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Macrons Pläne für die EUVersuch eines Neustarts

Frankreichs Präsident Macron überrascht mit einer neuen Initiative für Europa. Welche Chancen haben seine Vorschläge?

Skepsis hier, Euphorie dort: Macrons EU-Visionen lassen Merkel kalt Foto: dpa

BRÜSSEL/PARIS/BERLIN taz | Eines muss man Emmanuel Macron lassen: Frankreichs Präsident hat es wieder einmal geschafft, die vor sich hin dümpelnde Debatte über die Europäische Union aufzumischen. Hinter seinem fulminanten Appell an die europäische Öffentlichkeit mag sich das Motiv verbergen, von innenpolitischen Problemen abzulenken. Aber, so viel steht fest: Der Mann denkt strategisch über die Zukunft Europas nach.

Macron ließ am Mittwoch einen Brief an die „Bürgerinnen und Bürger Europas“ veröffentlichen. Der Text, den in Deutschland Die Welt abdruckte, erschien in Tageszeitungen aller 28 EU-Mitgliedsstaaten.

Darin redet der Präsident allen EuropäerInnen ins Gewissen. Emotional, voll Sorge über den sich ausbreitenden Nationalismus, aber auch optimistisch. Der Kontinent, so schreibt Macron, stehe an „einem Scheidepunkt, an dem wir gemeinsam in politischer und kultureller Hinsicht die Ausgestaltung unserer Zivilisation in einer sich verändernden Welt neu erfinden müssen.“

Allein der Weg ist ungewöhnlich. Macron nutzt keine Rede, kein Interview, keine Pressekonferenz, um seine Botschaft zu platzieren. Stattdessen wendet er sich direkt an die BürgerInnen, an den Regierungen vorbei – das ist neu. Zweieinhalb Monate vor der Europawahl will er eine Diskussion über die EU entfachen, die viele Menschen für einen lebensfremden, bürokratischen Apparat halten.

„Neubeginn“ für Europa

Gedanklich knüpft Macron an seine Sorbonne-Rede an. Im September 2017 hatte er an der Pariser Universität weit reichende Vorschläge zur Reformierung der EU gemacht – und andere Regierungen, allen voran die deutsche, in Zugzwang gebracht.

Danach passierte wenig. Die angekündigte „Neubegründung“ eines geeinten Europas blieb aus. Und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die gerne die deutsch-französische Partnerschaft lobt, ließ Macron am ausgestreckten Arm verhungern.

Die Ausgestaltung unserer Zivilisation in einer sich verändernden Welt neu erfinden

Emmanuel Macron

Für den Franzosen ist klar: Europa ist noch nie in so großer Gefahr gewesen wie heute. Macron stellt gegen die nationalistische Abschottung einen „Neubeginn“, der Freiheit, Schutz und Fortschritt berücksichtigen soll.

Noch für das Jahr 2019 schlägt er eine große Europa-Konferenz vor. Die Debatte soll jedoch nicht Vertretern von Regierungen und EU-Beamten vorbehalten bleiben, auch Experten, Sozialpartner, Religionsvertreter und Bürger sollen angehört werden. Macron schwebt dabei eine Debatte „ohne Tabus“ vor, „einschließlich einer Überarbeitung der Verträge.“

Weg mit Schengen

Dazu macht er rund ein Dutzend konkrete Vorschläge: Zum Schutz der Demokratie vor Manipulationen und Hackerangriffen regt er die Gründung einer europäischen Agentur gegen Cyberattacken an. Außerdem soll die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Mächte verboten werden. Und er will durch EU-weite Regelungen Hass- und Gewaltkommentare aus dem Internet verbannen.

Zu den dringendsten Aufgaben gehört für Macron eine Totalrevision des Schengen-Abkommens, das die Abschaffung der Binnengrenzen für alle Teilnehmerstaaten regelt. Er möchte eine gemeinschaftliche Grenzpolizei für den Schutz der dadurch umso wichtigeren Außengrenzen schaffen und eine europäische Asylbehörde dazu. „Ich glaube angesichts der Migration an ein Europa, das sowohl seine Werte als auch seine Grenzen beschützt.“

Wie schon seit Amtsantritt betont Macron die zentrale Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz für eine recycelte Europäische Union. „Von der Zentralbank bis hin zur Europäischen Kommission, vom EU-Haushalt bis hin zum Investitionsplan für Europa: alle unsere Institutionen müssen den Schutz des Klimas zum Ziel haben.“

Bisher ist das Bemühen, die europäische Politik auf grünen Kurs zu bringen, mit großen Widerständen verbunden, durchaus auch aus Deutschland, wenn es etwa um Landwirtschaft oder Autos geht.

Macrons Pläne durchweg ausgebremst

Deshalb bringt Macron eine „Europäische Klimabank“ ins Gespräch. „Das könnte eine parallele Struktur zur EZB sein, die Klimaprojekte mit besonders günstigen Bedingungen unterstützt“, sagte Laurence Tubiana, Vorsitzende der Europäischen Klimastiftung ECF, die gute Kontakte zur französischen Regierung hat.

