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Maischberger-Talk zu sexueller NötigungFast nie schuldig gesprochen

Beim ARD-Themenabend ging es um sexuelle Nötigung, Lügen und Vorurteile. Der Fokus auf mögliche Falschaussagen war schwer erträglich.

Freispruch: Wenn sie vor Gericht landen, werden Sexualstraftäter nur selten für schuldig erklärt Foto: dpa

Die Zahlen sprechen für sich. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung sind allgegenwärtig in Deutschland, fast jede siebte Frau hat schon einmal sexuelle Gewalt erlebt. Angezeigt werden aber nur zehn Prozent der Fälle. Und nur acht Prozent der Angeklagten werden schuldig gesprochen. Diese Zahlen der Bundesregierung, des Landeskriminalamts Niedersachsen und des Kriminologischen Instituts Niedersachsen wurden bei Maischberger zum ARD-Themenabend „Sexuelle Nötigung, Lügen und Vorurteile“ am Mittwochabend präsentiert. Dennoch drehte sich die Diskussion in großen Teilen um Männer, die zu Unrecht der Vergewaltigung bezichtigt werden.

Der Diskussionsrunde ging der Fim „Meine fremde Freundin“ voraus, in dem ein sexistischer Macho von einer Kollegin beschuldigt wird, sie vergewaltigt zu haben. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass die Kollegin gelogen hat, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Schauspieler Hannes Jaenicke, der die Hauptrolle im Film spielt, sagt bei Maischberger, er hoffe, dass der Film nicht dazu führt, dass man Frauen nicht mehr glaubt.

In der Diskussion geht es trotzdem auch sehr deutlich um die Glaubwürdigkeit von Frauen. Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen meint, die Sexualstrafrechtsreform aus dem Jahr 2016 führe zu größerer Verwirrung: „Dieses ‚Nein heißt Nein‘… Es gibt auch Frauen, die machen etwas und sagen nachher: ‚Nee, so wollte ich das aber eigentlich nicht‘.“ Sie erntet einen ungläubigen Blick von Hannes Jaenicke. Einige der Aussagen Friedrichsens sind schwer erträglich. Sie zeigen, wie tief verwurzelt weiterhin das Denken ist, Frauen seien selbst daran schuld, wenn Männer übergriffig werden.

In einem großen Teil der Diskussion geht es um den Fall Horst Arnold – ein Lehrer, der nach einer falschen Vergewaltigungsverurteilung fünf Jahre im Gefängnis saß. „Wir sehen an diesem Fall, wie viel zusammenkommt und wie rar es ist, dass eine Frau falsch beschuldigt“, sagt Journalistin Teresa Bücker, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Die Erfahrung vieler Frauen sei es, dass ihnen nicht geglaubt werde. Deswegen gebe es so wenig Anzeigen.

„Es reicht nicht aus, dass eine einzelne Frau eine Aussage macht. Es müssen mittlerweile ungefähr dreißig sein, damit ihnen überhaupt geglaubt wird“, sagt Bücker in Bezug auf die Missbrauchsvorwürfe gegen Harvey Weinstein und Bill Cosby.

Warum zeigen Frauen nicht an?

„Jetzt sind wir wieder bei einem Fall, in dem es um eine behauptete Vergewaltigung geht“, muss Jaenicke zwischendurch anmerken, als es um den Fall Jörg Kachelmann geht. „Eigentlich reden wir über das Thema: Warum zeigen Frauen nicht an?“

Jaenicke, Bücker und die TV-Moderatorin Marlene Lufen bilden in der Debatte den Gegenpol zu Friedrichsen und der ehemaligen Frauenbeauftragten Anja Keinath, die sich für die Richtigstellung im Fall Horst Arnold eingesetzt hat. Friedrichsen und Keinath vertrauen in die Institutionen, die es zur Aufklärung von sexueller Gewalt gibt. Gerichte und Gleichstellungsbeauftragte trügen dazu bei, dass sich Frauen sicherer fühlen könnten und dass ihnen Recht gegeben werde. „In den letzten zehn Jahren ist unsere Gesellschaft viel aufgeklärter geworden“, sagt Keinath.

