piwik no script img

Mann aus Gefängnis freigekauftFreiheitsfonds rettet Mann in Notsituation

Einem Gefangenem in NRW drohte eine Beinamputation. Um in dieser Ausnahmesituation nicht in den Knast zu müssen, kaufte der Freiheitsfonds ihn frei.

Wegen Fahrens ohne Fahrschein inhaftiert? – Die Initiative Freiheitsfonds übernimmt die Geldstrafen Foto: Breuel-Bild/imago

Berlin taz | Wegen einer drohenden Beinamputation hat der Freiheitsfonds kurzfristig einen Mann aus einem nordrhein-westfälischen Gefängnis freigekauft. „Gestern hat uns ein Gefängnis panisch kontaktiert, weil einem Gefangenen in einem Notfall die Beine amputiert werden müssen“, schrieb Arne Semsrott am Donnerstag auf der Social-Media-Plattform Bluesky. „Dafür müssten aber Beamte mit ins Krankenhaus und wegen Personalmangel geht das nicht. Ob wir ihn also schnell freikaufen könnten?“

Die von Semsrott im Jahr 2021 gegründete Initiative Freiheitsfonds zahlt die Geldstrafen für Menschen, die wegen Fahrens ohne Fahrschein im Gefängnis sitzen, sodass sie wieder auf freien Fuß kommen. So auch in diesem Fall: Die Initiative hat 120 Euro gezahlt.

„Wir sind von einem Sozialarbeiter kontaktiert worden“, berichtet Semsrott der taz am Telefon. Der Fall habe sich ihm so dargestellt: Ein Mann müsse dringend ins Krankenhaus, es gebe aber kein Personal, das ihn begleiten könne. Alternativ hätte er Haftunterbrechung beantragen können, es hätte aber zu lange gedauert, bis die genehmigt worden sei. Damit war der Freiheitsfonds die schnellste Lösung.

Es kommt nach Semsrott Angaben häufiger vor, dass das Team vom Freiheitsfonds aus Gefängnissen heraus kontaktiert wird, um Menschen, die eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, freizukaufen. Das sind häufig sogenannte Schwarzfahrer, die statt einer Geldstrafe für wiederholtes Fahren ohne Ticket eine Gefängnisstrafe erhalten. Dieser Fall hörte sich dennoch ungewöhnlich an. „Das war schon ein besonders krasser Fall eines medizinischen Notfalls“, sagt Semsrott der taz. Allerdings: Unter den Menschen, die wegen wiederholten Fahrens ohne Fahrschein ins Gefängnis kämen, gebe es einige in Ausnahmezuständen.

„Da kommen Menschen in psychischen Ausnahmezuständen ins Gefängnis, die drehen verständlicherweise durch – dafür sind die Beschäftigten nicht ausgebildet und schnell überfordert. Die Person kommt dann in einen besonders gesicherten Haftraum, beruhigt sich nicht, und dann werden wir angerufen, um sie rauszuholen“, sagt Semsrott. Meist seien die Anrufer Beschäftigte aus den sozialen Diensten, wie in diesem Fall der Sozialarbeiter.

Im Knast wegen Fahrens ohne Fahrschein

Wer mehrfach wegen Fahrens ohne Fahrschein erwischt wird, kann wegen „Erschleichens von Leistungen“ angeklagt werden und bis zu einem Jahr ins Gefängnis kommen. Das regelt der Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs. Die Nazis hatten ihn 1935 eingeführt.

Die Initiative Freiheitsfonds fordert, das Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren und den ÖPNV kostenlos nutzbar zu machen. Am 1. September ruft sie zum 14. Mal zu einem sogenannten Freedom Day auf. „Dieser Tag ist historisch: Denn vor genau 90 Jahren – am 1. September 1935 – wurde jenes Gesetz eingeführt, das bis heute Menschen wegen fehlender Tickets in Bus und Bahn ins Gefängnis bringt“, heißt es auf der Homepage der Initiative. Deshalb soll es an dem Tag die „größte Gefangenenbefreiung der bundesdeutschen Geschichte“ geben. Laut Semsrott will die Initiative 100 Menschen freikaufen.

„Tausende Menschen landen jedes Jahr im Gefängnis, weil sie sich kein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr leisten konnten“, heißt es auf der Homepage weiter. Die Betroffenen seien überwiegend arbeitslos (87 Prozent), ohne festen Wohnsitz (15 Prozent) oder suizidgefährdet (15 Prozent).

