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Marinechef im Gespräch über Krieg„Wir sind die Letzten, die Hurra schreien“

Ehemals Pfadfinder, heute Marinechef: Jan Kaack im Gespräch über Pazifismus, Zeltbahnen und die russische Bedrohung.

„Vieles, was ich heute mache, habe ich bei den Pfadfindern gelernt“: Jan Kaack alias Bamse in Berlin Foto: Doro Zinn
Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

An einem Morgen Ende Mai streckt mir Jan Kaack in seinem Büro im Verteidigungsministerium in Berlin die linke Hand entgegen. Ich stutze und erinnere mich: Stimmt, so grüßt man sich unter Pfadfindern, der kleine Finger wird dabei abgespreizt. Wir haben uns lange nicht gesehen. In den 90ern waren wir zusammen bei den Pfadfindern nördlich von Kiel. Jan Kaack ist 15 Jahre älter, er arbeitete damals schon für die Bundeswehr, leitete aber ehrenamtlich unseren Bund, einen Zusammenschluss mehrerer Pfadfinderstämme. Ich leitete als Jugendliche eine kleine Gruppe. Heute ist er Chef der Marine. Wir sind zum Gespräch verabredet, weil auch die Pfadfinder daran ihren Anteil haben, wie er bei einem Telefonat erzählte.

taz: Jan Kaack, ich kenne dich eigentlich nur als „Bamse“. Darf ich dich auch im Interview so nennen?

Jan Kaack: Gerne.

taz: Bamse, woher kommt dieser Name?

Kaack: Das ist Schwedisch und heißt „Kleiner Bär“. Meine Schwester hat sich das ausgedacht. Aber was der Hintergrund war, daran erinnere ich mich nicht mehr.

Im Interview: Jan Kaack

Der Mensch

Jan Kaack, geboren 1962, ist verheiratet und hat drei Kinder. Kaack, parteilos, bewarb sich 2012 bei der Kieler SPD für die Kandidatur als Oberbürgermeister, unterlag aber Susanne Gaschke.

Der Soldat

1982 ging er zur Marine. Kaack studierte Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, anschließend diente er auf verschiedenen Booten und Schiffen, auch im Ausland. Er war zudem im Verteidigungsministerium tätig. Bis 2021 war er Kommandeur des Joint Warfare Center der Nato in Norwegen. Im Frühjahr 2022 wurde er Inspekteur der Marine.

taz: Man muss wissen: Bei den Pfadfindern tragen viele einen sogenannten Fahrtennamen, der oft eine Eigenart abbildet.

Kaack: Jemand heißt Hüpf, weil er hüpft, oder Schlampi, weil er eine gewisse Neigung zu Unordnung hat, und ich bin eben getauft auf Bamse, wahrscheinlich ob meiner zierlichen Figur.

taz: Identifizierst du dich noch mit dem Namen?

Kaack: Ich identifiziere mich mit dem, was ich bei den Pfadfindern gewesen bin, ob als Bamse oder als Jan ist sekundär. Was ich da erlebt habe, die Freunde, die ich gefunden habe, das lässt mich nicht kalt.

taz: Wie genau haben die Pfadfinder dich geprägt?

Kaack: Ich kann das am besten über die Fahrten erklären. Als Jugendlicher mit Verantwortung für sechs andere Jugendliche zwei oder drei Wochen durch die schwedische Wildnis zu wandern, das zeigt einem, was Führung bedeutet. The Beauty of Leadership, würde ich heute sagen. Welche Fähigkeiten Menschen haben, was wichtig ist im Umgang mit ihnen. Wir haben die Zeltbahnen getragen, jemand musste das Essen nehmen, den Kochtopf, die Axt. Sich im Team zu verständigen, was man leisten kann, wie man die Dinge verteilt, das habe ich da schon erlebt.

taz: Der Zusammenhalt war wichtig. Man war füreinander da.

Kaack: Zu 100 Prozent. Das zeigt sich in Extremsituationen, aber sonst auch.

