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Lohnverhandlungen bei der LufthansaSelbstbewusstsein für die dritte Runde

Die Beschäftigten haben maßgeblich zur Rettung der Lufthansa beigetragen. Fraglich ist, ob das in den laufenden Tarifverhandlungen belohnt wird.

Foto: Ronald Wittek/EPA

Berlin taz | Seit Mittwochmorgen wird wieder verhandelt. Bei ihren auf zwei Tage angesetzten Gesprächen in einem großen Hotel am Frankfurter Flughafen versuchen die Un­ter­händ­le­r:in­nen der Lufthansa und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sich auf einen neuen Tarifvertrag für die rund 20.000 Bodenbeschäftigten der Kranich-Linie zu verständigen.

Der Einigungswillen auf beiden Seiten ist groß. Denn die Stimmung an den deutschen Flughäfen ist sowohl bei den Pas­sa­gie­r:in­nen als auch den Beschäftigten aufgrund der chaotischen Zustände vielerorts schon schlecht genug. Weit mehr als 5.000 Flüge muss die Lufthansa im Juli und August wegen Personalmangels streichen. Da sollen jetzt nicht noch weitere streikbedingte Flugausfälle hinzukommen.

Nach den zwei harten Coronajahren 2020 und 2021, die die Lufthansa nur dank eines milliardenschweren staatlichen Rettungspakets überstehen konnte, ist die Lufthansa Gruppe inzwischen wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt. An diesem Donnerstag will sie zwar erst ihre finalen Quartalsergebnisse vorstellen, aber nach den bisher bekannt gewordenen Geschäftszahlen wird sich der Gewinn vor Zinsen und Steuern zwischen 350 und 400 Millionen Euro bewegen.

Bereits auf der Jahreshauptversammlung Mitte Mai verkündete der Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr, der Konzern habe die schwere Krise nicht nur bewältigt, sondern „als Chance genutzt“. Dank nunmehr effizienterer Strukturen und geringerer Ausgaben sei die Lufthansa „heute besser denn je für die Zukunft gerüstet“. So sei es gelungen, die Kosten strukturell – also nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft – um fast 3 Milliarden Euro jährlich zu reduzieren.

Entscheidend dazu beigetragen hat ein drastischer Personalabbau. Vor Corona arbeiteten weltweit rund 138.000 Menschen für den Luftfahrtkonzern, inzwischen sind es nur noch etwas mehr als 100.000. Jeder vierte Beschäftigte musste gehen. Anders als unter anderem von der Linkspartei gefordert, hatte die damalige schwarz-rote Koalition darauf verzichtet, Beschäftigungsgarantien zur Bedingung ihrer hohen finanziellen Unterstützung zu machen.

Das Hilfspaket der Bundesregierung war 9 Milliarden Euro schwer. Die dazugehörigen Kredite und Stillen Beteiligungen hat die Lufthansa inzwischen getilgt. Dass der Bund mittels seines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) für 300 Millionen Euro zudem zum größten Lufthansa-Aktionär wurde, hat sich für ihn finanziell gelohnt. Denn mittlerweile hat er in zwei Margen etwa die Hälfte seines 20-Prozent-Anteils wieder verkauft – und alleine für das Ende Juli verkaufte Aktienpaket rund 300 Millionen Euro bekommen.

Bis spätestens Oktober 2023 muss der WSF auch noch den verbliebenen 9,9-Prozent-Anteil verkauft haben. Der Lufthansa-Vorstand hat ein großes Interesse daran, dass das wesentlich früher geschieht. Denn vertraglich vereinbart ist, dass keine Dividende an die Aktionäre und keine Boni an Führungskräfte ausgeschüttet werden dürfen, solange der Bund noch an dem Konzern beteiligt ist.

Jenseits der ­spezifischen staatlichen Finanzhilfen profitierte die Lufthansa von den aufgrund der Coronapandemie erweiterten Kurz­ar­bei­te­r:in­nen­re­ge­lun­gen. In der Spitze hatte sie mehr als 80.000 Beschäftigte in Kurzarbeit, die Agentur für Arbeit übernahm also den Großteil von deren Bezahlung. Der Konzern stockte nur auf, gemäß den Vereinbarungen mit den Gewerkschaften auf zwischen 87 und 90 Prozent des Nettogehalts.