Seit Gründung hat die Initiative nach eigenen Angaben 1396 Menschen freigekauft und dafür insgesamt etwa 1,2 Millionen Euro gezahlt. Bezahlt wird das durch Spenden. „Weil jeder aufgelöste Hafttag den Steu­er­zah­le­r*in­nen rund 200 Euro kostet, sparen wir dem Staat sogar noch etwas“, schreibt die Initiative auf ihrer Homepage.

Update: In der Zwischenzeit hat das Ministerium Stellung genommen und den Vorgang anders dargestellt. Mehr dazu unter „Besser ins Krankenhaus statt ins Gefängnis“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Demografie im Wandel, auch in der JVA:



    "... so ist mittlerweile doch nicht mehr zu übersehen, dass sich immer mehr Personen im Strafvollzug befinden, die ihr fünfzigstes, sechszigstes, siebzigstes oder gar achtzigstes Lebensjahr bereits vollendet haben. Zum einen werden zunehmend ältere Personen zu Haftstrafen verurteilt, zum anderen altern Personen mit langen Haftstrafen im Gefängnis. Der viel beschriebene demografische Wandel ist auch im Strafvollzug angekommen, sodass einige Justizvollzugsanstalten (JVA) in Deutschland (etwa in Waldheim, Detmold oder Bielefeld) bereits spezielle Seniorenabteilungen eingerichtet haben. Die baden-württembergische JVA Konstanz hat gar ihre gesamte Außenstelle in Singen für Männer über 62 Jahren reserviert, die Freiheitsstrafen von mehr als 15 Monaten zu verbüßen haben."



    Wir brauchen neue Konzepte, in Deutschland publiziert hierzu u.a. Joachim Walter.



    Quelle f. d. Text oben ist eine Rezension eines Buches aus d. USA



    www.soziopolis.de/...en-gefangenen.html



    "Henning Schmidt-Semisch



    Wohin mit alten oder sterbenden Gefangenen?



    Rezension zu „Aging behind Prison Walls. Studies in Trauma Resilience“ von Tina Maschi et al"

  • Eine Initiative mit moralisch und politisch legitimen Zielen und daher unterstützenswert wie ich finde.



    Ob das alles legal im streng juristischem Sinn ist, ist mir, ehrlich gesagt, vollkommen wurscht, denn es darf einfach nicht sein, dass Nazi-Gesetze auch heute noch Grundlage unserer Rechtssprechung sein können.



    So, und jetzt kommt bestimmt irgendein Volljurist daher, um mir ordentlich die Leviten zu lesen und mich über den tatsächlichen rechtlichen Sachverhalt aufzuklären.

  • Recht ist Recht und muss Recht bleiben !!!!



    Stellen sie sich mal vor, der Staat ziegt hier keine Härte!

    Was dann wohl geschehen würde!

    Cum-Ex-Betrüger würde den Staat ausnehmen !



    Maskenbetrüger gingen straffrei aus !



    Politiker würden die Unwahrheit sagen !



    Mautunternehmen würden Millionenbeträge kassieren !

    Also muss der Staat Härte zeigen.



    Gerade bei solchen Delikten wie Schwarzfahren !



    Oder Hund nicht anleinen.



    Oder in Wald pinkeln.

    • @Bolzkopf:

      Der Sarkasmus ist Spitze auch wenn es eher traurig stimmt was hier in Deutschland abgeht . Du hast aber noch die Korruption sowie die Förderung von Rechtsextremismus im Präsidialamt vergessen .

    • @Bolzkopf:

      :-) ja, es sollten ein paar "Rechtsgrundsätze" mal neu justiert werden und so Quark wie "Beförderungserschleichung" aus der Nazizeit mal neu bewertet werden. Wir müssen das mal anhand der gesellschaftlichen Realitäten und der entstehenden Schäden aufzeigen. Wieviele Existenzen vernichten Schwarzfahrer, was ist der Einfluss auf die Gesellschaft, z.b. gegenüber den Cum-Ex Raubzügen.

  • Die Story muss mal gründlich recherchiert werden. Das klingt ziemlich wirr und weit hergeholt. Was jetzt, musste das Bein amputiert werden, drohte die Amputation oder bestand die Möglichkeit der Amputation?

    • @Zven:

      Ganz genau! DAS ist ja auch ungeheuer wichtig und nicht etwa die Umstände dieses Dramas.

      • @Perkele:

        ???

        Die Amputation ist doch ein zentraler Punkt in dem Drama.

        • @rero:

          Das stimmt, doch es geht hier nicht den medizinischen Befund, es geht um das Versagen in der Fürsorgepflicht der Behörden.

          • @Perkele:

            Ohne die Informationen ist ein Versagen in der Fürsorgepflicht nicht nachvollziehbar.