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Märtyrertod in der GesellschaftVerstörende Romantisierung

Ob im Kampf gegen Angriffskrieg oder Diktatur, Todesopfer werden oft als Hel­d*in­nen gefeiert. Aber Tod darf nicht für Mobilisierung genutzt werden.

Protest gegen die Regierung 2013 in Kairo: „Ehre den Märtyrern“ steht auf einer der Fahnen Foto: Asmaa Waguih/Reuters

D er Tod ist ein ständiger Begleiter von uns Menschen. Zu wissen, dass das eigene Leben an einem gewissen, meist unvorhersehbaren Zeitpunkt vorbei sein wird, prägte ganze Kulturen, Religionen, die menschliche Zivilisation an sich. Über den Tod zu sprechen, ist wichtig. Ihn zu glorifizieren, das wiederum finde ich mehr als nur fatal. Beim Phänomen Märtyrertum passiert genau das. Ich verspüre einen Drang, zumindest hier kurz dazu meine Gedanken zu teilen.

Denn ich empfinde immer häufiger ein tiefes Unbehagen, wenn ich diese verstörende Romantisierung des Sterbens beobachte. Egal, wo es stattfindet und selbst, wenn es für eine gerechte Sache ist: ob bei der Selbstverteidigung nach einem Angriffskrieg, dem Befreiungskampf gegen eine Besatzungsmacht, in der Opposition zu einem autoritären Regime oder beim Überlebenskampf verletzbarer Minderheiten. Es tauchen danach Ikonen und Namen auf, Erzählungen, in denen die Opfer dieser Kämpfe nach dem Motto „Sie sind nicht umsonst gestorben“ gefeiert (!) werden.

Jahrestage werden ausgerufen, Gedichte geschrieben und Reden gehalten. Ich zucke immer wieder aufs Neue zusammen, wenn ich solche Geschichten mitbekomme. Zum ersten Mal habe ich die Fatalität des Märtyrertums im Zuge der Revolutionen in Nordafrika nach dem Jahr 2011 beobachtet. Die De­mons­tran­t*in­nen wurden in Ägypten mit Panzern (aus westlicher Produktion) überrollt, in Tunesien erschossen, in Marokko eingesperrt.

Einige Überlebende und politische Kräfte haben sie im Kampf gegen die Diktaturen zu Mär­ty­re­r*in­nen erklärt. Vor allem viele junge Menschen sagten mir damals, dass sie für die Demokratie ebenfalls sterben wollen würden. Das hat mich tief getroffen. Vielleicht habe ich keine abschließende Antwort darauf, aber irgendwie muss es doch möglich sein, diese wichtigen Kämpfe zu führen, ohne den Tod dabei zu glorifizieren und darauf zu achten, dass vor allem junge Menschen ein positives Verhältnis zum Leben finden.

Verlust nicht überhöhen

Leider hatte ich in den vergangenen Jahren mehrere Gelegenheiten, andere Spielarten des Märtyrertums zu beobachten. Nach Anschlägen zum Beispiel oder in kriegerischen Auseinandersetzungen, egal ob in Syrien oder in der Ukraine. Überall werden Mär­ty­re­r*in­nen gefeiert, manchmal sogar gefordert: Wer nicht bis zum Tod für die Sache kämpfe, der*­die kämpfe nicht richtig. Ich bin hoffentlich nicht naiv in dieser Sache: Kämpfen beinhaltet die Möglichkeit, sein Leben zu verlieren. Nur weigere ich mich, diesen Verlust zu überhöhen und als gute, gangbare, erstrebenswerte Option zu preisen.

Das, so vermute ich, soll die Botschaft dieser Kolumne sein. Ich kann fühlen, dass beim Phänomen Märtyrertum meistens Trauer mitschwingt. Viele Menschen versuchen dementsprechend, dem Tod einen Sinn zu verleihen. Sinnlos bleibt es aber meiner ganz persönlichen Meinung nach, ihn als Selbstzweck darzustellen oder gar für die Mobilisierung zu instrumentalisieren.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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5 Kommentare

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  • Dem kann man sich nur anschließen.

  • Vielen Dank für die Worte, die ich teile. Den Suizid glorifizieren meines Wissens nur wenige Menschen, der Märtyrer*innentod ähnelt aus meiner Sicht dem Suzid, wenn auch eingerahmt in idelogisch gefärbte Narrative, wie es mittlerweile so schön heißt. Es scheint auch eine Nähe zu Amokläufen zu geben Meine Vermutung ist, es gibt wahrscheinlcih viele Gemeinsamkeiten bei allen Differenzen.



    Aus meiner Sicht ist die Glorifizierung des Martyrer*innentodes ein wichiges Vehikel bzw. ein Motor für die Rekrutierung für was auch immer, letztendlich ein Teil der Kriegspropaganda, allgemein ausgedrückt.Die Glorofizierung des Märtyrer*innentodes verfolgt aus meiner Sicht auch das Ziel, den Hinterbliebenen die Trauer zu "erleichtern". Letzteres ist Teil der Kriegspropaganda.

  • Mär­ty­re­r*in­nen haben doch gerade deswegen ein so hohes Ansehen, da der Tod eben nicht erstrebenswert ist.



    "Dulce et decorum est pro patria mori: „Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben.“ - dem Scheiss sollte man natürlich entgegentreten, mir kommt das in den Medien aber auch gar nicht unter.

  • Feld und Geld und Held

    Zitat: „Ob im Kampf gegen Angriffskrieg oder Diktatur, Todesopfer werden oft als Hel­d*in­nen gefeiert.“

    Nicht nur „im Kampf gegen Angriffskrieg oder Diktatur“, die eigenen Gefallenen eines jeden Krieges werden jeweils als Märtyrer und Helden gefeiert, wie schmutzig er auch sein kann. So steht in jedem kleinsten Kaff in Frankreich neben der Dorfkirche und der Mairie eine Stele, auf der die Helden der in aller Schlachten Frankreichs des 20. Jahrhunderts Gefallenen („Morts pour la France“). Da sind neben dem Krieg von 1914 bis 1918 auch jene aufgeführt, die in den schmutzigen Kolonialkriegen „pour la France“ fielen, wie in der Schlacht von Điện Biên Phủ 1954 gegen die Viet Minh oder in Algerien im Sezessionskrieg 1956 bis 1962.

    Das erinnert an Karl Kraus und seinen sehr zutreffenden Verwies auf den „dreifachen Reim auf Feld und Geld und Held.“...

  • Der Begriff des Märtyrers wurde in neuester Zeit geradezu pervertiert. Ursprünglich galt er nur für Menschen, die eben nicht mit Gewalt für ihre Überzeugung gekämpft haben, sondern lieber als Blutzeugen der Wahrheit kampflos den Tod in Kauf genommen haben. Berühmt wurden in der Antike vor allem christliche Märtyrer, die in der Arena den wilden Tieren ausgeliefert wurden. Vorbild war dabei immer Jesus Christus, der selbst am Kreuz sterbend für seine Feinde gebetet hat: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

    Wenn in moderner Zeit sogar Selbstmordattentäter als sogenannte "Märtyrer" gefeiert werden, dann sollte alle Alarmglocken losgehen, in was für einer Gesellschaft so etwas geduldet oder sogar gefördert wird.