Markus Söders Kreuzerlass: Wie im Himmel, so in Bayern
Ab Juni sollen in bayerischen Amtsstuben Kreuze hängen. So will es Markus Söder. Und vielen Leuten gefällt das auch noch. Warum?
Der Gipfelkreuzhacker hatte zugeschlagen. Wieder einmal.
An Pfingsten hatte er das Kreuz von der Dudl-Alm erwischt.
Am 30. Juli das Kreuz vom Prinzkopf.
Am 1. August das Kreuz vom Lärchkogel.
Und jetzt den Schafreuter.
Der mutmaßliche Täter war von Zeugen beobachtet worden: ein Mann mit schwarzen Haaren und Kapuze. Möglicherweise ein Schweizer Freidenker, ein Christenhasser, so erste Recherchen der Polizei Bad Tölz. Doch der Täter wurde nicht gefasst.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Stattdessen stellte die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ ein neues Gipfelkreuz auf und forderte auf Facebook „Respekt für unsere christlichen Werte und bayerischen Traditionen“. Der Alpenverein nahm es ab, es war nicht wetterfest. Und stellte ein neues auf. Ein Unbekannter sägte dieses Kreuz an. Ein Unbekannter fällte es ganz. Der Alpenverein reparierte das Kreuz mit Stahlschienen. Seitdem ist Ruhe.
Früher war das Kreuz in Bayern eine Selbstverständlichkeit, als Feldmarterl stand es am Wegesrand, als Kruzifix hing es in Schulen und Gerichtssälen, keiner störte sich daran. Jetzt ist das Kreuz, vereinnahmt von Wanderern, Rechtsextremen, Atheisten und der CSU, Symbol eines Kulturkampfes geworden.
Warum macht die CSU so einen Schmarrn?
Am 24. April 2018 entschied die Staatsregierung, dass ab Anfang Juni in den Eingangsbereichen aller Landesbehörden des Freistaates Bayern gut sichtbar ein Kreuz hängen solle, als „Bekenntnis zur Identität“ und „kulturellen Prägung Bayerns“. Das Kreuz, so Ministerpräsident Markus Söder, sei „nicht ein Zeichen einer Religion“, es stehe für elementare Werte wie Nächstenliebe, Menschenwürde und Toleranz. Söder hängte dann gleich am Eingang der Staatskanzlei ein Kreuz auf, gesegnet durch den früheren Kardinal von München, Friedrich Wetter. Überall waren Kameras. Söder sah dabei ein bisschen wie ein Vampirjäger aus, warf ihm später der ebenfalls gläubige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, vor.
Ziemlich viele Leute nördlich des Frankenwaldes und westlich der Donau fragen sich: Warum macht die CSU schon wieder so einen Schmarrn?
Peter Gauweiler lässt sich ein bisschen Zeit, bevor er darauf antwortet.
„Angenommen, ein Reporter der taz wechselt in die Politik“, sagt Gauweiler, er war mal CSU-Abgeordneter, bayerischer Umweltminister und Leiter der Münchner Sicherheits- und Ordnungsbehörde. „Und will Bürgermeister werden, in seiner Heimat, mit einem emanzipatorisch durchsäuerten Programm.“ Das R in „emanzipatorisch“ grummelt. „Wenn er es geschafft hat, dann hängt er vor dem Rathaus eine Regenbogenfahne auf. Das ist euer Zeichen.“
Pause. Gauweiler grinst.
„Ich fände das irgendwie großartig! Einerseits. Andererseits würde ich mich trotzdem aufregen und mein Kreuz dagegen halten. Aber solche gefühlsstarken Reaktionen machen den Menschen zum Menschen. Des san wir halt.“
Peter Gauweiler ist 68 Jahre alt, seit 2015 sitzt er nicht mehr im Bundestag. Er hat nichts zu verlieren, und er hatte nie Probleme, sich mit seiner Partei anzulegen. Aus seiner Zeit bei der Münchner Stadtverwaltung nahm er einen CSU-typischen Ruf als Law-and-Order-Politiker mit, kritisierte aber auch den Bundeswehreinsatz im Kosovo, klagte gegen den Vertrag von Lissabon und hatte 2009 mit Oskar Lafontaine einen Links-rechts-Renegaten-Bierzeltauftritt am Münchner Nockherberg.
Reflexe in Bayern und in Preußen
Was ist mit der Trennung von Staat und Kirche? Gauweiler spricht über „deklaratorische Festlegungen des Staates“: Osterferien. Weihnachtsferien. Schutz der Feiertage. Tanzverbote an Karfreitag und Karsamstag. „Diese Prägung gehört zur gesellschaftlichen Grundordnung“, sagt Gauweiler. „Und eine politische Formation wie wir wird gewählt, um dieses Prinzip zu verteidigen, wenn es schwach wird.“
Gauweiler sieht wirklich so aus, wie man ihn von Karikaturen kennt: Schnauzer, mächtige Augenbrauen, die sein Gesicht in zwei Hälften teilen, Trachtenjanker. Er trägt fliederfarbene geriffelte Socken. Aus dem Fenster seines Büros sieht man den Bayerischen Hof, auf dem Fensterbrett steht ein Foto von Leo Kirch, den Gauweiler im Prozess gegen die Deutsche Bank vertreten hat.
Gauweiler, als begnadeter Populist bekannt, freut sich über die Diskussion über Söders Kreuzerlass. Endlich mal wieder ein großes innenpolitisches Thema. Keine Baustellendiskussion, sondern die großen Fragen: „Woher? Und vielleicht auch: wohin?“
Wie immer, wenn in Bayern Wahlkampf ist, beschäftigte das bald die ganze Republik. Söder hatte sein Kreuz gerade erst aufgehängt, als er in der Frankfurter Rundschau zum „Kreuzzügler“ erklärt wurde und Twitter-Nutzer auf einem Foto das Kreuz in Söders Händen durch einen Dildo, Joint oder Lauch ersetzten. Man konnte beinahe in Echtzeit einen antibayerischen Reflex außerhalb Bayerns beobachten und einen darauf folgenden antipreußischen Reflex in Bayern. So weit, so kalkuliert.
Sicher rechnete die CSU auch mit der Zustimmung der Kirche. Als das Bundesverfassungsgericht 1995 Teile der bayerischen Grund- und Volksschulordnung für nichtig erklärte, die vorschrieben, dass Kreuze in Klassenzimmern zu hängen hatten, organisierte die katholische Kirche eine Demo. Mehr als 25.000 Menschen versammelten sich auf dem Münchner Odeonsplatz, Bauern, Handwerker, fünfzehn katholische Bischöfe, Nonnen und Priester, viele hatten Holzkreuze dabei. Ihr Motto: „Das Kreuz bleibt“. Ministerpräsident Edmund Stoiber und fast das halbe Kabinett waren auch dabei.
Die Kirche wehrt sich
Der Beschluss aus Karlsruhe änderte wenig, die Kreuze in bayerischen Schulen blieben. In Gerichtssälen hängen ebenfalls welche, wenn auch nicht vom Gesetz vorgeschrieben.
2018, nach dem Kreuzerlass von Markus Söder, ist die Kirche kritischer. Die erste christliche Stimme, die sich in die Debatte einklinkte, war die des Würzburger Hochschulpfarrers Burkhard Hose. Er schrieb einen offenen Brief an Markus Söder und veröffentlichte ihn auf Facebook: „Ich bitte Sie eindringlich: Beenden Sie den Missbrauch des Christlichen und seiner Symbole als vermeintliches Bollwerk gegen den Islam.“ Ein paar Tage später sagte Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und damit der oberste Katholik Deutschlands, in einem Interview: „Es steht doch dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeutet.“ Es sei nie das Symbol für ein bestimmtes Land oder eine Kultur.
Peter Gauweiler spielt die Entfremdung zwischen der CSU und der Kirche herunter: „Diese Aktion von Markus Söder hat die Verbindung mit der Basiskirche wahnsinnig gestärkt.“ Gauweiler, sehr braun gebrannt übrigens, erzählt von einem Ausflug Anfang Mai nach Bichl bei Bad Tölz; dort trafen sich die Gebirgsschützenkompanien. Er zeigt Fotos auf seinem Handy. Reihe hinter Reihe hinter Reihe von Trachtlern, 4.500 Leute waren da, der Himmel mehr blau als weiß, und der Bischof von Augsburg hielt eine Rede, in der er sich sehr bedankte bei Markus Söder für den Kreuzbeschluss. Riesenbeifall, sagt Gauweiler.
Er glaubt, die Kritik der Kirche kam nur von vereinzelten, mächtigen Stimmen. Die Mehrheit sei für den Kreuzerlass. Doch selbst in der CSU war Söders Vorstoß umstritten: Marion Kiechle, die neue Wissenschaftsministerin, sagte drei Tage nach Söders Verkündigung in einer Talkshow: „Ich fand das jetzt keine besonders kluge Idee.“ Einen Tag später gab sie eine Erklärung ab: Sie stehe klar zum Beschluss des Kabinetts.
Gauweiler sagt: „Zu der Sache mit dem Kreuz, da rät einem eine Werbeagentur ja nicht zu. Das hat eine gewisse Tapferkeit erfordert. Das war alte Schule. Ganz alte Schule. Und wer Mut hat, der macht auch Mut.“
Finden die Bayern das wirklich gut?
Ein paar Tage nach Söders Kreuzerlass ließ der Bayerische Rundfunk die bayerischen Bürger befragen: Wie finden Sie das Kreuz in Behörden? 56 Prozent fanden das gut. 38 Prozent schlecht. Deutschlandweit fanden es 64 Prozent schlecht.
Warum finden die Bayern das so gut? Oder: Finden die Bayern das wirklich so gut?
Der Wortlaut der Umfrage im Bayerischen Rundfunk lautete: „In Bayern soll künftig im Eingangsbereich jeder Landesbehörde ein Kreuz als Symbol bayerischer Identität und Lebensart angebracht werden. Finden Sie das gut oder nicht gut?“
Man kann zwei Dinge darunter verstehen. Erstens: Schön, dass da ein Kreuz hängt. Zweitens: Super, dass der Söder unser Symbol aufhängt. Es wird viele Christen geben, die sich freuen, dass Kreuze auf- statt abgehängt werden, die aber den Wahlkampfmove von Markus Söder ablehnen. Und es wird viele Leute geben, die das Kreuz an sich wenig interessiert, die sich aber über den Akt des schwungvollen Aufhängens freuen, weil da ja ihr Abendland verteidigt wird. Dazu passt eine Umfrage aus Österreich: Dort wollten 80 Prozent der Befragten, dass Österreich ein christliches Land bleibt. 7 Prozent gehen regelmäßig in die Kirche, einer von drei Christen glaubt an die Auferstehung. Dazu passt auch das Kreuz in seiner Dresdner Variante, schwarz-rot-gold gestrichen, das besonders an Montagen gesichtet wird, wenn Pegida demonstriert.
Michael Brenner sitzt in seinem Büro im Historischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich noch einmal mit einem Kreuzerlass beschäftigen muss“, sagt er.
Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und schrieb 2002 einen Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Damals gab ein bayerisches Gericht einem Lehrer recht, der mit einem Kreuz im Klassenzimmer nicht unterrichten wollte. Jetzt hat Brenner wieder einen Artikel geschrieben. An seiner Argumentation hat sich nicht viel geändert, sagt er.
Ein Zeichen der Ausgrenzung
Michael Brenner ist bayerischer Jude. Er wuchs in Weiden in der Oberpfalz auf, dem ersten größeren Ort hinter der tschechischen Grenze, wo amerikanische Soldaten seinen Vater, der aus Polen geflohen war, aus dem Jeep geworfen hatten. Auf dem Gymnasium in Weiden gab es damals fünf Klassen. In vieren davon waren ausnahmslos Katholiken. In der fünften waren die Protestanten untergebracht und die vier Schüler, die nirgends reinpassten: ein neuapostolischer Christ, ein iranischer Muslim, ein Atheist – und Michael Brenner.
Im Klassenzimmer hing selbstverständlich ein Kreuz. Brenner sagt, damals als Kind sei ihm das nicht so klar gewesen, aber später doch: Natürlich war das Ausgrenzung. „Im öffentlichen Raum sollte sich jeder gleichbehandelt fühlen“, findet Brenner. „Inzwischen ist es ja gar keine so kleine Minderheit mehr, die nicht christlich ist. Da gehört es zum Respekt dazu, in der Öffentlichkeit keine christlichen Symbole zur Schau zu stellen.“
Brenner, der eigentlich sehr kontrolliert spricht und gestikuliert, sagt etwas fassungslos: „Ich dachte wie viele, dass die Tendenz in eine andere Richtung geht. Dass man vielleicht in Gerichtssälen die Symbole der dominanten Religion abhängt und nicht noch in zusätzlichen Räumen Kreuze aufhängt. Schon aus demografischen Gründen.“
Noch ist die Hälfte der Bevölkerung in Bayern katholisch, 20 Prozent sind evangelisch. Doch jedes Jahr treten in Bayern 70.000 Menschen aus einer der beiden großen Kirchen aus. Wie christlich ist Bayern?
