Lützerath als Protestsymbol: Bewegung sucht Energie
Die Klimaaktivist*innen brauchen dringend Erfolge. Doch im Kampf gegen den Abriss des Dorfes Lützerath lässt sich nicht viel gewinnen.
F ür viele schöne Dinge im Leben gibt es ein nicht ganz so schönes, dafür umso längeres Wort in der deutschen Sprache. Selbstwirksamkeitserfahrung, zum Beispiel. In anderen Worten: das berauschende Gefühl, das sich einstellt, wenn man mit dem eigenen Körper eine Straße oder eine Zugstrecke blockiert. Wenn das, wofür man demonstriert, auch umgesetzt wird.
Die Klimabewegung braucht nach Jahren der Niederlagen einen Erfolg, der ihr dieses Gefühl zurückgibt. Viele sind frustriert, weil trotz der Offensichtlichkeit der Klimakatastrophe nichts passiert.
Seit Anfang dieser Woche die NRW-Landesministerin Mona Neubaur gemeinsam mit Klimaminister Robert Habeck angekündigt hat, dass das Dorf Lützerath abgerissen wird, weil es auf Braunkohle gebaut ist, hoffen viele auf neue Energie – nicht für das Stromnetz, sondern für die Bewegung. Auf die Chance, endlich mal wieder einen Konflikt zu gewinnen. #StandWithLützi, twittern Luisa Neubauer und andere.
Natürlich gibt es Gründe, die Entscheidung der Grünen und ihren faulen Kompromiss mit RWE zu kritisieren: Der frühere und auch nur freiwillige Kohleausstieg 2030 wäre so oder so gekommen. Die Vorstellung, dass in acht Jahren noch Braunkohle verstromt werden könnte, ist so oder so absurd. Gutachten zeigen zudem, dass die Braunkohle unter Lützerath für die „Versorgungssicherheit“ nicht notwendig ist. Und überhaupt, Versorgungssicherheit, schon wieder so ein Wort. Als wäre die wichtiger als, sagen wir, Überlebenssicherheit.
Orte waren für Bewegungen immer wichtig: Gorleben und der Hambacher Forst sind zu Symbolen geworden. Hier lassen sich komplexe Konflikte vereinfachen, kann eine Bewegung gegen die Staatsmacht und Konzerne gewinnen. Aber eignet sich Lützerath als neues Symbol?
Gorleben wurde über Jahrzehnte zu einem Symbol, lange waren nur ein paar vermeintliche Kauze gegen Atomkraft. Die Endlagerfrage ist zudem bis heute ungelöst. Als der Hambacher Forst zum Symbol wurde, regierte in NRW Schwarz-Gelb und der Kohleausstieg war weit entfernt. Heute ist der Ausstieg beschlossen und gesellschaftlicher Konsens. Die Klimabewegung hatte sich deshalb zuletzt auf den Kampf gegen LNG-Gas konzentriert.
Kämpfe um Orte sind Abwehrkämpfe: Das war so in Gorleben, das war so im Hambacher Forst. Die Bewegung kann wenig gewinnen, wenn sie die Kohlebagger in Lützerath ein paar Monate aufhält. Sie kann die Kompromisse der Grünen als faul entlarven, die Klimapolitik der Regierung als ungenügend. Und dann? Besteht die Gefahr, dass sich die Bewegung an ein verlassenes Dorf klammert, indem niemand außer ihr selbst ein Symbol erkennen will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los