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Medien über Kriminalität in NRWDas konstruierte Staatsgeheimnis

Die „Welt“ behauptet, Politiker würden Straftaten von Nordafrikanern vorsätzlich verheimlichen. Klingt unglaublich? Stimmt auch nicht.

Taschendiebstahl: „Welt“ und „Focus“ sehen die große Verschwörung am Werk. Foto: Bernd Friedel/Imago

Berlin taz | Es klingt nach einem handfesten Skandal. „Kriminelle Nordafrikaner, ein lang gehütetes Staatsgeheimnis“, betitelt die Welt auf ihrer Homepage einen Artikel. Jahrelang hätten Polizei und Politiker über das Problem mit gewalttätigen Migranten aus Nordafrika geschwiegen. Es gebe in Nordrhein-Westfalen eine „Schweigekultur mit Tradition“, schreibt Till-Reimer Stoldt weiter in seinem Text.

Sein Hauptindiz ist das Protokoll einer Sitzung des Innenausschusses des NRW-Landtages von Oktober 2014. „Damals sprach der Ausschuss ein einziges Mal breit über die Problemgruppe junger Nordafrikaner – aber wie über ein Staatsgeheimnis“, schreibt Stoldt. Innenpolitiker von CDU, FDP und Grünen seien übereingekommen, dass es in NRW tatsächlich eine gefährliche Gruppe nordafrikanischer Asylbewerber gebe, die exzessiv trinke, Bürger angreife, Geschäfte ausraube. Der CDU-Politiker Werner Lohn habe zum Beispiel entsprechendes aus dem beschaulichen Wickede berichtet, einer 12.000-Seelen-Gemeinde am Rande des Sauerlandes.

Dann aber hätten fast alle Ausschussmitglieder befunden, hierdurch könnte „Angst“ vor Flüchtlingen geschürt werden und „die öffentliche Wahrnehmung kippen“. Die Konsequenz laut Welt: „Man wurde sich offenbar parteiübergreifend einig“, das „Nordafrikanerproblem“ nicht publik zu machen.

Der Focus spitzt die Geschichte aus der Welt auf seiner Homepage noch ein wenig zu. „NRW-Politiker wussten schon 2014 von kriminellen Nordafrikaner-Banden“. Aber die „Öffentlichkeit wurde nicht gewarnt“.

Angebliches Schweigekartell

Das klingt wie bei den „Lügenpresse“-Kritikern, die sich über das angebliche Schweigekartell aus Politik, Polizei und Presse mokieren. Umso schlimmer ist, dass die Vorwürfe des Welt-Autors nicht stimmen.

Denn wenn es sich um ein „Staatsgeheimnis“ gehandelt hat, wieso war die Kriminalität von „Nordafrikanern“ im Herbst 2014 Thema in den Medien, wie man binnen Minuten per einfacher Google-Suche herausfinden kann?

So berichtete der Kölner Stadtanzeiger im Januar 2014 über die seit Monaten steigende Zahl von Diebstählen in der Domstadt. Bereits im Jahr 2013 sei die Zahl diesbezüglicher Anzeigen um 20 Prozent gestiegen, heißt es in dem Text unter Berufung auf eine offizielle Statistik. Und dann klar und deutlich: Vor allem Täter, die aus nordafrikanischen Staaten eingereist sind, machen der Polizei seit einigen Monaten zu schaffen.

Selbst aus dem „beschaulichen Wickede“ (Welt) gab es Berichte, wenn auch eher in der Lokalpresse, in denen das Problem angesprochen wird. „Als schwieriges Klientel seien alleinreisende junge Männer aus Nordafrika bekannt“, hieß es etwa im April 2014 auf derwesten.de.

Und im Herbst 2014, wenige Tage vor der Innenausschusssitzung, brachte die Nachrichtenagentur dpa ein Feature über die „Hauptstadt der Taschendiebe“ Düsseldorf, das zum Beispiel von der Aachener Zeitung übernommen wurde. Darin wird nicht nur dezidiert der jetzt viel diskutierte Antanz-Trick beschrieben, sondern auch der Täterkreis benannt: „Viele Taschen- und Gepäckdiebe“, sagt laut Text der leitende Ermittler der Polizei, „kommen dabei entweder aus Nordafrika oder aus Südosteuropa.“

Explizite Medienberichte

Solche Berichte blieben nicht folgenlos. Die CDU stellte für genau die von der Welt herausgegriffene Innenausschuss-Sitzung den Antrag „Neues Kriminalitätsphänomen erfassen und konsequent gegen so genannte ‚Antänzer‘ vorgehen!“ (Direktlink zum .pdf).

Dabei bezog sie sich explizit auf Zeitungstexte aus der FAZ und der Kölnischen Rundschau. Letztere schreibt, dass sich die Polizei seit 2011 mit der Masche befasse. Kaum eine größere Stadt in Deutschland, die nicht mit dem Problem zu kämpfen habe. Und auch hier werden die Tätergruppe benannt: „Die Angreifer stammen laut Polizei aus Nordafrika.“

Dieser Probleme müssen wir uns auch annehmen.

NRW-Innenminister Ralf Jäger

Folglich wussten nicht nur NRW-Politiker von dem Problem, sondern jeder, der Zeitung lesen konnte.

In der Ausschusssitzung wurde dann tatsächlich Tacheles über die steigende Kriminalität durch Menschen aus dem Maghreb geredet. Monika Düker (Grüne) betonte, man solle jetzt nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Der FDP-Politiker Joachim Stamp meinte, man müsse über Repressionen nachdenken. Innenminister Ralf Jäger (SPD) gab zu, dass er keine Lösung aus dem Ärmel schütteln könne, aber „dieser Probleme müssen wir uns auch annehmen.“ Und Wolfgang Lohn (CDU), der das Thema Kriminalität durch Nordafrikaner angesprochen hatte, forderte „möglichst große Offenheit, Transparenz und Information vor Ort“, damit die große Hilfsbereitschaft der Menschen aufrechterhalten bleibe.

All das kann man ohne weiteres im Internet nachlesen. Denn auch das Wortprotokoll der Sitzung, bei der angeblich ein Staatsgeheimnis vereinbart wurde, steht für jeden einsehbar auf der Homepage des NRW-Landtages (Direktlink zum .pdf, spannend wird es ab Seite 76).

Offenes Geheimnis

Wer jetzt immer noch glaubt, in NRW sei im Oktober 2014 verabredet worden, aus dem Problem ein Geheimnis zu machen, muss in die Kriminalitätsstatistiken des Landes schauen. Sowohl im Bericht für das Jahr 2013, der vor der Innenauschschusssitzung veröffentlicht wurde, als auch im Bericht für das Jahr 2014, der später erschien, heißt es im Abschnitt „Taschendiebstähle“ übereinstimmend: „Eine auffällige Entwicklung zeigt der Anteil von Tatverdächtigen aus den Maghreb-Staaten.“ Demnach stieg die Zahl der verdächtigen Marokkaner von 40 im Jahr 2011 auf 238 im Jahr 2013 und 471 im Jahr 2014.

So weit die Faktenlage.

Aber „Staatsgeheimnis“ klickt sich natürlich besser. Vor allem in rechtspopulistischen Kreisen wird der Welt-Artikel schon kräftig geteilt.

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14 Kommentare

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  • Flüchtlinge und andere Minderheiten, sind eben auch nur Menschen. Aber ungeachtet dessen, gibt es in Deutschland ein Strafgesetzbuch, und das unterscheidet nicht nach Herkunft, sondern nach Straftaten. Ebenso unser Grundgesetz, sagt nicht: „Die Würde des Deutschen weißen Mannes ist unantastbare, sondern „die Würde des Menschen ist unantastbar“ Auch wenn es leider einige immer noch gibt, die es natürlich völlig anders sehen. Sonst hätten wir nicht mehr als 1800 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime alleine im letzten Jahr gehabt? Auch hätten wir nicht in Deutschland alleine seit dem Mauerfall, lt. Opferverbände schon wieder mehr als 160 Menschen, die wieder auf Grund einer menschenverachtenden Ideologie ermordet, getötet, tot geschlagen, zu Tode gehetzt oder verbrannt wurden? Hier im Gegenteil versuchen die Offiziellen, die Zahlen klein zu halten, und auch nur deshalb war es wieder in Deutschland möglich, das 10 Jahre lang, unbehelligt der NSU morden konnte? In Anbetracht dieser Vorfälle würde ich mir auch als Verantwortlicher überlegen, was ich veröffentliche oder was ich nicht veröffentliche, um nicht noch mehr Minderheiten, dem rechten Mob ausgesetzt zu sein?

  • Niemand hat behauptet, auch die WELT nicht, dass wir hier ein Mediensystem wie zu Goebbels Zeiten gehabt hätten. "Irgendwie" konnte man "irgendwo" in dieser völlig von Medien durchsetzten Welt "Alles" erfahren.

    Buschkowsky z.B. wurde häufig eingeladen, hat erzählt - aus allererster Hand - dass ganze Stadtviertel eigentlich längst Parallelwelten sind, mit tausend Einzelheiten. Und dann? Nichts. Nichts von Merkel, die nur ein paar Km entfernt residiert. Nichts von Jäger, der ja mal überlegen hätte können, ob es nicht einige Parallelen zu manchen Phänomenen auch in NRW gibt... Nur Kraft steht jetzt verständlicher da. Vielleicht wollte sie ja deshalb nicht nach Berlin, weil sie diese Probleme schon in Köln, Duisburg, Dortmund, Essen... nicht gelöst bekommt, ja nicht einmal wirklich angepackt hat.

  • Es ist übrigens auch kein "Staatsgeheimnis", dass "Welt" und "Focus" nur billige Propaganda-Heftchen sind. Sowas gehört unkommentiert in den Müll - und fertig.

    • @Rainer B.:

      Warum diese "Propaganda-Heftchen" nicht gleich verbrennen, da haben wir ja einiges an Erfahrungen vorzuweisen.

      • @Heinz Günter Gruse:

        Genau! Bei der Kälte macht das durchaus Sinn. Wenn Sie noch einen Ofen im Zimmer haben - nur zu!

  • 1G
    19412 (Profil gelöscht)

    Ganz so einfach ist die Situation für die Polizei nicht, zumindest nicht in NRW. Es gibt "Leitlinien für die Polizei des Landes NRW zum Schutz nationaler Minderheiten vor Diskriminierungen" v. 15.12.2008 und die sind noch gültig.

     

    Zitat: "3. Auf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit wird in der internen und externen Berichterstattung nur hingewiesen, wenn sie für das Verständnis eines Sachverhaltes oder für die Herstellung eines sachlichen Bezuges zwingend erforderlich ist." https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=7&vd_id=11225&ver=8&val=11225&menu=1&vd_back=N

     

    Für mein Verständnis ist das eindeutig eine Anweisung, ggf. besser die Klappe zu halten, wo Täter herkommen bzw. Flüchtling oder auch nicht.

  • Ich sag nur: http://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/Saarbruecken-Bouillon-Polizeisprecher-Verbrechensfaelle;art446398,6036489

    Solche Erlasse dürfte es in den meisten Bundesländern geben. Zusammen mit dem Artikel 12.1 Pressekodex eine wunderbare Schweigeallianz.

  • Es sollte vielleicht erwähnt werden, dass sich die taz in einem der ersten Berichte hisichtlich der Kölner Neujahrsnacht (Daniel Bax, 5.1.2016) noch so richtig schön darüber aufgeregt hat, dass die Nationalitäten der Verdächtigen genannt worden sind. Und jene Medien, die jetzt hier als Zeugen für Offenheit im Umgang mit derartigen Informationen zitiert werden, wurden damals als "unseriös" gebranntmarkt...

    • @Cerberus:

      Wissen Sie, was ich "unseriös" finde? Ich finde es "unseriös", dass die Bürger nicht vor einer Staatsmacht gewarnt werden, die schon 2014 vor 471 Taschendiebe kapituliert hat. (By the way: Wie kann man jemanden zählen, den man angeblich nicht zu fassen kriegt?) Sie dürfen sich jetzt gern darüber echauffieren, dass die Nationalität der für dieses Totalversagen Verantwortlichen in der Öffentlichkeit nicht thematisiert wird.

      • @mowgli:

        Ich bin mir sicher, dass die meisten wenn nicht alle diese 471 Burschen schon ein oder mehrmals einkassiert wurden. Dann kommen sie vor einen Richter, der in seinem Herzen eigentlich Sozialpädagoge ist und bekommen eine Woche Dauererarrest. Und danach wird wieder angetanzt.

        Deswegen kann man die so gut zählen.

        http://m.spiegel.de/panorama/justiz/a-1071122.html

  • Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiqette.

  • Die Welt (Besitzer: Axel Springer AG, also Bild) zeigt auf andere — vielleicht weil sie verstecken will, dass sie selbst v.a. der Meinungsmache dient?

     

    Laut gegen andere schreien, damit niemand bei der Welt selbst schauen kommt?

  • Staats- und andere Geheimnisse

     

    Die Dunkelziffern über die Gewalt weißer, auch "frommer" Männer sind noch viel zu hoch. Heutiger Aufmacher der SZ handelt von Gewalt und Vergewaltigung gegen die Regensburger Domspatzen. Die taz berichtete über die Dunkelziffern der Gewalt weißer Männer bei den Oktoberfesten - und die "Grabscher im eigenen Haus". Mein "kumpeliger" Stuffz, der mit uns auch mal soff, griff schon mal beim Gute-Nacht-Rundgang unter unsere Bettdecken. Belangt wurde er nie...

  • Vielleicht hätte die TAZbesser schon damals darüber berichtet!? Dann käme es jetzt nicht zu solchen "Enthüllungen". Intern wurden die Probleme schon lange diskutiert, aber nach Aussen eben versucht, andere Dinge herauszustellen.

     

    Wenn es so weiter geht, haben bald alle alles und schon immer gewußt ... nur die Opfer der Sylvesternacht haben es leider nicht rechtzeitig mitbekommen.