Wenn man in der Wildnis steht mit einer Gruppe Jugendlicher und es gibt ein Problem, alle gucken auf einen: Dann muss man ruhig bleiben, abwägen, einen Ausweg finden

taz: Du bist 1982 zur Bundeswehr gegangen und kamst schnell in Leitungsfunktionen. Heute bist du Inspekteur der Marine. Für diesen Weg waren die Erfahrungen bei den Pfadfindern hilfreich?

Kaack: Ja, diese Zeit hat mich wirklich sehr bestimmt. Ich war erst auf Schnellbooten. Wenn man eine Gruppe von 30 Menschen auf einem Schnellboot für eine Idee begeistern kann, dann ist das nichts anderes, als wenn ich die Pfadfinder dafür begeistere, ein neues Pfadfinderheim zu bauen. Das lässt sich ganz abstrakt sogar auf rund 16.000 Menschen in der Deutschen Marine übertragen, es ist nur ein bisschen schwieriger und dauert länger. Letztlich kann ich sagen: Vieles, was ich heute mache, habe ich bei den Pfadfindern gelernt.

taz: Was zum Beispiel?

Kaack: Das Prinzip, den Einzelnen im Blick zu haben, niemanden zurückzulassen. Für seine Überzeugungen einzutreten und dafür zu werben. Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und sich mit Menschen zu umgeben, die sich trauen, dir auch mal den Spiegel vorzuhalten. Das ist ganz wichtig in meiner jetzigen Position. Ich hatte immer Leute um mich, die mir unter uns auch mal gesagt haben: So wollen Sie doch nicht wirklich wirken, oder? Verlässlichkeit und Ruhe zu bewahren. Wenn man in der Wildnis steht mit einer Gruppe Jugendlicher und es gibt ein Problem, alle gucken auf einen: Dann muss man ruhig bleiben, abwägen, einen Ausweg finden.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Ruhe bewahren musst du heute sicher öfters. Du bist im Januar 2022 Marinechef geworden, erst kommissarisch, ab März offiziell. Du hast diesen Job also einen Monat vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine übernommen. Wir haben bei den Pfadfindern gelernt, Verantwortung zu übernehmen, aber das ist dann doch sehr viel Verantwortung.

Kaack: Ich war seit Oktober 2021 Stellvertreter des Inspekteurs. Wir haben uns auf alle Möglichkeiten vorbereitet, auch auf die schlimmste. Wir haben nicht wirklich gedacht, dass Putin das wagt, aber wir haben es ins Kalkül gezogen. Dann kam der 24. Februar. Meine ersten Gedanken waren bei den Besatzungen draußen. Was passiert jetzt in der Ostsee? Wie fühlen sich unsere Partner im Osten? Ich habe mit unseren Freunden im Baltikum, in Finnland und Schweden gesprochen und am nächsten Tag befohlen: Alles, was schwimmt, geht raus. Die ganze Flotte in den Osten, um ein Zeichen zu setzen: Ihr seid nicht allein.

Ich nehme eine neue Ernsthaftigkeit wahr. Es ging ein Ruck durch die Marine, emotional, aber auch organisatorisch

taz: Die Hälfte der Schiffe lag am 24. Februar in Werften. So richtig verteidigungsfähig war Deutschland auf dem Wasser nicht.

Kaack: Es hätte besser sein können. Aber die Frage ist ja, stecke ich dann auf, oder mache ich etwas mit dem, was da ist. Unsere Partner im Baltikum waren in großer Sorge. In diesen Zeiten mit der Fregatte Sachsen 6.000 Tonnen Solidarität im Hafen von Tallinn liegen zu haben, das war sehr wertvoll.

taz: Drei Tage später hat Olaf Scholz die Zeitenwende ausgerufen. Warst du da im Bundestag?

Kaack: Nein, aber es reichte trotzdem für Gänsehaut. Weil ich das Gefühl hatte, Deutschland hat verstanden, dass es Verantwortung übernehmen muss für andere, so wie andere Verantwortung für uns übernommen haben bis 1989. Und dass die Bundeswehr, die Deutschland schützt, besser ausgestattet werden muss. Wir wissen ja alle, dass in den letzten 30 Jahren Raubbau getrieben wurde an den Streitkräften.

taz: Seit dem 24. Februar gibt es wieder einen konventionellen Krieg in Europa. Wie hat das die Stimmung in der Truppe verändert?

Kaack: Ich nehme eine neue Ernsthaftigkeit wahr. Mit dem Befehl „Alles, was schwimmt, geht raus“ ging ein Ruck durch die Marine, emotional, aber auch organisatorisch.

taz: Inwiefern?

Kaack: Wir mussten vieles neu denken. Wie können wir Strukturen und Verfahren verbessern, um unsere Schiffe schneller und besser ausgestattet zu bekommen? Wenn ich beispielsweise Munition brauche zusätzlich zu der, die sowieso an Bord ist, muss ich normalerweise einen Antrag stellen, damit mir ein Depot die Munition zuliefert. Das kann schon eine Zeit lang dauern. Wir hatten aber keine Zeit. Wir mussten das Ziel fest im Blick haben und die ein oder andere alte Mauer beiseiteschieben. Dieser Spirit begleitet uns seitdem.

taz: Konntest du in dieser Zeit nachts schlafen?

Kaack: Es gab sehr viel zu tun, deshalb waren die Nächte manchmal kurz. Aber ich habe ein gutes Team, Menschen, die in die gleiche Richtung arbeiten.

taz: Die Lage hat sich in den letzten drei Jahren noch verschärft. In der Ostsee werden Unterseekabel beschädigt, es gibt Sabotageaktionen an Schiffen der Marine und Spionageversuche. Sind wir schon im Krieg?

Kaack: Was wir sehen, ist nicht Artikel 5 …

taz: … also kein bewaffneter Angriff auf einen Mitgliedsstaat der Nato.

Kaack: Aber es ist auch nicht mehr Frieden. Sabotageversuche bei unseren Schiffen, Ausspähversuche in den Kasernen, Drohnenüberflüge und Angriffe auf die kritische maritime Infrastruktur, ein zunehmend aggressiveres Verhalten der russischen Marine in der Ostsee. Man testet uns. Dazu beobachten wir seit Jahren die Anstrengungen der russischen Marine im Bereich Unterwasser. Sie sind da ziemlich weit entwickelt. Wir beobachten Forschungsschiffe der Russen, die für die Strecke von Skagen nach St. Petersburg, für die man normalerweise zehn Tage braucht, 310 Tage unterwegs sind, und dies immer schön entlang kritischer maritimer Infrastruktur. Also nein, wir sind nicht im Krieg. Und wir tun alles, um deutlich zu machen: Versucht es besser nicht.

taz: Wenige Tage nach dem Amtsantritt des alten neuen Verteidigungsministers Pistorius hast du ein Papier vorgestellt, den „Kurs Marine“. Darin warnt ihr: Spätestens 2029 sei Russland in der Lage, auch die Nato anzugreifen. Was könnte das für die Ostsee heißen?

Kaack: Hinter der hybriden Aggression baut sich eine existenzielle konventionelle Bedrohung auf, hier sind sich die Geheimdienste einig. Russland hat seine Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt. Im Falle eines Konflikts könnte es versuchen, die Nato zunächst mit konventionellen Mitteln aus der Ostsee zu drängen und eine See- und Lufthoheit aufzubauen. Von Kaliningrad und St. Petersburg aus könnten sie versuchen, die Region zu kontrollieren, die Nachschubwege im Baltikum und Skandinavien zu stören, diese Länder zu isolieren und sie im schlimmsten Fall zu besetzen. Unsere Aufgabe ist klar: Das müssen wir durch Abschreckung verhindern. Und daran arbeiten wir mit Nachdruck: Verteidigungsbereitschaft und Abschreckungsfähigkeit.

taz: Im Moment bist du allerdings der Inspekteur mit der kleinsten Marine in der deutschen Nachkriegsgeschichte …

Kaack: Das versuchen wir zu ändern. Für die Zukunftsflotte brauchen wir einen hybriden Ansatz von bemannten und unbemannten Systemen. Weil Beschaffung dauert, nehmen wir zusätzlich unsere bestehende Flotte jetzt anders in den Fokus. Sie muss besser verfügbar und besser ausgerüstet sein. Wir sind inzwischen auch schneller bei Innovationen. Wir haben letztes Jahr beispielsweise ein großes unbemanntes Unterwasserfahrzeug getestet, es wird dieses Jahr eingeführt. Das ging verdammt schnell.

taz: Manche sagen, das Szenario 2029 werde strategisch genutzt, um die Bevölkerung für die hohen Militärausgaben zu gewinnen.

Kaack: Das ist doch absurd, wenn man sich anschaut, welche Brutalität Russland in der Ukraine seit über drei Jahren an den Tag legt. Mir ist bewusst, dass die Zeit, in der wir leben, Ängste bei den Menschen schüren kann. Wir wollen nicht alarmistisch wirken. Aber den Ernst der Lage müssen wir schon vermitteln. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Russland allerspätestens 2029 in der Lage sein wird, auch Nato-Gebiet anzugreifen. Das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Frage.

taz: Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Gesellschaft bereits verändert.

Kaack: Auf jeden Fall. Auf einmal war da ein ganz großes Interesse am Thema Sicherheit. Menschen in Uniform, die am Wochenende nach Hause gefahren sind, wurde nach dem 24. Februar auch schon mal auf die Schulter geklopft und gesagt: Danke für euren Dienst. Es gibt auch ein größeres Interesse der Medien.

taz: Zum Beispiel der taz. Wir haben eine starke Pazifismustradition. Bei vielen Kol­le­g*in­nen herrscht seit dem Überfall auf die Ukraine eine gewisse Ratlosigkeit. Die Notwendigkeit der Bewaffnung ist ja schwer zu bestreiten.

Kaack: Wir haben auch eine starke Tradition, den Frieden zu bewahren. Soldatinnen und Soldaten wissen, was Krieg bedeutet. Wir sind die Letzten, die Hurra schreien, wenn es dazu käme.

taz: Anders als du habe ich ein großes Unbehagen angesichts des Wettrüstens. Es wird wahnsinnig viel Geld für Dinge ausgegeben, von denen man hofft, dass man sie nie braucht. Die Anschaffung einer Fregatte ist genauso teuer wie das gesamte Wohngeld für das Jahr 2024, nämlich 2,5 Milliarden Euro, hat eine Kollegin ausgerechnet.

Kaack: Solche Vergleiche sind schwierig. Natürlich kann sich jeder vorstellen, Geld für andere Dinge auszugeben. Der innere Frieden ist extrem wichtig, die Gesellschaft darf nicht auseinanderbrechen. Aber ohne Freiheit und Sicherheit ist alles nichts. Dass diese hohen Kosten jetzt kommen, liegt auch daran, dass unsere Schiffe teilweise 30 oder 40 Jahre alt sind. Und dass die Zeiten, in denen wir sie zu anderen Preisen stetig hätten ersetzen können, nicht genutzt wurden. Es ist wichtig, dass Verteidigung ernst genommen wird, sie ist kein Selbstzweck.

„Wenn man mit 200 Leuten auf Fahrt geht ins Ausland, muss es ein Grundgerüst an Ordnung geben“, meint Jan Kaack Foto: Doro Zinn

taz: Wahrscheinlich passt es, dass du bei der Marine gelandet bist und ich bei der taz. Auch bei den Pfadfindern gibt es ja zwei Einflüsse, den eher militärisch geprägten von den Scouts und den der Jugendbewegung.

Kaack: Was die deutschen Pfadfinder ausmacht, sind beide Stränge unserer Geschichte. Militärisch würde ich den Einfluss der Scouts nicht nennen, für mich haben sie das Waldläuferwesen reingebracht. Mich hat fasziniert, mit Seilen umzugehen, Konstruktionen zu machen, Spuren zu lesen, diese Waldläufersachen fand ich klasse. Dann gibt es bei den Pfadfindern den musischen Anteil aus dem Wandervogel, mit den romantischen Ansätzen, dem Singen, dem Werken, sich für andere Kulturen interessieren, das Fahrtenerlebnis.

taz: Ich war in der Singfraktion und morgens müde, weil wir nachts oft sehr lange am Feuer saßen. Ich erinnere mich an Morgenrunden, die du geleitet hast, da warst du mir manchmal ein bisschen zu zackig.

Kaack: Das kann schon sein. Meine Erkenntnis war: Wenn man mit 200 Leuten auf Fahrt geht ins Ausland, muss es ein Grundgerüst an Ordnung geben, sonst hat man schnell Chaos. Wie viel Ordnung in einer Jugendgruppe nötig ist, muss man ständig abwägen. Von überzogenem Zackigsein halte ich jedoch nichts.

taz: Wir haben früher manchmal ein Lied über die Edelweißpiraten gesungen, eine Widerstandsgruppe in der Nazizeit. Das ist auch pazifistisch. „Doch seh’ ich Tausende – und das beruhigt mich sehr –, die zeigen offen das zerbrochene Gewehr. Und das macht Mut.“ Ich habe das inbrünstig gesungen. Du auch?

Kaack: Alle!

taz: Für mich hieß das so viel wie: Frieden schaffen ohne Waffen! Das fandest du gut?

Kaack: In der Situation der Edelweißpiraten war das mit dem zerbrochenen Gewehr ja richtig. In so einer Situation würde ich mir wünschen, dass wir mit oder ohne Gewehr zusammenstehen und so ein Unrechtsregime gar nicht erst wieder zulassen. Heute ist die Lage leider so, dass wir Waffen brauchen, um unsere Freiheit nach außen zu verteidigen.

taz: Mit der Wahl Trumps ist das noch dringender geworden. Seitdem ist fraglich, ob Europa sich auf die USA als Verbündeten noch verlassen kann. Deutlich wurde das spätestens bei der Rede von Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz, bei der er den Deutschen demokratische Defizite vorgeworfen hat. Wie hast du das erlebt?

Kaack: Ich saß in der siebten Reihe. Das war eine bemerkenswerte Rede, die ich unter Freunden so nicht gehalten hätte. Nicht, wenn man internationale Kooperationen ernst meint. Aber was sehe ich seitdem bei meinen Freunden der US-Navy in Europa? Keine Änderung, weiterhin die komplette Verlässlichkeit. Sie schicken die gleiche Anzahl von Schiffen zu den Übungen in Nordatlantik und Ostsee, wir sind weiter in enger Absprache. Aber wir stellen uns darauf ein, dass wir mehr Verantwortung übernehmen müssen.

taz: Dafür braucht ihr nicht nur eine bessere Ausrüstung, sondern vor allem mehr Personal.

Kaack: Personal ist absolut essenziell. Wir unternehmen sehr große Anstrengungen, um hier nach vorne zu kommen. Beispielsweise hatten wir im letzten Jahr 1.000 Praktikanten in der Truppe, wir haben unsere Präsenz in den sozialen Medien erhöht und vieles mehr. Mit guten Ergebnissen: Letztes Jahr gab es 15 Prozent mehr Neueinstellungen bei der Marine, die Kurve geht das erste Mal seit Jahren leicht nach oben. Das reicht aber nicht aus. Wir müssen auch die Anzahl derer, die wir bewerben dürfen, erhöhen.

taz: Was heißt das?

Kaack: Wir brauchen einen effektiven Wehrdienst – zum einen, um unsere Verteidigungsbereitschaft schnell zu erreichen, zum anderen auch, um jungen Menschen ein Verständnis davon zu geben, was Streitkräfte machen und welche Chancen sie bieten. Früher haben wir 25 bis 30 Prozent der Längerdienenden aus den Wehrpflichtdienenden gezogen. Ich habe auch mal so angefangen. Darüber hinaus werbe ich dafür, darüber nachzudenken, ob wir die Streitkräfte nicht auch für europäische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger öffnen sollten.

taz: Wäre die Marine denn in der Lage, Wehrdienstleistende aufzunehmen?

Kaack: Absolut. Wir können bis zu 1.650 noch in diesem Jahr aufnehmen und das kann sukzessive nach oben gehen. Zusätzlich zu den drei Schulen, die wir für die Grundausbildung haben, bauen wir Kapazitäten an zwei Stützpunkten auf.

taz: Wird ein freiwilliger Wehrdienst reichen? Oder braucht es doch wieder eine Wehrpflicht?