Und Jesus surft aus der Kirche
An Christi Himmelfahrt, anderswo als Vatertag bekannt, haben sich 250 Besucher in der Kirche „Mariä Geburt“ in Anzing im Münchner Umland versammelt. Hinten sitzen Rentner, vorne Familien. Zwischen den Holzbänken im Gang steht auf einem Podest eine Jesusfigur. Die rechte Hand segnet, die linke Hand hält einen Stab, der in ein Kreuz mündet. Am Heiligenschein ist eine Öse befestigt, daran hängt ein Stahlseil.
Der Pfarrer liest aus der Apostelgeschichte: Jesus verkündet den Jüngern, dass der Heilige Geist auf sie herabkommen werde. „Und als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf von ihren Augen weg.“
Das Seil spannt sich, die Jesusfigur kippt und steigt langsam auf. Jesus kreist gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse. Auf seinem Sockel sieht er ein bisschen aus wie einer der Surfer vom Münchner Eisbach, zwanzig Kilometer weiter westlich.
Es ist ganz still in der Kirche, alle schauen hoch. Oben, durch ein Loch im Kirchenschiff, sieht man einen Arm, der eine Kurbel dreht. Es quietscht, es riecht nach Weihrauch. Nach drei Minuten ist Jesus aufgefahren, die Gemeinde singt: „Christ ist erstanden von der Marter alle.“
Nach der Predigt sagt der Pfarrer, er finde es schön, dass jetzt Kreuze in Behörden hängen sollen. Das bewahre die christlichen Werte. Auch wenn die Begründung von Söder falsch sei. Obwohl so ein echtes Himmelfahrtsaufziehen, eine barocke Tradition, wie sie es in Bayern nur noch ganz selten gibt, natürlich schon lockt, hat auch seine Gemeinde zu kämpfen. Glauben ist nicht mehr selbstverständlich.
„Jesus war ein Freak“, sagt der Hergottschnitzer
In ihrer Geschichte holte die CSU das Kreuz immer dann heraus, wenn sie sich bedroht fühlte. Zur Gründungszeit sah sie es als historische Aufgabe Bayerns, Deutschland vor dem Abgleiten in Gottlosigkeit und Sozialismus zu schützen. In den Neunzigern, als das Bundesverfassungsgericht die Schulkreuze abhängen lassen wollte, kämpfte sie gegen den Wertewandel. Sie machte die Kreuzfrage zur Kulturfrage: Christlich-abendländische Tradition oder Multikulti? Dieses Thema spielt sie seitdem in Variationen, oft unter dem Begriff „Leitkultur“. Das Kreuz ist für sie ein Abwehrsymbol. Es fasst etwas, von dem viele Leute befürchten, dass es verloren geht.
Am Haus von Hubert Janson im Chiemgau hängt ein Jesus. Ohne Kreuz. „Ich wollte ihn befreien“, sagt Janson. Er ist das, was man in Bayern einen Herrgottschnitzer nennt und überall sonst einen Holzbildhauer. Er schnitzt Maibaumfiguren, verziert Bauernmöbel und zimmert Feldkreuze, Wandkreuze, Grabkreuze. Er sagt: „Jesus war ein Freak. Ein Revoluzzer. Ein tolles Vorbild.“
Janson, ein sanfter, braun gebrannter kleiner Mann, lebt sein Leben lang im Chiemgau, ein paar Kilometer vom Chiemsee entfernt. Sein Vater, ein Donauschwabe, kam nach dem Krieg als Flüchtling aus Ungarn. Janson wuchs als drittes von fünf Geschwistern auf, der Vater Schreiner, beide Brüder Schreiner; Hubert, machst was anderes, wirst Holzbildhauer.
Janson ging in die Lehre nach Niederbayern. Damals, in den Achtzigern, waren Kopiermaschinen ziemlich angesagt, Kreuze gingen in Serienproduktion. Janson machte die Fransen an den Rohlingen weg und arbeitete Details ein.
Mit 20, wieder zurück im Chiemgau, trat er aus der Kirche aus, eine heimliche Rebellion. Doch die Gemeindemitarbeiterin erzählte es dem Bürgermeister, und als der mal beim Essen bei den Jansons war, fragte er plötzlich: „Hubert, warum bist du denn ausgetreten?“ Der Vater, als Flüchtling sein Leben lang bemüht um Anpassung, drohte mit Enterbung.
Die CSU, eine „Polarisierungsfirma“
Heute macht Janson vielleicht zehn Kreuze pro Jahr, ein kleines dauert eine Woche, ein großes vier. Vor allem Bauern bestellen bei ihm, Feldkreuze. Für sie sind es Symbole der Zugehörigkeit. Und der Dankbarkeit. Wenn das Haus umgebaut wurde. Wenn der neue Stall fertig ist. Janson versteht dieses Denken. Er hat gerade zusammen mit anderen ein altes Bauernhaus renoviert. Gut geglückt ist das, zum Dank wird er zwei Kastanien pflanzen und mit seiner Frau nach Altötting pilgern.
Angenommen, das Landratsamt ruft bei Janson an und fragt nach einem Holzkreuz für den Eingangsbereich. Dann würde er sagen: „Sollen’s woanders machen lassen. Christen brauchen das nicht, was der Söder gemacht hat.“ Für ihn ist der Kreuzerlass billig, zum Schämen. Die CSU nennt er eine „Polarisierungsfirma“.
Ein paar Kilometer von Jansons Haus entfernt steht ein Feldkreuz unter einer einzelnen Linde. Janson hat es vor ein paar Jahren restauriert. Wenn er in der Gegend ist, hält er manchmal an. Ihn freut, dass jemand ein Kreuz an den Wegesrand stellt. Es zeigt, dass sich wer kümmert. „Das prägt unsere Heimat“, sagt er.
Das Kreuz ist aus Eiche, überdacht, verzinktes Blech mit Grünspanimitat, Kupfer wird oft geklaut. Jesus hat die Augen geschlossen, die Brauen sorgenvoll. Eine Raupe klettert über seinen Körper.
Janson fährt weiter, am Kreuz vorbei zum Bauernhaus von Horant Hohlfeld; der ließ das Feldkreuz aufstellen. Hohlfeld, ein großer, schlaksiger Rentner mit Basecap und dichtem grauem Haar, steht vor dem Werkzeugschuppen. Seine Arbeitshose, eine alte Armani-Jeans, ist voll mit Staub und Sägemehl.
Janson und Hohlfeld reden, auch über das restaurierte Feldkreuz. „Das war sauteuer, Hubert“, sagt Hohlfeld.
Janson hat eine Theorie
Zum Einzug schenkte ein Nachbar ihm einen Baum, die Linde. Und Hohlfeld dachte: Da muss ein Kreuz dazu. Ein Bekannter hatte noch ein Feldkreuz auf dem Speicher liegen, rund 150 Jahre alt.
„Ich liebe mein Kreuzchen“, sagt Hohlfeld. „Einen tollen Kopf hat der Jesus, er hat Würde.“ Immer wenn Hohlfeld seine Einfahrt passiert, schaut er das Kruzifix an und denkt: „Hallo, ich bin zu Hause.“
Hohlfeld kommt aus Köln, er hat sich im Filmgeschäft bis an die Spitze hochgearbeitet, ein Selfmademan. „Denn selbst muss der Freie sich schaffen“, zitiert er Wagners Walküre.
Vor knapp zwanzig Jahren zog er in den Chiemgau, er möchte nie wieder weg. „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, sagt er. Die Leute selbstbewusst. Gläubig. Früher, erzählt er, haben sie hier den Hut vor jedem Kreuz abgenommen. Er selbst ist aus der Kirche ausgetreten.
Und Söders Verordnung? Findet Hohlfeld gut. „Er steht ein für das, was wichtig ist.“ Aufregen kann er sich über Reinhard Marx, den Bischof aus München, der Söder kritisierte. Hohlfeld sagt: „Müssen wir jetzt zu jedem Kreuz einen Halbmond dazuhängen?“ Janson schweigt.
Später, im Auto, sagt Janson, er hat da eine Theorie, warum die beiden sich so ähnlich und doch uneinig sind. „Ich bin hier verwurzelt, hab Freunde, Familie, Tradition. Ich brauch kein Kreuz, das mir Heimat gibt.“ Und Horant, sagt Janson, der ist nicht verwurzelt. Und jetzt greift er nach etwas.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt