Losse-Müller über SPD-Spitzenkandidatur: „Bei Windkraft Jahre verloren“
Der Kieler SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller sagt, warum der Staat auf dem Land Ladesäulen bauen muss, statt mit Radwegen anzukommen.
taz: Herr Losse-Müller, ganz Deutschland schaut auf die Bundestagswahl, nur die SPD Schleswig-Holstein startet in den Landtagswahlkampf – genial oder daneben?
Thomas Losse-Müller: Wir haben den Spitzenkandidaten bekanntgegeben. Und diesen Schritt haben wir bewusst von der Bundestagswahl abgekoppelt.
Wollten Sie die Umfrage-Welle der Bundes-SPD reiten?
Es scheint perfekt getimet, aber es ist ein bisschen wie mit den Störchen und den Kindern: Es passt, handelt sich aber um eine zufällige Übereinstimmung. Doch ein bisschen Glück dürfen wir haben.
Viele haben geglaubt, dass Parteichefin Serpil Midyatlı Spitzenkandidatin wird. Sie wurde von der Partei konsequent aufgebaut. Dann hat sie Sie auf den Schild gehoben. Was haben Sie, was sie nicht hat?
Wenn ich eine Korrektur machen darf: Serpil hat sich selbst aufgebaut. Nun hat sie für sich eine klare Analyse getroffen, angesichts der Themen, auf die es in den nächsten Jahren ankommt: Klimawandel, Demografie, Digitalisierung – das sind Themen, für die ich im Land bekannt bin, damit bin ich verbunden. Deshalb hat sie mich gefragt. Und ich habe zugesagt, weil ich in diesen Feldern etwas bewegen kann und will.
Der breiten Bevölkerung sind Sie eher gar nicht bekannt. Ein Problem?
In Schleswig-Holstein kennen wir uns, und wir haben neun Monate Zeit.
Sie ähneln Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU vom Typ her, während Serpil Midyatlı als Frau, Migrantin und Unternehmerin eine deutliche Alternative gewesen wäre. Wäre das nicht verlockend gewesen?
Ich glaube, ganz viele haben Serpil als Spitzenkandidatin gesehen, nicht nur wegen dem, was sie aus ihrer Biografie mitbringt, sondern auch wegen der Themen, für die sie steht. Aber hinter Ihrer Frage steckt eine Markenlogik. Wann hat je Politik funktioniert, nur weil jemand aus Marketing-Sicht ein Gegenentwurf zum Amtsinhaber ist? Es geht um die beste Kombination aus Thema und Person.
Sie sind erst seit elf Monaten in der SPD und schon Spitzenkandidat. Ist die Personaldecke so dünn?
48, Volkswirt, war in Kiel schon Finanzstaatssekretär und Staatskanzleichef, arbeitete für die Weltbank und die Deutsche Bank. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bistensee.
Es stimmt, dass ich formell seit elf Monaten Mitglied bin, aber schließlich habe ich bereits unter Torsten Albig die Staatskanzlei geleitet und gehöre seit 2019 der Denkfabrik der Landes-SPD an, habe also seit Jahren sehr intensiv mit Genoss*innen gearbeitet. Natürlich hätte es viele andere geeignete Personen gegeben. Ich bin überzeugt, dass Serpil sich viele angesehen hat.
Sie waren vorher bei den Grünen aktiv – waren Sie in der falschen Partei?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein Rot-Grüner durch und durch. In den Zielen ähneln sich die beiden Parteien.
Warum mussten Sie dann wechseln?
Mein Wechsel war eine Entscheidung pro SPD, nicht gegen die Grünen. Angesichts der großen politischen Aufgaben ist es wichtig, dass wir Zusammenhalt organisieren, und die SPD ist die Partei, die das am besten kann. Für mich ist die SPD weiter die wichtigste Volkspartei, weil alle Milieus und Generationen vertreten sind, sozusagen die mit den bunten und die mit grauen Haaren.
Zusammenhalt, Volkspartei – das klingt nach Floskelalarm.
Nicht, wenn die Begriffe sich aus konkreten Aufgaben buchstabieren. Nehmen wir das Thema Mobilität. Viele reden bei der Mobilitätswende nur von Radwegen und öffentlichem Nahverkehr, aber das funktioniert nur in Städten. Zwei Drittel aller Menschen in Schleswig-Holstein leben auf dem Land. Auch ich selbst wohne auf dem Dorf, weil wir in die Nähe meiner Schwiegereltern gezogen sind. Wenn wir dort von Radwegen und Bussen sprechen, erreichen wir viele Menschen nicht.
Darum haben Sie bei Ihrer Vorstellung ein Bekenntnis zum Individualverkehr abgegeben?
Wir können den Individualverkehr nicht abschaffen, sonst müssten wir das Land abschließen. Aber wir müssen den Menschen, die weiter Auto fahren wollen, ermöglichen, auf E-Mobilität umzusteigen, denn nur so erreichen wir eine CO2-Reduktion. Daher ist eine gute Ladeinfrastruktur wichtig, und die aufzubauen, ist Aufgabe des Staates.
Die SPD rangiert in Umfragen auf Platz drei, wäre auf die Grünen angewiesen. Doch die regieren mit CDU und FDP, und die Jamaika-Koalition ist beliebt. Warum sollten die Menschen in Schleswig-Holstein Sie wählen?
Jamaika bedeutet Stillstand für das Land. Natürlich ist Rot-Grün keine Einheit, aber beide haben eine gemeinsame Richtung, und dafür gibt es Mehrheiten im Land. Schon heute ist Schleswig-Holstein kein konservatives Land mehr, die CDU kommt nicht mal über 30 Prozent.
Sie fordern den Ministerpräsidenten in seinem Heimatwahlkreis Eckernförde heraus – wie viel Rückstand auf Günther wäre für Sie okay?
Es ist richtig, der Ministerpräsident ist der Frontrunner. Trotzdem halte ich es für eine gewinnbare Konstellation. Für den Wahlkampf finde ich es interessant, dass wir nicht nur im Land, sondern auch vor Ort gegeneinander antreten, das führt zu mehr direkten Konfrontationen. Gerade weil wir uns vom Typ ähneln, kommt es auf die Inhalte an. Da reicht es nicht, Schwiegermutters Liebling zu sein.
Was qualifiziert Sie noch?
Ich weiß, wie die Umsetzung der Klimaziele funktioniert, weil ich sowohl die Politik als auch den Maschinenraum der Wirtschaft kenne …
Moment – Sie waren bei der Deutschen Bank und der Weltbank, zuletzt bei EY, der Beratungsfirma, die beim Wirecard-Betrug nur zugeschaut hat. Ist das nicht eher Kommandobrücke als Maschinenraum?
Zunächst mal habe ich in der Strategieberatung und nicht in der Wirtschaftsprüfung gearbeitet. Mit Wirecard hatte das also nichts zu tun. Als Berater haben wir beispielsweise für Stadtwerke Modelle zum Ausbau der Ladeinfrastruktur berechnet und Smart-City-Konzepte entwickelt. Das ist für mich Maschinenraum. Das nächste Thema, für das ich stehe, ist die Digitalisierung, die ich in meiner Zeit in der Staatskanzlei bereits vorangebracht habe. Da geht es um Fragen wie digitale Souveränität und die Unabhängigkeit von riesigen US-Konzernen, die im Wahlkampf schwer zu transportieren sind, aber es sind entscheidende Fragen für unsere Demokratie, daher müssen wir solche Debatten organisieren.
Wie die um den Ausbau der Windkraft?
Genau, das habe ich selbst erlebt. Nachdem das Oberverwaltungsgericht 2016 unsere Planungen zum Windkraftausbau gekippt hat, war ich im ganzen Land unterwegs, um unsere alternativen Vorstellungen zu erläutern. Noch nie musste ich so sehr von meinem Lösungsvorschlag überzeugt sein – da gab es Säle mit 300 Leuten, die dafür waren und 300, die dagegen waren. Das kriegt man nur mit der besten und fairsten Lösung zusammengehalten. Die CDU hat einfach nur Wahlkampf dagegen gemacht. Heute vertreten sie das, was wir damals schon wollten, aber leider haben wir fünf Jahre verloren.
Kann Ihr fünf Jahre alter Plan mitten in der Klimakrise denn genug sein?
Für die Windkraft gilt weiter das Ziel, auf rund zwei Prozent der Landesfläche Mühlen aufzustellen. Aber es steht bereits der nächste Ausbau an, nämlich von Solaranlagen. Dazu muss es eine Landesplanung geben, die die Zielkonflikte löst, damit wir die Kommunen damit nicht allein lassen.
Die SPD Schleswig-Holstein beschreibt sich als „links, dickschädelig und frei“ – was davon passt zu Ihnen?
Frei und links passt auf jeden Fall. Ich bin nicht dickschädelig im Sinn von stur, sondern ich stehe dafür, dass wir die Probleme moderierend lösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül