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Massive Luftangriffe in der UkraineShahed-Drohnen mit Kurs auf Odessa

Gleich zweimal wird die ukrainische Hafenstadt diese Woche Opfer russischer Drohnenangriffe. Drei Menschen kamen ums Leben, Dutzende wurden verletzt.

Feuerwehrleute evakuieren eine Bewohnerin nach einem massiven russischen Luftangriff, Odessa, am 20.6.2025 Foto: Ukrainian Emergency Service/AP/dpa

Odessa taz | Die russische Armee hat offenbar eine neue Terror-Saison für die Ukraine eingeläutet. Zahlreiche ukrainische Städte meldeten in den letzten Tagen massiven Beschuss. Gleich zweimal wurde in dieser Woche auch Odessa Opfer russischer Großangriffe mit Drohnen der Typen „Shahed“, „Gerbera“ und „Parodya“.

In den Nächten auf den 17. und den 20. Juni wurden Dutzende von Langstrecken-Drohnen auf die ukrainische Hafenstadt am Schwarzen Meer abgefeuert. Es gab zahlreiche direkte Treffer und und Schäden durch herumfliegende Trümmerteile. Wohnhäuser und Autos brannten aus. Unter den Trümmern starben allein in dieser Woche drei Menschen, Dutzende Verletzte wurden zur Behandlung in Krankenhäuser gebracht.

Wohnhäuser und Hochschulen zerstört

Vor allem das historische Stadtzentrum ist betroffen – mehrere Wohnhäuser aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden bis auf die Grundmauer durch Drohnen und Feuer zerstört. In einem Hochhaus brannten mehrere Etagen aus, nachdem eine Drohne in eine Wohnung im oberen Stockwerk geflogen war. Sechshundert Menschen mussten evakuiert werden.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

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Zerstört wurden auch Bildungseinrichtungen, so die Nationale Polytechnische Universität, die Staatliche Agraruniversität, die Südukrainische Pädagogische Universität sowie die Akademie für Lebensmitteltechnologie und Recht.

Darüber hinaus wurde weitere zivile Infrastruktur beschädigt: ein Krankenhaus für Infektionskrankheiten und ein inklusives Kinderzentrum. Auch aus der Umgebung des Delfinariums wurde Feuer gemeldet.

Panik bislang ausgeblieben

Noch herrscht keine Panik in der Stadt. Aber natürlich leiden die Einwohner stark unter den Luftangriffen und ihren Folgen: „Es ist ziemlich unangenehm zu schlafen, wenn über einem etwas Explosives brummt. Und wenn man dann noch ein-, zwei-, dreimal Explosionen zu hören sind, denkt man unwillkürlich darüber nach, wo man Schutz suchen könnte“, erzählt der Odessit Oleksandr, der normalerweise keine Schutzräume aufsucht, aber in besonders „heißen“ Nächten im Flur seiner Wohnung Schutz sucht – nach der „2-Wände-Regel“ ist er dort wenigstens vor Splittern und Glas geschützt.

Er sagt, bei einem der letzten Angriffe habe er etwa ein Dutzend Explosionen gehört, die Fensterscheiben seiner Wohnung haben stark vibriert.

„Wir werden mit modernisierten Shahed-Drohnen angegriffen, deshalb versuchen wir bereits seit einigen Monaten, bei Luftangriffen in Schutzräume zu kommen“, erzählt auch Krystyna aus Odessa, die nach dem letzten Angriff ihr Zimmer im Stadtzentrum verloren hat.

„Das Dach unseres Hauses und unsere Gemeinschaftsküche, die wir mit mehreren Mietparteien geteilt hatten, wurden zerstört. Ich war bei diesem Angriff nicht zu Hause, aber meine Nachbarn, die in der Wohnung geblieben waren, haben nur durch ein Wunder überlebt“, so Krystyna.

Massive Ausweitung der russischen Drohnenproduktion

Die Russen geben in ihren sozialen Netzwerken eine Reihe von Standard-Ausreden für ihre Angriffe. Sie sagen, dass die schlechte Luftabwehr der Ukraine und ihre Aktivitäten daran schuld seien. In letzter Zeit haben sie auch begonnen zu behaupten, dass die Ukrainer Drohnen in gewöhnlichen Wohnhäusern produzieren würden, weshalb sie gezwungen seien, entsprechende Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

„Wir haben nur zivile Infrastruktur, in unserem alten Haus gab es keine militärischen Einrichtungen. Die Russen können natürlich sagen, dass hier Außerirdische leben…“, kommentiert Krystyna ironisch.

Schon vor einigen Monaten hatten Militärexperten davor gewarnt, dass Russland gerade die Produktion von Shahed-Drohnen rasant ausbaue. „Dieser Prozess geht weiter, und wenn nichts dagegen unternommen wird, wird damit die ganze Ukraine zerstört“, warnt Serhij Beskrestnow, Experte für elektronische Kriegsführung und Kommunikation. Seiner Meinung nach sollte man sich jetzt darauf konzentrieren, mit der Massenproduktion von Abfangdrohnen zu beginnen. „Wenn wir nicht sofort handeln, ist es mit unserer Infrastruktur, unserer Produktion und unseren Verteidigungsanlagen vorbei“, betonte Beskrestnow in seinem Telegram-Kanal.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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