MAD-Prozess in Köln: Hannibal schaffte Computer weg
Neue Erkenntnisse im Fall Uniter: Vor einer Razzia der Bundesanwaltschaft ließ der Soldat einen Laptop verschwinden.
Vor dem Amtsgericht Köln hat am Mittwoch der Prozess gegen einen Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes begonnen. Peter W., 43, wird vorgeworfen, den damaligen KSK-Soldaten André S. alias Hannibal vor anstehenden Maßnahmen gewarnt zu haben. W. bestreitet die Vorwürfe.
Hintergrund des Verfahrens ist eine groß angelegte Durchsuchung des Bundeskriminalamts (BKA) in Calw, wo das Kommando Spezialkräfte stationiert ist. Die Bundesanwaltschaft hatte die Kaserne im September 2017 im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen den rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A. durchsuchen lassen. Davon erhofften sich die Ermittler auch Aufschluss über ein mögliches rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr. Darüber hatte die taz im November 2018 erstmals ausführlich berichtet.
Die Ermittler wollten seinerzeit herausfinden, welche Bedeutung die Soldaten rund um André S., der sich in Internetforen selbst Hannibal nennt, im Rahmen eines mutmaßlich rechtsextremen Netzwerkes in der Bundeswehr spielten. In Chatgruppen, in denen auch der rechtsextreme Bundeswehrsoldat Franco A. Mitglied war, und bei Treffen, die Hannibal organisiert hatte, waren die Ermittler auf Bezüge gestoßen, wonach an einem möglichen „Tag X“ auch die Bundeswehrkaserne in Calw als ein sogenanntes „Safe House“ genutzt werden sollte.
Soldaten waren offenbar vorgewarnt
Bei ihrer groß angelegten Razzia in Calw wurden die Beamten allerdings nicht fündig. Stattdessen stellten sie fest, dass die Soldaten offenbar bereits gewarnt gewesen waren.
Für die Öffentlichkeit neu ist nun: Wie unterschiedliche Zeugen aus dem Kommando Spezialkräfte am Mittwoch bestätigten, hatte Hannibal am Tag vor der Razzia einen Laptop beiseite geschafft und sich vor seinen Kameraden damit gebrüstet, über die bevorstehende Durchsuchung Bescheid zu wissen. Ein damaliger Vorgesetzter von Hannibal sagte am Mittwoch vor Gericht aus, Hannibal selbst habe ihn noch vor der Razzia über die bevorstehende Maßnahme in Kenntnis gesetzt und gesagt, dass sich niemand Sorgen machen müsse. Dabei soll S. auch gesagt haben: „Es ist alles save, weil wir wissen ja davon.“
Hannibal selbst war zu diesem Zeitpunkt in regelmäßigem Kontakt mit dem Militärischen Abschirmdienst und seinem dortigen Kontaktmann Peter W., der jetzt angeklagt ist. Dieser war unter anderem für die Aufklärung des Falles Franco A. zuständig und auch damit befasst, den dubiosen Verein Uniter zu durchleuchten, dessen Hintermann Hannibal ist. In dem Verein organisieren sich Soldaten, Polizisten und Sicherheitsleute. Sie bieten unter anderem Zivilisten militärtaktische Trainings an. Zuletzt hatte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) die Bundesregierung aufgefordert, den Verein stärker zu durchleuchten.
Besonders an dem Verfahren an diesem Mittwoch ist, dass auch Hannibal selbst aus dem Schatten getreten ist. Die taz hatte auf unterschiedlichen Wegen versucht, mit André S. in Kontakt zu kommen. Auf eine erste Presseanfrage im Jahr 2018 hin drohte er der taz damit, den MAD einschalten zu wollen.
Vor Gericht mit Uniter-Krawatte und Emblem
Als er am Mittwoch vor Gericht erscheint, trägt er eine rote Uniter-Krawatte und ein Emblem des Vereins am Kragen seines schwarzen Sakkos. André S., 33, sitzt am Holztisch des Amtsgerichts Köln. Er ist als Zeuge geladen. Der Soldat blickt nach vorn auf die Richterin. Es ist ein besonderer Moment: Jetzt also redet Hannibal. Aber er redet nicht viel.
Die Pressebänke sind vollbesetzt. Die Journalisten und das Gericht wollen wissen: War der KSK-Soldat, der zu diesem Zeitpunkt dem Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr als Auskunftsperson diente, im September 2017 vor der Durchsuchung des Bundeskriminalamts gewarnt worden? Am Ende des Prozesstages steht fest: Ja, er war es.
Hannibal ist begleitet von einem Rechtsanwalt. Er beantwortet an diesem Mittwoch einige Fragen, will sich aber nicht umfassend zum Hergang einlassen – auch, um sich nicht selbst belasten zu müssen. Als er gefragt wird, ob er Kenntnis von den bevorstehenden Durchsuchungen hatte, antwortet er schließlich doch: „Die Kenntnis hatte ich.“
Urteil könnte am Mittwoch fallen
Woher er diese Kenntnis hatte, muss nun das Gericht bewerten. Der Angeklagte Peter W. hatte Hannibal noch zwei Tage vor der schließlichen Razzia in einem Hotel in Sindelfingen getroffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesanwaltschaft darum gebeten, dass der MAD seine Tätigkeiten rund um den Komplex bis auf weiteres einstellt, um mögliche Ermittlungen nicht zu gefährden. Die Bundesanwaltschaft sieht sich offenbar durch W. hintergangen.
Der erklärte dagegen am Mittwoch, dass er selbst gar keine Kenntnis von der bevorstehenden Razzia gehabt habe.
Für das Verfahren ist ein weiterer Prozesstag angesetzt. Ein Urteil könnte gegebenenfalls kommenden Mittwoch fallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen