Marion-Dönhoff-Preis für Seyran Ateş: Aneckend und robust
Die Anwältin und Frauenrechtlerin steht für einen liberalen Islam. Jetzt wird sie für ihr bürgerrechtliches Engagement ausgezeichnet.
Indes lässt sich nicht feststellen, dass Ateş, bekennende Berlinerin und gebürtige Istanbulerin, sich von diesen Zickereien einschüchtern lässt. Auch nicht, als sie jüngst in Österreich bei einer Veranstaltung der rechten Regierungspartei FPÖ sprach. Diese Deutsche – sie hat ihren türkischen Pass zurückgegeben – besteht darauf, sich den Mund nicht verbieten zu lassen: Was bleibt ihr als bekennender Feministin auch sonst übrig?
Ateş war nie eine Freundin des von ihr abgeforderten Solidaritätsmiefs. Denn sie war schon eine aneckende, robust, trotzdem stets konziliant streitende Person, als der ‚weiße‘ politische Mainstream in Deutschland Migrant*innen, deutsche Neubürger*innen nur in der Rolle der Gastarbeiter*innen sehen wollte – buchstäblich: Gäste, die irgendwie schon deshalb schon nicht wahrgenommen zu werden brauchen, weil sie ja wieder gehen.
Nein, Ateş wollte nie gehen. Sie ist auch eine Überlebende, und zwar eine aus Deutschland. Sie entstammt einer patriarchalen, durchaus innerfamilial gewaltbereiten Familie, sie kennt die Schläge der Eltern, sie kennt die Verhältnisse, die so viele der Einwanderer*innen mitbringen und die ja in Deutschland auch noch nicht so lange wenigstens moralisch geächtet sind.
Das wollte sie hinter sich lassen, kämpfte auf ihrem Weg zur inzwischen renommierten Anwältin sich aus den angestammten Verhältnissen heraus. 1984 wurde sie von einem Mann aus dem Graue-Wölfe-Milieu lebensgefährlich angeschossen – sie konnte gerettet werden.
Weltliches geht über religiöses
Als Mitglied der Islamkonferenz, wie in vorigen Woche, ficht sie für einen säkularen Islam. Das heißt, dass Religiöses sich der weltlichen Ordnung zu unterwerfen hat. Jede*r kann glauben – aber dieser Glauben steht nicht über den Gesetzen. Islamisches ist für sie persönlich wichtig – aber nur als Quelle der Spiritualität, nicht als Anleitung gegen freiheitliche Errungenschaften wie der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen.
Islamisten, das versteht sich, sind keine Alliierten für sie. In zahlreichen Büchern hat sie als deutsche Verfassungspatriotin ihre öffentlichen Marken gesetzt, etwa in der 2013 veröffentlichten Schrift „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“.
Sie lebt in Berlin, auch als Teil der von ihr mitbegründeten Ibn-Rushid-Goethe-Moschee, in der eine liberale Auffassung vom Glauben gelebt wird.
Am Sonntag erhält sie, die schon etliche Preise zuerkannt bekommen hat, den Marion-Dönhoff-Preis für ihr bürgerrechtliches Engagement. Ihr Publikum muss wünschen, dass sie, die viele nervt und ebenso viele in dieser Nerverei prinzipiell erfreut, mit ihrem Engagement nicht inne hält. Für sie soll’s rote Rosen regnen!
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