Nicht nur dadurch haben die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen maßgeblich zur Rettung der Lufthansa beigetragen. So vereinbarte der Konzern mit Verdi, der Unabhängigen Flugbegleitergewerkschaft UFO und der Vereinigung Cockpit jeweils Krisenpakete, die der Airline Einsparungen in Höhe von insgesamt mehr als einer Milliarde Euro ermöglichten. Dazu gehörte der Wegfall des Urlaubs- und Weihnachtsgelds sowie die temporäre Verringerung des Arbeitgeberanteils zur betrieblichen Altersvorsorge.

Bei den Pi­lo­t:in­nen und den Ka­bi­nen­mit­ar­bei­te­r:in­nen kam noch die Aussetzung von vereinbarten Vergütungsanhebungen hinzu. Das war beim Bodenpersonal anders – jedoch nicht zu dessen Vorteil: Im Februar 2018 hatte Verdi mit der Lufthansa für die Beschäftigten am Boden einen aus heutiger Sicht unvorteilhaften Tarifvertrag abgeschlossen.

Der Vertrag mit der ungewöhnlich langen Laufzeit von 33 Monaten sah zwei bescheidene Gehaltssteigerungen um je 3 Prozent 2018 und 2019 vor, wobei die zweite Erhöhung gekoppelt war an das Ergebnis der jeweiligen Konzerngesellschaft, bei der die oder der Beschäftigte gearbeitet hat. Das war eine trickreiche Vereinbarung zulasten der Beschäftigten, weil die Lufthansa Gruppe Rekordgewinne schrieb –, aber eben nicht in jeder Tochtergesellschaft. Wer in der „falschen“ war, bekam nur 1,8 Prozent.

Warum es Verdi 2018 – einem Jahr, das mit einem Gewinn von knapp 2,2 Milliarden Euro eines der erfolgreichsten in der Geschichte der Lufthansa war – nur bei einer Streikandrohung beließ und die Gewerkschaft damals nicht in einen Arbeitskampf für einen besseren Abschluss ging, ist nicht nachvollziehbar. Die Folgen waren jedenfalls fatal.

Denn das hat dazu geführt, dass es bis heute bei Lufthansa-Gesellschaften immer noch Menschen gibt, die für einen Bruttostundenlohn von unter 12 Euro arbeiten müssen, also unter dem ab Oktober geltenden gesetzlichen Mindestlohn. Als der Tarifvertrag Ende September 2020 auslief, war an neue Gehaltstarifverhandlungen nicht zu denken, da ging es nur noch um das Überleben des Arbeitgebers. Statt Lohnerhöhungen gab es Lohneinbußen.

Dass nach nur zwei Tarifverhandlungsrunden Verdi das Bodenpersonal für Mitte vergangener Woche zum Warnstreik aufgerufen hat, ist von daher auch als Einlösung einer Bringschuld zu verstehen. Die Gewerkschaft wollte demonstrieren, dass sie es diesmal besser machen wird. Für das Selbstbewusstsein der Bodenbeschäftigten sollte der Warnstreik von Mittwoch- bis Donnerstagmorgen nicht unterschätzt werden. Mehr als 1.000 Flugausfälle haben sie mit ihrer Arbeitsniederlegung verursacht, betroffen waren rund 134.000 Passagier:innen.

Ende Juni hat sich Lufthansa-Chef Spohr in einem Schrei­ben an die Belegschaft entschuldigt, dass es der Vorstand „an der ein oder anderen Stelle“ mit dem Sparen übertrieben habe. Zu welchen Konsequenzen diese Einsicht führt, wird sich an dem Tarifvertrag ablesen lassen, den Verdi und die Lufthansa möglicherweise an diesem Donnerstag präsentieren werden. Und dann gibt es noch die Verhandlungen mit der Pi­lo­t:in­nen­ge­werk­schaft Vereinigung Cockpit. Auch hier wird sich die Lufthansa kräftig bewegen müssen, um einen Streik abzuwenden.

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2 Kommentare

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  • "Krise nicht nur bewältigt, sondern „als Chance genutzt“"

    Richtig. Also Chance genutzt, die Arbeitnehmerrechte weiter einzuschränken und die Belegschaft zu dezimieren. Und es war nicht die erste Krise, die LH dazu genutzt hat.

  • Spohr sagt "... dass es der Vorstand „an der ein oder anderen Stelle“ mit dem Sparen übertrieben habe. ..."

    Da war den Mann offensichtlich kürzlich auf einem dieser topmodernen Managementseminare: "Korkodilstränen: Wie man sie rausquetscht und optimal einsetzt", oder ?