Kaack: Es ist ein erster Schritt. Ich bin ein Freund davon, anzufangen und nachzusteuern, wenn es nötig wird.

taz: Beim freiwilligen Wehrdienst müsst ihr attraktiv werden für breite Teile der Bevölkerung. In linken Milieus ist es bislang nicht gerade angesagt, zur Bundeswehr zu gehen. Wie wollt ihr das ändern?

Kaack: Durch Kommunikation, durch Transparenz und Wahrhaftigkeit. Es gibt genügend Menschen, die keine Ahnung haben, wie die Marine ist und welche Aufgaben sie hat. Die zu gewinnen, da würde ich Kraft reinsetzen, und nicht in die, die dagegen sind.

taz: Mal so ein linkes Vorurteil: Trifft man bei der Bundeswehr nicht auch viel auf rechte Deppen?

Kaack: Auf jeden Fall trifft man, wie im wahren Leben, auch auf Deppen. Extremisten jeglicher Couleur verraten unsere Werte Wir haben da sehr klare rote Linien aufgezeigt. Das wird rigoros verfolgt, solche Menschen wollen wir in der Bundeswehr nicht haben. Die Menschen, die ich in der Marine erlebe, stehen fest zu unseren demokratischen Werten und sind einem gemeinsamen Ziel verpflichtet: Deutschland und seine Menschen zur See zu schützen. Dafür nehmen sie große Härten in Kauf.

taz: Du bist an der Ostsee aufgewachsen und lebst dort auch heute. Wenn du am Strand stehst, was siehst du da? Freiheit und Weite? Oder hältst du Ausschau nach russischen Schiffen?

Kaack: Da rauszugucken, das fühlt sich stark nach Heimat an. Die Ostsee ist für mich ein Meer mit vielen Freunden und ein Meer mit einigen Fragezeichen, auf die wir besser aufpassen sollten. Klar, wenn die Welle acht Meter hoch ist, ist das Meer auch Bedrohung. Aber ansonsten ist es wunderschön.

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11 Kommentare

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  • "taz: Mal so ein linkes Vorurteil: Trifft man bei der Bundeswehr nicht auch viel auf rechte Deppen?



    Kaack: Auf jeden Fall trifft man, wie im wahren Leben, auch auf Deppen. Extremisten jeglicher Couleur verraten unsere Werte..."



    Ist schon schön, wie der Hr. Vizeadmiral "Bamse" Kaack hier nicht über das Stöckchen springt, welches ihm die Taz-Redakteurin da hinhält. Anscheinend ist Fr. Lang-Lendorff gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass man bei der BW die Augen nach allen Seiten offenhält.

  • "Extremisten jeglicher Couleur verraten unsere Werte"

    Auf der 'Rommel' gedient, auf der 'Mölders' gedient, da klappt's dann auch mit der Extremistenerkennung.

  • Vielen Dank Jan Kaack für die sehr ausgewogenen und durchdachten Antworten.

  • Ein außergewöhnliches Interview, Danke!



    Schön, hier die menschliche Seite kennenlernen zu dürfen.



    Da kann ich den Pfadfinderbezug persönlich gut nachvollziehen.



    Es ist an der Zeit, unsere Demokratie wachsam zu schützen, nach Innen, wie nach Außen.



    Mir scheint, mit Pfadfindern wie Herrn Kaack sind wir da auf einem guten Weg.



    Was die Zukunft des Wehrdienstes betrifft, so finde ich die Position, des ersten Schrittes richtig.



    Das ist ja auch die Position des Verteidigungsministers: machen was möglich ist.



    Erstmal Wehrerfassung, dann werben und währenddessen Strukturen aufbauen.



    Dieses strukturierte Vorgehen hat Hand und Fuß.



    Die "Idee" der Union, in diesem Jahr zum



    " alten Wehrdienst" zurück zu kehren, kann nur von Menschen stammen, die keinen Plan haben.

  • "...dir auch mal den Spiegel vorzuhalten. Das ist ganz wichtig in meiner jetzigen Position. Ich hatte immer Leute um mich, die mir unter uns auch mal gesagt haben: So wollen Sie doch nicht wirklich wirken, oder? Verlässlichkeit und Ruhe zu bewahren. Wenn man in der Wildnis steht mit einer Gruppe Jugendlicher und es gibt ein Problem, alle gucken auf einen: Dann muss man ruhig bleiben, abwägen, einen Ausweg finden."



    Romantische Erinnerungen, aber nahe am Ton einer Home-Story.



    b. zeit.de 2020



    "Bundeswehr:



    Frauen sind die Antwort



    Rassismus und Sexismus sind ein Problem in Polizei und Bundeswehr. Das hat auch damit zu tun, dass sie im Vergleich zur Gesellschaft ziemlich homogene Männervereine sind."

    2024 ein Kommentar b. esut.de



    "Die Lage ist inzwischen so verzweifelt, dass das Problem trotz der Angst vieler Bundeswehrangehörigen, Probleme nach oben zu melden, tatsächlich oben angekommen ist: Es gibt zu wenig Soldatinnen und Soldaten. Der Personalmangel in der Truppe ist schon jetzt so groß, dass bei der Marine Schiffe deswegen nicht fahren können. Es steht also nichts weniger als die Auftragserfüllung und „Kriegstüchtigkeit” selbst auf dem Spiel, und das ist eine gute Nachricht..."

  • Danke für die Infos.



    Es ist schon traurig, wie uns die Rüstungs Gewinnler, wieder in eine Richtung treiben.



    Erstaunlich, aber warum nicht die VSA als Saboteur der Gasleitungen genannt wird? Alle Firmen, die beim Bauen der Leitung dabei waren wurden übrigens von den VSA sanktioniert oder besser gesagt bestraft ohne Gerichte! - Demokratie, Freiheit nach VSA Maßstab?!?



    2,4Mrd Wohngeld ist eine Fregatte Wert? Israel bestellt 4 und bezahlt 1, danach will Israel das Geld der bezahlten Fregatte zurück - wegen den 6 Mil....



    5 Mrd gehen in die Ukraine ...



    Dafür sehe ich Deutsche Veteranen in Uniform vor Aldi betteln, weil sie zu schlecht für die Einsätze ausgerüstet, ausgebildet und ausgewählt waren und nicht mehr in die Gesellschaft angekommen sind.



    Schönen kommenden Veteranentag und Pfingsten wünsche ich allen! Möge der Verstand mit Euch sein!

  • Sehr gut. So sollten Medien viel öfter sein. Konkretion aufgrund gemeinsamer Geschichte und trotz aller Kontroversen konsequent im Gespräch bleiben.

  • Die Bedrohung ist doch viel mehr eine ganz andere. Russland unterstützt gezielt und sehr erfolgreich die pro-russische Partei AfD. sind die 2029 erstmal an der Macht mit der CDU als kleinen Koalitionspartner, haben wir für Russland aufgerüstet. Die CDU scheint vollkommen inkompetent darin zu sein, mit dieser Bedrohung effektiv umzugehen. Wenn Russland damit erfolgreich wären, hätten Sie mit Ungarn, Deutschland und evtl. bis dahin noch weiteren Staaten mächtige Unterstützer innerhalb der EU.

    • @Harmo-Nie:

      Ich verstehe auch nicht, warum nicht gerade die CDU die Russlandtreue der AfD immer wieder thematisiert. Wenn es etwas gibt, was die CDU zur Abgrenzung nutzen kann, dann doch die Tatsache, dass die AfD organisierter Landesverrat ist.

  • Auf jeden Fall sehr viel nüchterner und realistischer als der Militärhistoriker, der zuletzt in der taz zum Thema interviewt wurde.

    Ich hoffe, die Bundeswehr bewahrt die Idee des "Bürgers in Uniform". Bei allen Verteidigungsvorbereitungen sollte klar bleiben, was wir eigentlich verteidigen: Demokratie und Rechtsstaat.

    Das muss sich auch in den einzelnen Offizierinnen und Offizieren und Soldatinnen und Soldaten zeigen.

  • Guter Mann. Gutes Interview.