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Medikamententests gegen CoronaDie große Angst vor Impfversuchen

In vielen Ländern Afrikas kursieren wilde Gerüchte, wenn es um die Bekämpfung von Covid-19 geht. Die Sorgen der Menschen haben handfeste Gründe.

Weckt bei vielen Menschen in Nigeria dunkle Erinnerungen: 1996 starben elf Kinder bei Arzneitests Foto: Jürgen Bätz/dpa

COTONOU taz | Auf den Videos, die derzeit über Whats App verschickt werden, sind junge wütende Frauen zu sehen. Lautstark schimpfen sie über einen – ihrer Meinung nach – neuen Versuch der Kolonialisierung. Sie klagen, dass in afrikanischen Ländern Impfstoffe gegen Covid-19 getestet werden sollen. Testpersonen seien sozial Schwache. Es heißt, die Versuche sollten ohne deren Wissen geschehen.

Seit Wochen halten sich diese Gerüchte besonders in frankophonen Ländern hartnäckig. Längst wird unter Hashtags wie #nonauvaccinenafrique dazu getwittert. Angeheizt werden die Spekulationen durch Videos, die zwar mit der Coronapandemie zu tun haben, aber aus dem Kontext gerissen sind.

Anfang April wurde in Yopougon, einem ärmlichen Viertel der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan, ein geplantes Coronazentrum angegriffen. Dort sollten Proben von möglichen Infizierten entnommen werden. In sozialen Netzwerken heißt es längst, dass dort Impfstoffe getestet wurden. Im Senegal kamen Gerüchte auf, sieben Kinder seien bei Impfversuchen gestorben.

Plattformen wie Factuel der Nachrichtenagentur Agence France-Press, das internationale Gemeinschaftsprojekt Africa Check und die Site ­dubawa.org, initiiert von der nigerianischen Online-Zeitung Premium Times, gehen oft diesen Spekulationen nach. Auch wenn sie nach ihren Recherchen betonten, dass die Behauptungen falsch seien, findet das kaum Einzug in die Diskussionen.

Falschbehauptungen bleiben in den Köpfen

In Erinnerung bleibt etwas anderes: Anfang April diskutierten ein Arzt und ein Biologe im französischen Fernsehsender La Chaîne Info (LCI) über eine mögliche Impfstudie in Afrika. Das nationale Institut für Gesundheit und Medizinforschung (Inserm), für das einer der beiden arbeitet, kritisierte nach den ersten Rassismusvorwürfen, dass die Aussage aus dem Zusammenhang gerissen worden war und falsch sei. Doch das wird in Twitter- oder WhatsApp-Chats nicht erwähnt.

Hinter der Angst vor Medikamentenversuchen stecken düstere Erinnerungen. So setzte der Pharmakonzern Pfizer während eines Meningitisausbruchs 1996 im nordnigerianischen Bundesstaat Kano das Antibiotikum Trovan ein.

In einem Versuch sollte die Wirksamkeit gegenüber etablierten Medikamenten getestet werden. Eine Gruppe von 200 Kindern erhielt Trovan, von denen 11 starben. Dutzende erlitten schwere bleibende Schäden. Im Alltag in Kano fehlt es den Familien an Unterstützung für ein Leben mit schwer behinderten Menschen. Pfizer zahlte die erste Entschädigung erst 15 Jahre später.

Darüber hinaus halten sich Gerüchte, dass Impfungen ganz andere Zwecke erfüllen sollen. Im Norden Nigerias kam es 2003 in mehreren Bundesstaaten zum Boykott der Polio-Impfung. Lokale Politiker sowie der höchste Scharia-Rat hatten spekuliert, dass Frauen durch die Immunisierung sterilisiert würden und HIV übertragen werde.

Hintergrund war ein innenpolitischer Machtkampf um die Vorherrschaft im Land: Der Zentralregierung wurde vorgeworfen, sie würde im Auftrag des Westens handeln, weshalb die Impfungen boykottiert werden sollten. Auch die Terrormiliz Boko Haram macht immer wieder gegen Immunisierung mobil.

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12 Kommentare

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  • Hört doch endlich mal auf, finanziell Benachteiligte, im Volksmund "Arme" als "sozial Schwache" zu bezeichnen! Das klingt, als würde Armut asozial machen!

    • @Patricia Winter:

      Semantic correctness

      Zitat @PATRICIA WINTER: „Hört doch endlich mal auf, finanziell Benachteiligte, im Volksmund "Arme" als "sozial Schwache" zu bezeichnen! Das klingt, als würde Armut asozial machen!“

      Diesem Appell kann man sich nur anschließen. Was heißt hier „sozial schwach“? Gemeint ist wohl eher „einkommensschwach“- und das ist nicht dasselbe. Der Grad sozialer Schwäche oder Stärke hängt wohl nicht von der Einkommens- und Vermögenshöhe ab, andernfalls wären die Mafia-Bosse und Rüstungsgewinnler aller Welt in der Spitzengruppe der „sozial Starken“. In der Regel verdankt diese Spezis ihren Reichtum hingegen einem Sozialverhalten, das nachgerade das Gegenteil von sozial starkem Handeln darstellt. Die größte soziale Stärke ist immer noch die Solidarität mit den sozial Unterprivilegierten. Und die gibt es zumeist nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Kategorie. Soziale Stärke und Vermögens- bzw. Einkommenshöhe verhalten sich naturgemäß umgekehrt proportional. Ausnahmen bestätigen die Regel.

    • @Patricia Winter:

      Ja, klingt irgendwie doof.



      Beim genauen Hinsehen hat "sozial Schwach" auch keinen konkreten Sinn.

      Im Artikel ist es allerdings ein Zitat, vermutlich aus dem französischen übersetzt.

      • @Sonntagssegler:

        Lost in translation also? Kaum. Dies Art „Geschwätz“ hat meiner Beobachtung nach eher mit einem Gefühl der Verantwortungslosigkeit zu tun. Ich kann begreifen, wie dieses Gefühl entsteht. Gut finden kann ich es aber nicht.

        Generationen von Journalisten haben die traurige Erfahrung gemacht, dass ihre mühsam genug kreierten Geisteskinder regelmäßig verpuffen. Und zwar vermeintlich folgenlos. Was einfach mit der Summe an Texten zusammen hängt, die in unserer globalisierten Welt stündlich um die Aufmerksamkeit eines immer desinteressierteren Publikums konkurrieren.

        Worte sind wie Wassertropfen im Meer. Fehlt eins, ist das kaum zu bemerken. Das heißt aber nicht, dass es keine Folgen hat, wenn der Tropfen kontaminiert ist. Wären (fast) alle Tropfen giftig, gäbe es im Meer bald schon kein Leben mehr - und außerhalb des Meeres auch nicht mehr viel.

        In sofern sind die negativen Seiten massenmedialer Berichterstattung und Bewertung extrem problematisch. Schließt eine größere Zahl an Journalisten aus einem persönlichen Gefühl der Bedeutungslosigkeit heraus, dass es egal ist, ob sie Verantwortung für ihre Texte übernehmen oder nur Geld bzw. Linkes dafür kassieren, muss das letztlich katastrophal enden. Und zwar selbst und gerade dann, wenn es hunderte Zeitungen, Fernsehen- und Radiosender oder auch ein ganzes Internet gibt.

        Nehmen wir die angeblich „sozial Schwachen“. Wer den Begriff nur oft genug gehört oder gelesen hat, glaubt vielleicht irgendwann, was er suggeriert. Die logische Folge ist dann vielleicht, dass sich zwei toxische Einstellungen entwickeln: A) „Die sind weniger wert als ich und viel weniger als eine Kanzlerin“ und B) „Die können eigentlich weg.“ Das wäre dann mal wieder der Anfang vom Ende der Menschlichkeit.

        Hat dieses Ende dann jemand geplant? Eigentlich nicht. Eigentlich haben sich nur zu viele Leute das Recht herausgenommen, nicht um drei Ecken denken zu müssen. Weil es ja Autoritäten gibt, die angeblich für Narrenfreiheit sorgen.

  • Weil vor 24 Jahren, in Worten vierundzwanzig, in einen Land ein Konzern Fehler begangen hat, gibt es handfeste Gründe?

    • @sb123:

      Handfeste Gründe

      Zitat@SB123: „Weil vor 24 Jahren, in Worten vierundzwanzig, in einen Land ein Konzern Fehler begangen hat, gibt es handfeste Gründe?“

      Allerdings, denn es geht hier nicht nur um einen einmaligen Ausrutscher eines einzigen Konzerns, sondern um das gängige Geschäfts- und Profitmodell der ganzen Branche, und zwar global. Das billigste Versuchslabor ist dabei nach wie vor Afrika. (DLF 22.10.2015, vgl. auch „Gekaufte Forschung“ von Christian Kreiß – „In der Pharma-Industrie geht Gewinn vor Gesundheit“ (Deutschlandradio Kultur 25.07.2015, oder Pharma-Firmen haben keine Skrupel (Deutschlandradio Kultur, 25.07.2015)

  • Illegale Medikamentenversuche ohne Wissen oder gar Einwilligung der Betroffenen gab es bis in die 70er Jahre massenhaft auch in der Bundesrepublik, so etwa an Kindern in Behinderteneinrichtungen und psychiatrischen Landeskrankenhäusern. (vgl. „Opfer von Kirche und Staat. Geprügelt, bis der Rücken blutete.Psychiatrie-Geschädigte sprechen im Kieler Landtag über ihre Erfahrungen in kirchlichen Heimen und den Landeskrankenhäusern.“, Taz. V. 29.11.2018)

  • 0G
    02195 (Profil gelöscht)

    Medikamenten- und Impfversuche ohne Wissen und Einwilligung der Betroffenen sind nichts Neues sogar in Deutschland und Europa. Es gab dies in Nazideutschland, aber auch in den 1950er, 1960er und bis in die 1970er Jahre. WissenschaftlerInnen arbeiten dies immer noch auf. Wenn man nun mal einfach mal drauf los plappert, das afrikanische oder andere arme Länder sich gut eignen würden, um einen Corona-Impfstoff zu testen, dann ist das mehr als kontraproduktiv. Wenn es denn irgendwann einen oder mehrere gibt, dann sollte man sich darauf verlassen können, das dieser nach den Zulassungsstandards so sicher ist, wie es eben geht. Andere Impfungen sollen ebenso Risiken haben, wie früher die Tollwut-Impfung oder noch die Tuberkolose-Impfung. In den Medien wird auch diskutiert, das es für unterschiedliche Risiko- und Altersgruppen unterschiedliche Impfstoffe bräuchte. Wenn es hoffentlich bald einen Impfstoff gibt gegen Corona, bin ich gerne dabei. Ob es eine Impfpflicht braucht, wird sich zeigen, aber man wird ohne Nachweis in viele Länder nicht mehr reisen können



    oder es wird so geregelt wie bei der Masern-Impfpflicht. Schön wäre es, wenn dann auch noch irgendwann gegen die anderen Coronaviren geimpft werden könnte, die einen jedes Jahr mehrmals plagen. Die Pharmakonzerne haben die Forschung da schleifen lassen, aber es dürfte sich lohnen, betriebswirtschaftlich, volkswirtschaftlich und für jede/n gesundheitlich.

  • Also die "handfesten Gründe" für ganz Afrika reduzieren sich auf einen Antbiotikaeinsatz im Niger? In einem Jahr an einer Gruppe von 200 Kindern? Jedes einzelne hätte natürlich vermieden werden sollen und sollte zumindest ausreichend Entschädigung bekommen. Aber solche Fälle hat es auch in Europa und Amerika zuhauf gegeben. Trotzdem spricht man hier bei Besorgten, Zweiflern oder gar Impfgegnern nicht von "handfesten Gründen". Es scheint unterschiedliche Wahrnehmungen zu geben.

    • @fly:

      Natürlich gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen.



      Insbesondere in Gegenden, die immer noch nicht wirklich entkolonisiert sind und in denen Menschenrechte wenig gelten.



      Der Umgang ist international brutaler geworden.



      Und wo könnte man halbgare Impfstoffe einfacher in großer Menge testen (ohne ggf. Konsequenzen fürchten zu müssen) als dort?

    • @fly:

      Versuche dürfen niemals ohne die Aufklärung und Einwilligung der Betroffenen erfolgen. Das ist der wichtige Punkt, um den es geht.

      Und da nimmt man es mit Patienten auf anderen Kontinenten wohl weiterhin nicht so genau, nachdem es in Europa so nicht mehr möglich ist an "unwertem/unwichtigen" Lebewesen Medikamentenversuche durchzuführen. (Bis in die 1980er in Bundesrepublik und DDR, dort teils auch für den Westen).

      www.spiegel.de/wis...ten-a-1082584.html

      "Die überschuldete DDR habe ihr Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt, um begehrte Devisen zu erwirtschaften, so Hess. Der SPIEGEL hatte 2013 darüber berichtet und eine landesweite Debatte mit angestoßen. Westfirmen hätten sich die totalitären Strukturen zunutze gemacht, sagte Hess, der das Institut für Geschichte der Medizin der Berliner Charité leitet. Ost und West seien über den Eisernen Vorhang hinweg eng verflochten gewesen."

      "Das DDR-Regime habe für eine zügige, gewissenhafte Durchführung der Studien gesorgt und öffentliche Kritik ausgeschaltet. Jedoch hätten westliche Unternehmen auch die schlechtere Versorgung mit Medikamenten im Osten ausgenutzt."

      Jetzt gibt es für die westlichen Ländern den armen Osten so nicht mehr, daher geht es ab auf andere arme Kontinente.

    • 8G
      83191 (Profil gelöscht)
      @fly:

      Die Impfgegner sprechen schon davon :D