Gegen eine Renaissance der EU lässt sich nicht viel sagen. Seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 steht die EU-Reform ganz oben auf der Brüsseler Agenda. Mehrere EU-Gipfel haben sich mit der Zukunft Europas beschäftigt.

Doch in der Praxis ist wenig passiert. Die Euro-Reform stieß auf erbitterten Widerstand in den Niederlanden und anderen liberalen Staaten in Nordeuropa. Macron wurde aber auch mehrmals von Merkel ausgebremst. Zuletzt hat die Kanzlerin die Digitalsteuer – Macrons bisher wichtigstes Projekt für die Europawahl – auf die lange Bank geschoben.

Solche Misserfolge dürften auch der Grund sein, weshalb sich Macron nun schon wieder neue Vorhaben ausgedacht hat. Ähnlich wie die EU-Kommission, die täglich mit Erfolgsmeldungen wirbt, möchte auch er die Bürger mit konkreten Plänen an die Wahlurne locken.

Falsches Lockmittel

Das Problem ist nur, dass man den „Neubeginn in Europa“ nicht wählen kann. Macron hat im Europa-Parlament, anders als die sozialdemokratische Fraktion SPE oder die konservative EVP, keinen eigenen Spitzenkandidaten aufgestellt.

Er lehnt den Prozess der Spitzenkandidaten sogar ab – und setzt darauf, dass am Ende die Staats- und Regierungschefs die EU-Agenda bestimmen werden. Sein Wahlappell zielt also nicht nur auf die Wähler, sondern auch auf Merkel und die anderen EU-Granden, die im Sommer die Weichen für die Zukunft stellen werden.

Ob Macrons Ideen dazu geeignet sind, die Wähler zu motivieren, darf bezweifelt werden. Eine Schengen-Reform oder eine Demokratie-Agentur sind nicht gerade das, was sich Bürger von der EU wünschen. Diese Ideen werden zudem schon lange in Brüssel diskutiert – ohne greifbares Ergebnis.

Auch ein Bürger-Konvent zur Vertragsreform ist schon mehrfach erwogen worden – und wurde verworfen, weil eine Vertragsänderung mit riskanten Referenden in den Einzelstaaten verbunden wäre.

Schweigen im deutschen Walde

Die Reaktionen in Deutschland fielen interessant aus. Es gab wolkiges Lob, aber keine Zusagen für Unterstützung. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, Macron setze „ein entschlossenes Signal“ für den Zusammenhalt in Europa. „Ich finde, er hat Recht: Nicht Skepsis, sondern Zuversicht sollte unser Handeln bestimmen.“

Welche Idee Scholz wie stärken will, sagte er indes nicht.

Auch die Reaktion der Kanzlerin war viel sagend. Zwar erklärte ein Regierungssprecher, wie wichtig es es sei, dass die proeuropäischen Kräfte ihre Konzeptionen vorstellten.

Doch Merkel schwieg.

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9 Kommentare

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  • "Auch ein Bürger-Konvent zur Vertragsreform ist schon mehrfach erwogen worden – und wurde verworfen, weil eine Vertragsänderung mit riskanten Referenden in den Einzelstaaten verbunden wäre."

    das risiko,dass es nicht in allen staaten der union eine mehrheit für eine europäische verfassung geben wird:ist in wirklichkeit eine chance.



    und zwar eine solche die die linke ergreifen muss wenn sie im bündnis mit progressiven ökologischen kräften in europa an die macht kommen will.



    von staaten in denen die mehrheit rechtspopulistische oder neoliberale parteien wähl,will man als linker vernünftigerweise möglichst wenige und am besten gar keine in einem zukünftigen europäischen bundesstaat haben.dies ist insbesondere in der gründungsphase wichtig.



    trotzdem kann dies aus pragmatischen nicht das einzige kriterium für die auswahl der staaten sein,die bei der gründung des europäischen bundesstaates mitmachen dürfen.



    die niederlande sind eigentlich zu neoliberal,als dass ihre mitgliedschaft wünschenswert wäre und italien ist definitiv zu rechtspopulistisch.



    es besteht aber die hoffung dass man auch in diesen ländern eine linke hegemonie etablieren kann,wenn man die interessen ihrer bürger*innen bei dem ökokeynesianischen programm für das der europäische bundesstaat gegründet wird,angemessen berücksichtigt.



    im übrigen muss die europäische verfassung eine sein die diesen namen auch verdient,.



    ohne die wahl einer verfassungsgebenden versammlung und ohne referendum geht es nicht.der einfluss der regierungen der nationalstaaten muss minimiert werden.direktdemokratische einflüsse müssen möglich sein und ermöglicht werden.

  • Es ist schon - auch für den Taz-Jounalismus - bezeichnend, das der Punkt bei Macron, der eine EU- Sozialpolitik fordert, keine Erwähnung in der Berichterstattung aller Medien findet. Dabei ist genau die soziale Ungleichheit und die Konkurrenz über Absenkung der Sozialstandards (Mindestlöhne, HartzIV, Arbeitslosigkeit) ein zentraler Grund etwa für die Brexit-Mehrheit in Großbritannien, die Gelbwestenproteste in Frankreich, die Auswanderungen aus Rumänien und Bulgarien oder Griechenland. In unseren Medien-Redaktionen sind eben nur noch die saturierten Mittel- und Oberschichten vertreten. Da vom Soziabau nicht direkt betroffen, gehen sie dem dem Geschwafel über das Einheitliche Europa auf den Leim. Es gibt kein einheitliches Europa, so wenig wie ein einheitliches Deutschland, Frankreich usw. Solange in Deutschland der Wohlstand auf dem durch Sozialdumping und Lohnsenkungen basierenden Exportboom begründet ist, wird das nichts mit einem einheitlichen Europa. Aber darüber redet keiner - auch bei der Taz nicht - sondern man folgt der PR-Strategie der Macron-Berater - so arm!

  • "Doch Merkel schwieg."

    Hört, hört..!!

    • @Ano Nym:

      das heisst sie will nicht.dieses schweigen ist ein nein.die brd profiliert sich als vetoplayer im dienst des neoliberalismus.nichts anderes war von deutschland zu erwarten.



      aber es ist auch gut und richtig so, wenn deutschland in der gründungsphase des europäischen bundesstaates nicht mitmacht und nicht dabei ist.



      denn ostdeutschland wählt zu rechtspopulistisch und westdeutschland zu neoliberal.



      ausserdem kann es in einem bundesstaat keine anderen bundesstaaten geben .die wiedervereinigung des rheinlandes mit dem französischen und dem romanisch-hellenistischen kulturraum dem es durch preussen gegen seinen willen entrissen wurde,ist im rahmen der politischen neugründung europas ein wunsch der in erfüllung gehen kann.



      dass setzt entweder die auflösung der brd,oder die möglichkeit des austrittes von bundesländern aus der brd voraus.



      nach der politischen neugründung europas unter französischer führung könnte es dazu kommen.

  • Das tut schon weh.. es ist ganz offensichtlich, wo die Probleme Europas liegen, siehe zB unten, User Weidle pp., und "ich" bekomme einen Brief, d.h. heißt eher eine Packung Blödheit zum Einschmieren, zum Verblöden (des Bürgers), von Macron.

  • Deutschland soll ja für Europa zu groß und für die Welt zu klein sein, aber mittlerweile befürchte ich, dass wir nur noch derart arme Autokrämerseelen sind, dass es uns sogar für die Zukunft eines geeinten Europas an Format fehlt. Deutschland einig Mikroökonomenland, Exportweltmeister bis in den Untergang!

    • @Weidle Stefan:

      "Der einzige, der stets zu folgen gewillt scheint, ist Herr Schulz. Der war auch stets für seine großen Worte ohne Taten bekannt."

      nur wenn Herr Schulz bereit wäre mit dem hartzismus schluss zu machen hätte er eine zweite chance verdient.sonst nicht.

    • @Weidle Stefan:

      irgendwann in den nächsten zwei oder drei jahren wird es mit einer hohen und irgendwann im laufe der nächten fünf jahre mit einer sehr hohen wahrscheinlichkeit zu einer mittelschweren weltwirtschaftskrise kommen.



      die linken und ökologischen parteien in europa müssen sich schon vor deren beginn auf ein ökokeynesianisches programm zur reduzierung der unfreiwilligen massenarbeitslosigkeit einigen,dass sie bei deren beginn präsentieren können.



      wenn sie dies versäumen werden staat ihnen die rechtspopulisten politisches kapital aus der kommenden mittelschweren weltwirtschaftskrise schlagen können



      die erforderlichen paneuropäischen vernetzungstreffen von linken und ökologischen politiker*innen und intellektuellen müssen jetzt und im laufe dieses und des nächsten jahres stattfinden.sonst ist es zu spät.und die historische chance wird nicht nur vertan,sondern reaktionären kräften geschenkt.



      es wäre eine gute idee die vernetzungstreffen und programmdiskussionen in solchen europäischen städten stattfinden zu lassen,die sich besondere verdienste um den klimaschutz erworben zu haben,denn das ist für die erfolgreiche werbung dafür sehr nützlich.



      es macht auch sinn die angloamerikanischen linken- zu den konferenzen in europa einzuladen,denn auch sie arbeiten bereits an ökokeynesianischen entwürfen für einen green new deal .

  • Macron denkt stets nur in großen Schritten ubd vergisst das ganze drum herum. Schon bei seinen letzten Vorschlägen blieb er weitere Erläuterungen und Erklärungen schuldig. Was bringt ein EU-Finanzminister, was bringt ein EU-Finanzparlament und was bringt ein EU-Finanzetat? All dies wurde nie beantwortet. Wie sollen diese großen Vorschläge in die Tat umgesetzz werden, wenn sie stets nur starke Worte bleiben? Der einzige, der stets zu folgen gewillt scheint, ist Herr Schulz. Der war auch stets für seine großen Worte ohne Taten bekannt.