Machtkampf nach Wahldebakel in NRW: AfD pinkelt sich selbst ans Bein
Mehrere Mitglieder des AfD-Bundesvorstands fordern den Abgang von Parteichef Tino Chrupalla. Der will aber nicht weichen.
Genau das machen sich dessen parteiinterne Gegner*innen, insbesondere die hessische Bundestagsabgeordnete und Vorstandsmitglied Joana Cotar, am Tag nach der Niederlage nun zunutze. Cotar macht das wohl auch, um sich selbst als Kandidatin für den Parteivorsitz zu positionieren: „Mit Tino Chrupalla endet die Erfolgsgeschichte der AfD“, sagte Cotar in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit weiteren Mitgliedern des Bundesvorstands. Der sächsische Politiker bilde weder die gesamte Partei ab, noch überzeuge er bei den Wähler*innen. Chrupalla dürfe als Bundessprecher beim Parteitag Mitte Juni in Riesa nicht noch einmal antreten, forderte sie.
Um maximalen Schaden anzurichten, veröffentlichte Cotar ihren Frontalangriff minutengenau zum Beginn der Pressekonferenz von Chrupalla, auf der dieser die Niederlage in Nordrhein-Westfalen erklären sollte. Chrupalla konterte, indem er seinerseits ankündigte, mit einem Team als Bundessprecher anzutreten, das alle Strömungen repräsentieren solle. Nach den Wahlschlappen stehe man jetzt vor der Aufgabe, mit einer inhaltlich noch vagen „Initiative West“ mehr Disziplin einzufordern und einen klar hierarchisierten Bundesvorstand ohne große Konflikte und bisherige „persönliche Animositäten“ zu schaffen, so Chrupalla.
Die offene Kritik versuchte Chrupalla mit einem leicht verhaspelten Scherz zu kontern: „Diese Kakofonie erzeugen immer wieder dieselben Personen. Wie früher beim Camping: Es haben sich immer diejenigen beschwert darüber, dass es nass im Zelt ist, die selbst ins Zelt hinein gepinkelt haben.“ Er sei früher regelmäßig mit der Jungen Union zelten gewesen, so Chrupalla auf die Rückfrage, wo er denn campen gehe.
Höcke-Kandidatur weiter in der Diskussion
Inhaltlich sprach Chrupalla auf der Pressekonferenz erneut von fehlender „Unterscheidbarkeit“, wie er es auch schon nach dem verpassten Wiedereinzug in Schleswig-Holstein tat. Also mehr Ost-Kurs. Dort ist die Partei völkisch dominiert, aber damit überwiegend auch erfolgreich in Regionen, wo rassistische Positionen normalisierter sind als im Westen und die AfD nicht systematisch ausgegrenzt wird.
Ob dieses Konzept tatsächlich auf den Westen übertragbar ist, stellen jedoch viele in der AfD infrage. Zuletzt etwa am Sonntagabend der NRW-Landeschef Martin Vincentz, der davon sprach, dass der mit der Parteispitze liebäugelnde Rechtsextremist Björn Höcke kurz vor den Wahlen nicht unbedingt zum Erfolg beigetragen hätte. Die Frage, ob Höcke Teil seines Teams sein könne, ließ Chrupalla offen. Er wolle keine öffentlichen Personaldiskussionen. Unterordnen aber wollte Chrupalla sich keinesfalls, sagte er: „Wenn Herr Höcke meint, als Parteichef antreten zu müssen, so muss er gegen Tino Chrupalla antreten.“
Es war damit zu rechnen, dass nach der NRW-Wahl unmittelbar vor dem richtungsweisenden Parteitag in Riesa der Lagerkampf zwischen völkisch geprägten Ost-Vertretern und vermeintlich Gemäßigten, mit Schwerpunkt im Westen, weiter an Fahrt aufnimmt. Gleichwohl traf die Kritik einen wunden Punkt: Alexander Wolf, ebenfalls im Bundesvorstand sowie Vizechef der AfD Hamburg, nutzte Chrupallas derzeit offene Flanke – dessen gute Verbindungen nach Russland inklusive Besuch bei Lawrow vor anderthalb Jahren. Wolf sagte: „Ein allzu großes Verständnis für die russische Position im Ukrainekrieg wird nirgendwo mehrheitlich akzeptiert.“ Der Kurs von Chrupalla sei ein Irrweg, der die Partei nach dem Rausfliegen aus dem Landtag in Schleswig-Holstein fast eine weitere Landtagsfraktion gekostet hätte, so Wolf: „‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ ist eine Kirchentagsparole, nicht die Position der AfD.“
Plausibel kann in der AfD allerdings derzeit niemand erklären, wie die AfD künftig Wahlpleiten verhindern will. Chrupallas Vorstoß einer „Initiative West“ ist bisher ebenso unkonkret wie die Forderung nach einer „Offensive West“ seiner parteipolitischen Gegner*innen, die aber immerhin neues Spitzenpersonal fordern können.
Allerdings fehlt es der Partei derzeit an durchdringenden Inhalten und strahlkräftigem Spitzenpersonal: Prominentere Mitglieder kündigten bisher keine Kandidatur an. Alexander Gauland ist zu alt. Alice Weidel will nach allem, was man hört, nicht als Parteichefin kandidieren. Beatrix von Storch ist nach einer Affäre um Wahlbetrug auf einem Berliner Delegiertenparteitag ihrerseits angezählt. Und eine Kandidatur von Höcke würde die Partei wohl vollends zu einer östlichen Regionalpartei degradieren. Die übrigen gehandelten Namen wie Peter Boehringer oder Rüdiger Lucassen sind in der Breite der Bevölkerung eher unbekannt.
Kurzum: Die AfD findet keine Mittel gegen ihren fortschreitenden Bedeutungsverlust. Während zuletzt im Saarland und Schleswig-Holstein noch die heftig zerstrittenen Landesverbände als Erklärung für die schlechten Ergebnisse herhalten konnten, ist die Gesamtkrise der AfD nach der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW nicht zu übersehen. Die Verluste zeigen: Die AfD dringt trotz Krisenlage nicht durch. Die unentschlossene AfD-Haltung in der Russlandfrage schadet, ebenso wenig kann die AfD keine Nicht-Wähler*innen motivieren. Dass nun das offene Hauen und Stechen innerhalb der Partei wieder losgeht, wird wohl ebenfalls nicht gerade helfen.
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