Massaker in Niger: Logik der Gewalt
Der Präsident ist für die Gewalteskalation im Land mitverantwortlich. Er steht für eine Politik, die in erster Linie auf Militärschläge setzt.
P einlicher geht es nicht. Gerade erst hatte Nigers scheidender Präsident Mahamadou Issoufou in seiner Neujahrsansprache seine Bevölkerung versichert, man habe ein „schreckliches Jahr“, geprägt von blutigen Terroranschlägen und der Covid-19-Pandemie, „erhobenen Hauptes“ hinter sich lassen können – da begingen bewaffnete Angreifer das schwerste Massaker an Zivilisten in Niger seit Menschengedenken.
Die mindestens 100 Toten vom 2. Januar werden in Nigers Geschichte eingehen, als düsteres Erbe eines Präsidenten, der sich in seinen zehn Jahren an der Macht wie kaum ein anderer in der afrikanischen Sahel-Region der Logik ausländischer Militärinterventionen gegen den islamistischen Terror verschrieben hat.
Niger beherbergt heute Spezialkräfte aus Frankreich, den USA und Deutschland, es bietet eine Basis für Drohnenangriffe, es kommandiert die regionale Antiterrortruppe G5-Sahel, es hat eine Elitetruppe zum Schutz der Grenze zu Nigeria aufgestellt, es hat die Migrationsrouten Richtung Libyen geschlossen.
Weil er sich anders als so manche Amtskollegen penibel an Verfassung und Amtszeitbegrenzung hält, ist Präsident Issoufou zum Lieblingspartner Deutschlands geworden – aber seine politische Logik ist ausschließlich militärisch. In seiner Neujahrsrede lobte er sich selbst: Seit 2010 wurde der Umfang der Streitkräfte verdoppelt, in den nächsten fünf Jahren solle er erneut verdoppelt werden, bis hin zum „endgültigen“ Sieg über den „Feind“.
Aber wenn der Feind in der eigenen Bevölkerung sitzt, wie soll ein Staat ihn „endgültig“ besiegen, ohne Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen? Längst ist die Gewalt in Niger, wie auch in Mali, Burkina Faso und Nigeria, mindestens ebenso eine Folge lokaler Spannungen und der Aufrüstung einzelner Bevölkerungsgruppen gegeneinander wie das Ergebnis terroristischer Angriffe. Wenn Gewalt die Gesellschaft dominiert, kann eine Politik, die in erster Linie auf Militärschläge setzt, sie nur verschärfen, nicht lindern. Mit diesem Dilemma wird sich dann wohl Nigers nächster Präsident auseinandersetzen müssen.
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