvölkert. Im Mittelpunkt des 30-minütigen Beitrags stehen die russischen Friedenstruppen, die seit dem Waffenstillstand im November 2020 für Frieden in Bergkarabach sorgen sollten.
Doch als Aserbaidschan vor zwei Wochen das Gebiet angriff, blieben die circa 2.000 Mitglieder der Friedenstruppen untätig. Die Evakuierung nach Armenien zögerte sich hinaus, die Geflüchteten mussten in Zelten und Autos übernachten. Zu dieser Podcast-Folge lud Meduza Olesja Wartanjan, Analystin der International Crisis Group im Südkaukasus, ein.
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