Sexuelle Belästigung in Europa

Bei der Frage, wo sexuelle Belästigung von Frauen anfängt, zeigen viele Menschen in Deutschland eine höhere Toleranzgrenze als europäische Nachbarn. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen hervor. So werden Sexwitze von Männern gegenüber Frauen in Großbritannien (69 Prozent), Finnland (67 Prozent) und Frankreich (53 Prozent) mehrheitlich als sexuell belästigend betrachtet, während dies in Norwegen 47 Prozent, in Schweden 38 Prozent, in Deutschland 35 Prozent und in Dänemark sogar nur 17 Prozent so sehen (Frauen und Männer jeweils zusammengezählt).Wenn Männer Frauen auf die Brüste schauen, sprechen in Deutschland nur 29 Prozent von sexueller Belästigung, während es in Frankreich 51 Prozent sind. (dpa)

Vergewaltigung sei nach wie vor ein „strafloses Verbrechen“, sagt Marlene Lufen, die selbst einen sexuellen Übergriff erfahren hat und später eine Reportage über vergewaltigte Frauen drehte. Dass oft Aussage gegen Aussage stehe, sei ein großes Problem. Deshalb sei die Zahl der Fälle, die nicht angezeigt werden, und auch der Prozesse, in denen für den Angeklagten entschieden werde, weil sich nicht alle Zweifel ausräumen ließen, sehr groß. „Wir tun so, als ob wir als Außenstehende die Wahrheit herausfinden können. Wir müssen so ehrlich sein, dass wir das nicht können“, so Lufen.

Der ARD-Themenabend hat sich ein schwieriges Thema vorgenommen. Der Film war schon lange vor den Enthüllungen der sexuellen Übergriffe Harvey Weinsteins geplant. Mit der Veröffentlichung hat der öffentlich-rechtliche Sender einen problematischen Akzent gesetzt. Die anschließende Diskussion bei Maischberger war dennoch sehenswert.

Das Wissen und die Erfahrungen der beiden Journalistinnen Bücker und Lufen überzeugten in der Diskussion. Die empathische Herangehensweise Jaenickes – als einzigem Mann in der Runde – war erfrischend. Alle drei zeigten letztendlich, dass das dumpfe Gefühl, Frauen würden häufig böswillige Vergewaltigungsbehauptungen für ihre eigenen Zwecke aufstellen, eben genau das ist: ein Gefühl. Sexuelle Belästigung, schwierige Situationen für Frauen in Machtgefügen und tätliche Angriffe bleiben das größere Problem.

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8 Kommentare

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  • Was soll ich damit anfangen, dass man sich darüber beklagt, dass Frauen nicht geglaubt wird? Eine Straftat muss halt nachgewiesen werden, sonst könnte ja jeder kommen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    "Dass oft Aussage gegen Aussage stehe, sei ein großes Problem. "

    Die Lösung hier kann aber nicht sein, die Unschuldsvermutung auszuhebeln. Stattdessen muss die Hemschwelle sinken direkt nach einer Vergewaltigung ins Krankenhaus zugehen und die Polizei zu rufen, damit forensische Beweise gesichert werden können.

    Bei einer Anzeige nach Monaten oder Jahren kann eigentlich keine Verurteilung nach Rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgen wenn Aussage gegen Aussage steht.

  • In der Diskussion fällt auf, dass es fast unmöglich ist, unvoreingenommene Meinung zu hören. Dass Frau Friedrichsen oder Frau Keinath in der taz nicht als "überzeugend" erlebt werden konnten, war insofern klar.

     

    Die auch nicht objektive FAZ hat es immerhin geschafft, sich zu der vergleichsweise neutralen Aussage durchzuringen, dass alle Beteiligten unheimlich gern verallgenmeinern und eindeutige Täter-Opfer-Schemata suchen, und dass das ein großer Fehler der Diskussion sei. Mir gefiel das besser als die plumpe Parteinahme in dieem Kommentar.

     

    Denn der Punkt ist wichtig: Man kann sich in einem Rechtsstaat nicht auf den Standpunkt stellen, dass nur eine Seite der Medaille relevant ist. So wird dann auf der einen Seite die niedrige Verurteilungsrate bei Sexualstraftaten beklagt, andererseits aber die ebenfalls niedrige Zahl von Verurteilungen wegen falscher Beschuldigung als Argument dafür herangezigen, dass die kein nennenswertes Problem darstelle. Das ist inkonsequent, und mit Inkonsequenz kann man kein brauchbares Strafrecht aufbauen. Wer mehr Verurteilungen haben will, muss auch falsche Beschuldigungen als Problem anerkennen und sich verantwortlich fühlen, dass die ebenso konsequent verfolgt werden.

     

    Wer das tut, wird allerdings feststellen, dass auch da die Unschuldsvermutung massiv im Weg steht (natürlich völlig zu Recht). Vielleicht schärft auch das den Blick dafür, warum man das Wunschziel "höhere Verurteilungsrate" nicht einfach herbeizaubern kann.

    • @Normalo:

      "In der Diskussion fällt auf, dass es fast unmöglich ist, unvoreingenommene Meinung zu hören. Dass Frau Friedrichsen oder Frau Keinath in der taz nicht als "überzeugend" erlebt werden konnten, war insofern klar."

       

      Das ist ein ganz wichtiges Problem, nämlich die Weigerung bestimmter Leute, das Thema differenziert zu diskutieren. Gerade die hier abgewertete Frau Keinath war doch ein Musterbeispiel für ausgewogenes, differenziertes Denken. Und der Hinweis von Frau Friedrichsen auf Sexualstraftäter mit Migrationshintergrund und die Zunahme der Straftaten gerade in diesem Bereich, wurde quasi als nicht relevant weggebügelt. Diskussion unerwünscht.

      • @Rolf B.:

        Schön wie Sie mich bestätigen, dass es wirklich kaum ausgewogene Meinungen gibt.

         

        Tipp: Ihre Meinung hat eine theoretische Chance, ausgewogen zu sein, wenn Sie NICHT glauben, einen oder mehrere der Diskussionsteilnehmer besonders bejubeln zu müssen. Bei ausgewogener Betrachtung zählen Inhalte, nicht deren Repräsentanten. Wenn Sie also einfach nur bestimmte Diskussionsteilmehmer als besonders überzeugend empfinden, dann liegt das in aller Regel daran, dass die kundtun, was Sie hören wollen. So ähnlich ist es auch Frau Grasnick mit den Maischberger-Gästen ergangen, die in IHR Horn tuteten.

         

        Und sorry, Migranten und ihre Einstellung zu Geschlechterrollen sind in diesem Zusammenhang ein ablenkendes "Whatabout"-Thema: Es gibt offenbar noch jede Menge Dissens zur Frage, wie man ÜBERHAUPT mit sexualisierter Gewalt umgehen sollte. Da sollten wir schon erstmal vor unserer gesamgesellschaftlichen Tür kehren, bevor wir uns auf Einzelgruppen stürzen, die wir für noch viel schlimmer halten.

  • Warum wird so vehement dagegen angeschrieben, das auch(!) Falschaussagen thematisiert werden? Das ist weder ein seltenes, noch ein kleines Problem. Es macht aber das Leben des Beschuldigten meist kaputt, egal wie es ausging.

    Ist das nicht grund genug es vernünftig zu thematisieren? An dieser Stelle könnte auch darauf eingegangen werden wie stark Falschbeschuldigungen daran beteiligt sind, das es schwieriger wird wahren Opfern zu glauben.

    Das Missbrauchten Männern und vor allem Kindern noch DEUTLICH weniger geglaubt wird, geht irgendwie komplett unter. Warum?

    • @Sang:

      Es ist doch grade das permanente Geseiere von "Falschbeschuldigungen", das dazu führt, dass allen Opfern weniger geglaubt wird. Bei Anthony Rapp war es auch "der Unbekannte, der profitieren wollte", bei Kindern war es das "False Memory Syndrome", das übrigens auch Frau Friedrichsen in der öffentlichen Meinung weiter verbreitet hat.

       

      Meines Erachtens ist der Verweis auf männliche Opfer nichts anderes als das übliche Derailing und Whataboutism. Es gibt keinen Unterschied zwischen beiden Gruppen, beiden wird gleich wenig geglaubt und sie erfahren gleich wenig Unterstützung von männlicher Seite. Es spricht schon für sich, dass männliche Opfer sich feministische Hashtags, wie #metoo oder #Aufschrei, aussuchen, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Sogar im Kongo haben sich männliche Vergewaltigungsopfer Frauengruppen angeschlossen, um gegen sexuelle Gewalt zu kämpfen.

       

      Und inwiefern ist eine "Falschbeschuldigung" jetzt schlimmer als die üblichen Justizirrtümmer? Regelmäßig wird Leuten Unrecht angetan mithilfe schlampiger Polizeiarbeit, nachlässigen Gutachtern und desinteressierten Schöffen. Andreas Türck und Horst Arnold sind vollständig rehabilitiert. Aber was ist mit dem 18-jährigen Italiener, der aufgrund seiner Teilnahme an einer G20-Demo im Gefängnis gelandet ist? Bleibt da nicht auch "was hängen"? Wo ist hier der Unterschied?

  • 6G
    6028 (Profil gelöscht)

    Der Artikel gibt sich nicht unbedingt den Anstrich von Neutralität:

    unter dem Bild eines Gerichssaals steht "Freispruch: Wenn sie vor Gericht landen, werden Sexualstraftäter nur selten für schuldig erklärt".

    Wenn man vorher weiss, dass es sich um eine*n Sexualstraftäter*in handelt, kann man dann auch messerscharf schliessen, dass es 'selten' (d.h. nicht oft genug) zu Verurteilungen kommt.

    Die Gerichte braucht man eigentlich ja dann auch nicht mehr. Oder?