Lutze fordert Lafontaines Rücktritt: Eskalation bei der Saarland-Linken
Der Landesvorsitzende, Thomas Lutze, fordert Oskar Lafontaine zum Rücktritt auf. Dabei ist es Lutze, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Lutze, seit 2009 saarländischer Linkenabgeordneter im Bundestag, kämpft um Platz eins der Landesliste, die am kommenden Sonntag im saarländischen Neunkirchen aufgestellt wird. Am Montag keilte die Landtagsfraktion unter Lafontaines Vorsitz zurück. Mit dieser Rücktrittsforderung habe sich der Landesvorstand „endgültig disqualifiziert“, heißt es in einer Erklärung.
Die Landtagsfraktion stemmt sich zudem geschlossen gegen eine erneute Bundestagskandidatur Lutzes. „Nur durch eine Neuaufstellung, die das Betrugssystem der vergangenen Jahre überwindet, hat die Linke an der Saar eine Zukunft“, heißt es in dem Beschluss der Fraktion.
Erstmals hat jetzt ein Gegenkandidat seinen Hut für den Showdown in den Ring geworfen. Der 27-jährige Landtagsabgeordnete Dennis Lander bestätigte der taz am Montag, er werde bei der Landesversammlung gegen Lutze antreten. Als Grund nannte er die „existenzielle Krise“ der Landespartei. Die Linken im Landtag sagten ihrem jüngsten Fraktionskollegen „einstimmig“ ihre Unterstützung für die Kampfkandidatur gegen den amtierenden Landesvorsitzenden Lutze zu.
Eine lange Liste an Vorwürfen
Gegenseitige Vorwürfe überschatten die politische Arbeit der Saar-Linken seit Jahren. Bei den Landtags- und Bundestagswahlen erreicht der im Westen erfolgreichste Landesverband gleichwohl stets zweistellige Ergebnisse, trotz der öffentlich ausgetragenen Querelen.
Spätestens seit der Listenaufstellung zur Bundestagswahl 2017 im saarländischen Klarenthal muss sich der Landesvorsitzende Lutze, der damals zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt wurde, mit Manipulationsvorwürfen auseinandersetzen. Die saarländische Landeswahlleiterin ließ die Landesliste nur unter schweren Bedenken zu.
Die Liste der Vorwürfe gegen Lutze ist lang: Er habe für Prämien von 50 Euro Stimmen gekauft, die Mitgliederlisten hätten er und seine MitstreiterInnen verfälscht, heißt es in einer Strafanzeige der früheren Landesvorsitzenden Astrid Schramm aus dem Dezember letzten Jahres. Sie reichte eidesstattliche Erklärungen und Dokumente ein, die der taz vorliegen.
Inzwischen ermittelt die Saarbrücker Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Urkundenfälschung gegen den Bundestagsabgeordneten, dessen Immunität aufgehoben wurde.
Eine „innerparteiliche Schlammschlacht“?
Der von Lutze dominierte Landesvorstand beschuldigt jetzt Lafontaine und seine Fraktionsvize Schramm, eine „innerparteiliche Schlammschlacht zulasten der Partei“ zu inszenieren, wegen „persönlicher Befindlichkeiten“. Die Fraktion mit Lafontaine an der Spitze bezichtigt Lutze im Gegenzug erneut „betrügerischer Machenschaften“. In dem Fraktionsbeschluss heißt es: „Es besteht die Gefahr, dass Thomas Lutze während des Bundestagswahlkampfs wegen Urkundenfälschung und anderer Vergehen angeklagt wird.“
Man habe dem Landesverband in „intensiven Gesprächen“ geraten, die Landesliste nicht auf einer Mitgliederversammlung, sondern wie bundesweit üblich über eine Delegiertenversammlung zu wählen, sagte der Geschäftsführer der Bundespartei, Jörg Schindler, der taz. „Mitgliederversammlungen sind fehleranfälliger“, so Schindler zur Begründung. Der Landesverband habe sich aber dagegen entschieden.
Schindler wies Gerüchte zurück, er habe Lutze von der Kandidatur abgeraten. „Dass die Bundespartei entscheidet, wie die Spitzen der Landesverbände zusammengesetzt sind, ist ein No-Go“,sagte Schindler. „Die Genossen an der Saar müssen jetzt eine gemeinsame Liste aufstellen. Sonst wird das nix.“
Der 27-jährige Dennis Lander, Mitglied des SprecherInnenrats der Linksjugend Solid an der Saar, hatte lange gezögert, gegen Lutze anzutreten. Er wolle sich auf seine Aufgabe als rechts- und innenpolitischer Sprecher der Fraktion konzentrieren und bei der Landtagswahl 2022 erneut antreten, hatte er der taz noch im April versichert. Doch Ende der vergangenen Woche habe er sich neu entschieden.
Lutze weist alle Vorwürfe von sich
Der wichtigste Zeuge für die Strafanzeige gegen Lutze, der Saarlouiser Stadtverbandsvorsitzende Mekan Kolasinac, hatte nämlich nachgelegt. Der frühere Mitarbeiter hatte am Donnerstag öffentlich erklärt, er sei von Lutze aus Mitteln des Bundestages für Parteiarbeit eingesetzt worden, was rechtswidrig wäre.
Kolasinac bestätigte gegenüber der taz am Montag diese neuen Vorwürfe. Für die Kandidatenaufstellung 2017 habe er „zwei Busse mit Mitgliedern“ organisiert, um Lutze damals Platz eins zu sichern. Kolasinac ist ein im Saarland ebenso bekannter wie umstrittener Linker. Wegen antisemitischer Posts musste er sogar einmal eine Geldstrafe zahlen.
Lutze wies gegenüber der taz die neuerlichen Vorwürfe zurück. Er trenne „bestmöglich“ Parteiarbeit und Arbeit als Mandatsträger. Kolasinac sei von Anfang 2017 bis Ende 2020 mit acht Wochenstunden bei ihm geringfügig beschäftigt gewesen, teilte Lutze der taz mit und fügte hinzu: „Diese Vorwürfe reihen sich ein in eine persönliche Kampangne gegen mich und sind unbegründet“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär