Massive Geldnot nach Sanktionen: Russland verkauft seine Botschaft
Eine Huawei-Tochter möchte die Berliner Immobilie Unter den Linden übernehmen. Neue Räume stehen im Russischen Haus in der Friedrichstraße zur Verfügung.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre ein Stück russischer Geschichte auf Berlins Prachtboulevard verloren. 1837 war der erste Gesandte des Zarenreichs in das zweistöckige Rokoko-Palais Kurland gezogen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden die Linden sowjetisch, bevor das Palais schließlich ab 1942 das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete beherbergte.
Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde die Botschaft nach den Plänen eines Architektenkollektivs neu aufgebaut. Zuletzt machte die Vertretung von sich reden, weil zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine ein ausgebrannter russischer Panzer Unter den Linden aufgestellt worden war. Sein Geschütz richtete er auf die 185 Meter lange Fassade des Gebäudes.
Aber auch schon zuvor war die Botschaft immer wieder Schauplatz außergewöhnlicher Ereignisse. 2021 war der Zweite Sekretär der Botschaft tot auf dem Gehweg Unter den Linden gefunden worden. Weil der Tote Diplomatenstatus hatte, durfte die Berliner Staatsanwaltschaft nicht ermitteln. Sie übergab die Leiche an die Russen, die von einem Unfall sprachen.
Botschafter Sergej Netschajew wollte sich zu den Verkaufsplänen auf taz-Anfrage nicht äußern. Allerdings liegt der Botschaft offenbar ein Angebot des Russischen Hauses in der Friedrichstraße vor. Das ehemalige „Russische Haus der Wissenschaft und Kultur“ wird von der im russischen Außenministerium angesiedelten Regierungsagentur Rossotrudnitschestwo betrieben. Zahlreiche Räume stehen dort inzwischen leer. Die Miete soll die symbolische Summe von einem Rubel betragen, heißt es aus Botschaftskreisen. Das könne man sich noch leisten, heißt es weiter.
Teil einer umfassenden Streichliste
Denn mit dem Umzug könnte die Russische Förderation ihre Staatskasse wieder ein wenig auffüllen. Offiziell behauptet Moskau zwar, die Sanktionen, die der Westen nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verhängt hatte, würden der Wirtschaft des Landes kaum schaden. Tatsächlich aber haben sie offenbar ein erhebliches Loch in den Staatshaushalt gerissen.
Das zeigt auch eine interne „Streichliste“, die dem Recherchekollektiv Bellingcat vorliegt. Demnach steht nicht nur die Botschaft in Berlin zum Verkauf, sondern auch ein Aktienpaket von Rosneft. Offenbar will Moskau damit Verstaatlichungen wie bei der Raffinerie in Schwedt zuvorkommen.
In Peking wird man Nachrichten wie diese gerne hören. Unter den Linden steht der chinesische Investor, eine Tochterfirma von Huawei, bereits in den Startlöchern. Nach Informationen der taz soll vom weitläufigen Botschaftskomplex nur das neostalinistische Gebäude Unter den Linden erhalten werden. Die Gebäude an der Behrenstraße und Glinkastraße sollen Neubauten weichen. Einen entsprechenden Letter of Intent (LOI) hat das Unternehmen bereits mit dem noch amtierenden Bausenator Andreas Geisel (SPD) unterzeichnet. Auch Geisel wollte sich gegenüber der taz nicht äußern.
Ausgerechnet für die zuletzt viel diskutierte Friedrichstraße hätte der neue Botschaftsstandort weitreichende Auswirkungen. Wie aus dem Landeskriminalamt zu hören ist, müsste ein Teil der Einkaufsstraße gesperrt werden – aus Sicherheitsgründen. Erst im Januar wurde die Friedrichstraße wieder für den Autoverkehr gesperrt, nachdem zuvor das Verwaltungsgericht einen Verkehrsversuch gestoppt hatte. Von der Sperrung wäre aber nur die westliche Fahrbahn betroffen, heißt es aus dem Hause von Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne).
Unten Showroom, oben Abhörstation?
Was aus dem Gebäude Unter den Linden werden soll, steht noch nicht fest. Gerüchten zufolge soll aber der Huawei-Konzern überlegen, seine Europa-Zentrale nach Berlin zu verlegen. Auch vom bisher größten Showroom für die Produkte des Konzerns – insbesondere Handys – ist die Rede. Sobald der Verkauf über die Bühne sei, werde die Huawei-Tochter rechtzeitig zu einer Standortkonferenz einladen, versichterte Geisels Sprecher Michael Pallgen. Pläne der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt, an der Stelle des Stalinbaus das Rokoko-Palais wieder errichten zu lassen, wollte Pallgen nicht kommentieren.
Ein Umzug der Huawei-Tochter in die dann ehemalige Russische Botschaft dürfte auch das Bundeskriminalamt auf den Plan rufen. Nach dem Skandal um die Überwachung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) durch die US-amerikanische Botschaft, heißt es, bestünde nun die Gefahr, dass Peking eine Abhörstation Unter den Linden errichten könnte.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien am 1. April. Entsprechend sensibel sollte mit den Inhalten umgegangen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht