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Masha Gessen bei der Buchmesse„Sie hilft uns, zu verstehen“

Die russische Schriftstellerin Masha Gessen ist scharf formulierende Kritikerin Putins. Auf der Leipziger Buchmesse erhielt sie eine Auszeichnung.

Gessen wurde im März mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung geehrt Foto: David Levenson/Getty Images

„Verständigung“ zwischen Ländern, Staaten, Nationen, Kulturen ist auch unter günstigeren Umständen eine schwierige Sache – und heute, da der Horizont der Beziehungen ­zwischen Deutschland, Europa und Russland sich eher weiter verdunkelt, erst recht. Das gilt allerdings auch für das Verhältnis zwischen Europa und den USA – unsere Preisträgerin ­Masha ­Gessen ist ja zugleich amerikanische Bürgerin und, soweit ich es aus der Ferne verfolgen konnte, eine ziemlich kritische und kämpferische.

Beide ­Entwicklungen hängen im Übrigen ja noch zusammen, denn wir sind Zeugen des erstaunlichen Schauspiels, dass ein amtierender ame­rikanischer ­Präsident im russischen Präsidenten nicht nur ein Vorbild ­gefunden hat, sondern einen aktiven Förderer. Entsprechendes gilt freilich inzwischen für fast alle Verfechter einer ­autoritären, na­tio­nalistischen Politik in den Ländern Europas, die neuerdings oder abermals aus dem Osten das Heil er­hoffen.

Ich möchte im Folgenden deutlich machen, warum diese Autorin mit ihrem nicht eben ­optimistischen Buch, „Die Zukunft ist Geschichte – Wie Russland die Freiheit gewann und verlor“, der europäischen Ver­stän­digung gerade dadurch dient, dass sie uns hilft, tiefer zu verstehen, in welch fatalem Zirkel seiner Geschichte unser fernes östliches Nachbarland sich nach wie vor bewegt. Das scheint mir ungleich sinnvoller und wichtiger als jedes forciert gutwillige oder vermeintlich realpolitische Plädoyer für ein „Russland verstehen“, das den Tatsachen nicht ins Auge sehen will und deshalb meist wenig versteht.

Masha Gessens publizistische Interventionen und ihre Bücher speisen sich aus einer ungewöhnlichen Kombination von Fähigkeiten, Erfahrungen und Perspektiven, die mit der Person der Autorin selbst zusammenhängen. Deshalb möchte ich sie Ihnen in wenigen groben Strichen etwas näher vorstellen – was mir auch ohne persönliche Bekanntschaft (bis heute) möglich scheint, weil in allen ihren Texten analytisches Nachdenken und gelebtes Leben eng zusammengehen.

„J“ für Jude

Als Gessen 1991 zum ersten Mal als junge amerikanische Journalistin wieder in das Land reiste, das sie zehn Jahre zuvor als 14-jähriger sowjetischer Teenager mit ihren Eltern verlassen hatte, wurde sie am Moskauer Flughafen von den beiden Großmüttern in Empfang genommen, die sie dort auch einst unter Tränen verabschiedet hatten.

Diesen „Two Babushkas“, Esther und Rusja (Rosalia), hat Gessen ihr literarisch vielleicht schönstes Buch gewidmet. Die beiden eng befreundeten Frauen waren nicht nur die Fixsterne des familiären Zusammenhalts (wie in vielen sowjetischen Familien), sondern beide verkörperten auch eine Geschichte, die das Buch in den Untertitel fasste: „Wie meine beiden Großmütter Hitlers Krieg und Stalins Frieden überlebten“.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Während ein Großteil ihrer im ostpolnischen Bialystok gebliebenen Angehörigen von den deutschen Besatzern ins Getto gepfercht und ermordet wurde, gerieten die beiden jungen Frauen, die in der Tiefe der Sowjetunion überlebt hatten, im neu entbrannten Kalten Krieg wie alle, die ein „J“ (für Jude) im Pass trugen, unter den bedrohlichen Verdacht kosmopolitischer Unzuverlässigkeit, und das in abgemilderter Form bis in die letzten Jahre der Sowjetunion. Das war auch der Hauptgrund für die Emigration ihrer Kinder, Mashas Eltern.

Und doch: Als die Enkelin zurückkehrt, weiß sie beim ersten Einatmen der stickigen Moskauer Luft, so schreibt sie, dass dieses „fremde und erschreckende Land“ dennoch „der Ort war, in dem ich mich am meisten zuhause fühlte“, und außerdem im März 1991 „der unbestreitbar aufregendste Ort der Welt“.

Kriegsreporterin in Tsche­tsche­nien

Sie will Zeugin einer historisch beispiellosen Umwälzung werden, die, wie tumultuos und verlustreich auch immer, am Ende eine demokratische und offene Gesellschaft hervorbringen muss. So glaubte sie damals. Ihr heute ausgezeichnetes Buch ist eine eindringliche Suche nach den tieferen Ursachen dafür, dass aus dieser – wie ich meine, durchaus begründeten – Hoffnung nichts geworden ist.

Bild: Louisa Reichstetter
Gerd Koenen

Gerd Koenen hielt die Laudatio bei der Verleihung des „Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2019“ an Masha Gessen am 20. März im Gewandhaus Leipzig. Für den Druck hat er sie geringfügig erweitert.

Gessen erlebt die chaotischen 1990er Jahre aus nächster und zuweilen gefährlicher Nähe. Als Kriegsreporterin in Tsche­tsche­nien wie auch bei investigativen Recherchen im Petersburger Sumpf. In diesem machte eine bislang kaum öffentlich bekannte Schattenfigur, der angeblich vor dem Putsch von 1991 aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene KGB-Oberst Putin, seine ersten Karriereschritte und errichtete viele seiner bis heute haltbaren Netzwerke.

Als Journalistin, die für etablierte amerikanische wie für neue russische Medien arbeitet, hat Gessen privilegierten Zugang zu Teilen der neuen politischen Elite, auch zu einigen Oligarchen der ersten Stunde, die sich in die vorerst noch pluralen und relativ freien Zeitungen und Fernsehkanäle einkaufen.

Aber sie ist auch eng mit den Milieus der Intelligenzija verbunden, die zunächst die Hauptträger des demokratischen Umbruchs waren, aber sich binnen kürzester Zeit in bitter Verarmte oder jäh zu Reichtum und Macht Gekommene, in standhafte Demokraten und zynische Opportunisten spalten. Oder sich, wie einer der Protagonisten ihres aktuellen Buchs, der Philosoph und Ex-Dissident Alexander ­Dugin, zu fanatischen Verfechtern einer neuen, großrussischen, nationalreligiösen und meist antisemitischen Staatsideologie mausern.

Warum uns das etwas angeht

Und schließlich ist da noch ein anderer, essenzieller Teil ihres Lebens. Gessen bewegt und engagiert sich in den Gruppen und Milieus einer erstmals ­entstehenden russischen Schwulen- und Lesbenbewegung, ohne jedoch den eigenen leidenschaftlichen Wunsch nach Familie aufzugeben. Im Jahr 2000 adoptiert sie ein Kind aidskranker Eltern, ihren Sohn Wowa, 2003 bekommt sie ein erstes eigenes Kind, ihre Tochter Jolka, 2004 heiratet sie in den USA – als das dort möglich wird – in einer jüdisch-religiösen Zeremonie ihre Moskauer Lebensgefährtin.

Sie selbst hat diese Szene beschrieben: wie sie beide unter dem Baldachin, der Chuppa, gehen, den ihr Bruder und drei Freunde tragen, sie (Masha) mit dem Säugling im Arm und ihren kleinen Sohn an der Hand; wie der Rabbiner ihnen erklärt, dass dieser Baldachin nun ihr gemeinsames Haus vorstelle, dessen Pfeiler schwankend seien, aber getragen von der Freundschaft der anderen; wie er sie beide daraufhin in den Gebetsschal hüllt und auffordert, den Atem der anderen durch sich durchgehen zu fühlen; und wie sie größere Liebe als je fühlt und beschließt, ihre Lebensgefährtin ihre „Frau“ zu nennen.

Sie zeigt, dass das eine nicht der Feind des anderen sein muss

Und als sie aufschaut, sieht sie, wie viele der 50 Gäste, von denen nicht wenige mit einigen inneren Vorbehalten gekommen sind, Tränen in den Augen haben. Und mir, der ich von solchen Vorbehalten nicht frei bin, ging es ähnlich, als ich diesen Text, „Alter Girl“, von ­Masha Gessen las.

Warum geht uns das irgendetwas an, und was hat das mit „europäischer Verständigung“ zu tun? Einmal, weil Gessen sich hier wie in allen ihren Büchern, Artikeln und Essays als eine eminent moderne Autorin zeigt, und zwar gerade darin, dass sie die Abenteuer einer persönlichen Selbstfindung und Identität immer mit den Bedürfnissen einer sozialen und familiären Verbindlichkeit zusammen zu denken und zu leben sucht und so zeigt, dass das eine nicht der Feind des anderen sein muss.

Abstruse Verschwörungstheorien

Zweitens aber ist für sie selbst ähnlich wie für Ljoscha, einen der jungen Protagonisten des Buches, für das sie heute ausgezeichnet wird, diese Frage der sexuellen Orientierung zu einer Schicksalsfrage geworden. Als sie 2013 ihre Wahlheimat Russland nach mehr als zwanzig Jahren wieder verlässt, trägt das Züge einer Flucht: Ein in der Duma angenommenes neues Gesetz stellt nicht nur „pädophile Propaganda“ unter Strafe, womit jede öffentliche Darstellung von Homosexua­lität gemeint und stigmatisiert wird; sondern eine parallele Initiative zielt darauf ab, die Erziehung von Kindern in homosexuellen Partnerschaften generell zu verbieten.

Der Hauptwortführer dieser neuen Gesetzgebung, der Peters­burger Abgeordnete Milonow, nannte dabei, ich zitiere, „die Adoption und Aufzucht russischer Kinder in pervertierten Familien wie der von Masha Gessen“ als Paradebeispiel einer dringend zu unterbindenden Praxis. Die öffentlich so Angegriffene musste fürchten, dass man ihre mittlerweile drei Kinder unter Kuratel stellen und vor allem den adoptierten Ältesten ihr womöglich wegnehmen würde.

Es handelt sich dabei, wohl gemerkt, nicht um einen Konflikt von Lebenshaltungen und Rechtsnormen, wie er in allen Gesellschaften dieser Welt gegenwärtig ist und vielleicht durch viele von uns selbst mitten hindurchgeht (wovon ich mich, wie angedeutet, nicht ausnehme).

Die Frage der sexuellen Orientierung wurde für Masha Gessen 2013 zu einer Schicksalsfrage

In Politik und Propaganda, die von den russischen Staatsmedien und Kreml-Sprechern offensiv vertreten werden, verknüpfen sich, fast möchte man sagen: auf intime Weise, homophobe mit xenophoben Motiven und mit ab­stru­sen ­Verschwörungstheorien. Russland, heißt es wieder und wieder, befinde sich in einem Existenzkampf von beispielloser Bedeutung zur Verteidigung seiner „traditionellen Werte“ von Nation, Staat, Religion und Familie, um demografischen Abstieg, moralische Zersetzung und politische Desintegration des eigenen großen Landes zu verhindern.

Putin, „Mann ohne Gesicht“

Neben den USA, jedenfalls in der Ära Obama, wird ein korrumpiertes „Gayropa“, ein schwules Europa, dafür verantwortlich gemacht, durch „Farbenrevolutionen“ Russland als legitime Großmacht zu unterminieren. So habe man das bei den erfolglosen Massendemonstrationen der „weißen Bänder“ (gegen die gezinkte Wiederwahl Wladimir Putins) 2011/12 in Moskau und fast allen Städten Russlands versucht. Mit größerem Erfolg dann in Nachbarländern wie 2004 bei der ersten Orange Revolution oder 2014 beim Maidan-Umsturz in der Ukraine.

Gessens im Original 2012 erschienene Biografie Wladimir Putins zeichnet staunend und auf Basis intimer Kenntnisse nach, wie dieser vollkommen unbekannte, von dem kranken Boris Jelzin aus der Mitte des Kremlapparats heraus auf die Bühne gestellte KGB-Oberst der Reserve an der Schwelle des neuen Jahrtausends binnen wenigen Monaten einen beispiellosen Popularitätsgewinn verzeichnete. Wie er einer Mehrheit der russischen Bürgerinnen und Bürger bald als vom Schicksal oder von Gott gesandte Rettergestalt erschien, bevor irgendjemand wusste, wer dieser „Mann ohne Gesicht“ (so der Untertitel des Buches) war und was er eigentlich vorhatte.

Um solche sozialpsychologischen Phänomene kreist auch das aktuelle Buch von ­Masha Gessen. Es erzählt die Geschichte der dramatischen Umbrüche von der Zeit der äußerst inkonsequenten „Perestroika“ Gorbatschows bis heute, bis zur dritten und vierten Amtspe­riode Putins, aus der Perspektive von vier jungen Leuten, die in der späten Sowjetunion geboren und im nachsowjetischen Russland aufgewachsen sind.

Zu weiteren Hauptpersonen ihres „faktografischen Romans“ zählen der früh schon verstoßene Chefarchitekt der „Perestroika“, Alexander Nikolajewitsch Jakowlew, oder der junge Boris Nemzow aus ­Nishni, einer der führenden Reformer der Jelzin-Regierungen und dann einer der hartnäckigsten Oppositionellen der Putin-Ära, bevor er Ende 2015 von einem tschetschenischen Killerkommando in Sichtweite des Kreml ermordet wurde.

Homo sovieticus

Eine reflexive Zwischen­ebene vertreten eine Psychologin, die an der Wiederbegründung der einst so lebendigen psychoanalytischen Tradition in Russland mitgewirkt hat, und der Soziologe Lew Gudkow, der als Schüler und Erbe des Pioniers Juri Lewada die Instrumente und Institutionen einer modernen, wissenschaftlich informierten Demoskopie in Russland mitgeschaffen hat.

Im Zentrum der äußerst differenzierten Befragungen und Forschungen dieses ursprünglich staatlich unterstützten, 2003 enteigneten, dann wiedergegründeten und mittlerweile als „ausländische Agentur“ gebrandmarkten Instituts standen und stehen bis heute die psychischen Folgen und mentalen Residuen einer totalitären Gesellschaftsgeschichte, die von Lewada in der hypothetischen Gestalt eines „Homo sovieticus“ zusammengefasst wurden.

Der von Gessen mit einer neuen, vertieften Bedeutung wiederaufgenommene Begriff des Totalitarismus reduziert sich dabei keineswegs, wie meist verstanden wird, auf eine vergangene und womöglich fortgesetzte Praxis von Terror und Diktatur; davon kann heute nur begrenzt die Rede sein.

Es geht bei dem „Homo so­vieticus“ auch nicht um irgendeinen speziellen russischen Volkscharakter oder eine sonstige pauschale Zuschreibung. Sondern es geht im Kern um die mentalen Folgen dessen, was Russland im 20. Jahrhundert, nicht erst in der Stalin-Ära, sondern seit der Machteroberung der Bolschewiki 1917 und dem anschließenden mörderischen Bürgerkrieg, sich selbst angetan hat, sowohl physisch wie psychisch, soziologisch wie kulturell.

Keine historische Entlastung

Diese Geschichte, die fast jede russische Familie auf die eine oder andere Weise betrifft, ist intellektuell wie moralisch auch tatsächlich kaum zu „bewältigen“ (um dieses eigentümliche deutsche Wort zu verwenden). Sie gleicht einem Antlitz der Medusa, vor dem jedes lebendige Gefühl erstarrt, oder einem Abgrund, der Schwindel erzeugt – und der, nach dem bekannten Wort von Nietzsche, wenn du zu lange in ihn hineinschaust, in dich zurückblickt.

Für uns als nachgeborene Deutsche mit unserer eigenen Geschichte politischer und menschlicher Katastrophen, mit deren mentalen Folgen wir auch noch längst nicht fertig sind, wie sich heute verstärkt wieder zeigt, bietet eine Beschäftigung mit den spezifischen Abgründen der russisch-sowjetischen Geschichte keine historische Entlastung – ganz im Gegenteil.

Wenn in den ­Umfragen des Lewada-Instituts seit 2000 von einem größer, nicht etwa kleiner werdenden Segment der russischen Be­völkerung, nun auch der jüngeren, Stalin als die bedeutendste Figur der nationalen Geschichte genannt wird – dann hat das auch mit uns und unserer Geschichte zu tun. Denn erst der 1939 begonnene und 1941 fortgesetzte deutsche Eroberungs- und Vernichtungskrieg im Osten hat Stalin, zuerst als Komplizen, dann als Todfeind Hitlers, auf die weltgeschichtliche Höhe gehoben, auf der er nach dem Sieg 1945 stand.

Das Epos dieses Großen Vaterländischen Krieges, der notgedrungen auf Tod oder Leben geführt werden musste, ist für eine Mehrheit der Russen damit zum einzigen positiven Haltepunkt einer geschichtlichen Erinnerung geworden, an der man sich aufrichten kann. Und dafür sind viele offenbar bereit, die Millionen sinnloser und verbrecherischer Opfer der Kollektivierungen, des Terrors und der Sklavenarbeit im Gulag mit den Abermillio­nen ohne Rücksicht auf Verluste in die Schlachten geworfenen Soldaten des Vaterländischen Krieges gleichsam unter einem großen Leichentuch oder wie in einem einzigen monumentalen Katafalk anonym zu begraben.

Russland hat sich noch nie wirklich erinnert

Anders ist es offenbar nicht zu ertragen. In ihrem soeben erschienenen Bildband mit Fotos von Misha Friedman zitiert sie Irina Flige von „Memorial“ in Petersburg und schließt sich deren zen­tra­lem Satz an: Vergessen setzt Erinnerung voraus – aber Russland hat sich noch nie wirklich erinnert.

Ja, natürlich, der Blick neuer Generationen kann sich nicht nur zurückwenden, er muss auch nach vorne gehen. Nur dass in Zeiten globaler Unsicherheit und Umwälzung wie heute das Bedürfnis nach Rückversicherung und Halt in der eigenen Geschichte allenthalben wieder wächst, in Russland vielleicht mehr als anderswo. Und je mehr diese Geschichte verstümmelt oder verdrängt, verkitscht oder heroisiert wird, desto besser lässt sie sich innen- wie außenpolitisch missbrauchen.

Masha Gessens Buch hilft uns besser, tiefer zu verstehen, warum dieses Land mit seiner großartigen Kunst und Kultur, seinen ungeheuer begabten Menschen, unerschöpflichen Ressourcen und unerschlossenen Räumen erneut in jenen fatalen Zirkel autokratischer Herrschaft und imperialer Überspannung, gesellschaftlicher Entmündigung und bereitwilliger Selbstentmündigung einzuschwenken beginnt, der es schon in zaristischen wie in sowjetischen Zeiten von Europa so oft und so weit fortgetrieben hat.

Wie heute auch wieder, zu seinem wie zu unser aller Unglück. Und deshalb erhält Masha Gessen für ihr radikal illusionsloses und doch tief anteilnehmendes Buch heute hier in der alten Bücherstadt Leipzig zu Recht diesen Preis zur Europäischen Verständigung.

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1 Kommentar

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  • Könnten bitte Herr Koenen wie auch die "taz" bitte verstehen, dass "gay" nicht mit "schwul", sondern mit "homosexuell" oder "schwullesbisch" zu übersetzen ist.

    Eine Worschöpfung wie "Gayropa" wäre dementsprechend zu übersetzen.







    Es nervt, dass selbst linke Medien alle nicht-heterosexuellen Menschen sprachlich auf den schwulen Mann reduzieren - der Mann als Prototyp, mal wieder.

    Und das in einem Text über eine lesbische Frau.