Lohnungerechtigkeit in Deutschland: Acht Jahre zu viel
Die Journalistin Birte Meier klagte gegen das ZDF wegen Lohndiskriminierung. Nun gibt es eine Einigung. Ein Fall, der viel über Equal Pay verrät.
Im Juni standen die ehemalige ZDF-Journalistin Birte Meier und ihre Rechtsanwältin Sarah Lincoln auf der Bühne der re:publica in Berlin und zeigten mit einem Bild von einem Strand unter Palmen, worum es ihnen ging: Um manchmal bis zu 100.000 Euro und mehr, jedenfalls um „einen Batzen Geld“, wie Birte Meier es nannte. Und darum, ob Wunschträume wie eine Traumreise zum Strand wahr werden können oder nicht.
Sie sprach grundsätzlich von Lohnraub. Aber auch konkret von ihrem eigenen Fall, den sie in ihrem Buch „Equal Pay Now!“ beschrieb.
Als Mitarbeiterin beim ZDF wurde sie jahrelang schlechter bezahlt als männliche Kollegen mit gleicher Qualifikation. Meier klagte und ein acht Jahre andauernder Rechtsstreit inklusive Einschüchterungsversuchen folgte. Nun haben sich Meier und das ZDF gerichtlich geeinigt. Das Arbeitsgericht Berlin bestätigte das gegenüber der taz. Was genau die Einigung umfasst, darüber schweigen beide Parteien.
Angefangen hatte alles bei einer Weihnachtsfeier im Jahr 2014. Meier hatte dort erfahren, dass ein jüngerer Kollege, der nach ihr in die Redaktion gekommen war, dennoch mehr verdiente. Warum? Es gab dafür keinen ersichtlichen Grund. Meier ärgerte sich darüber, weil ZDF-Verantwortliche zuvor versuchten, ihr den Verdacht der ungleichen Bezahlung auszureden. Sie recherchierte in eigener Sache und entdeckte, dass sie grundsätzlich schlechter als Männer bezahlt wurde.
Mühsam erkämpft
Im ZDF folgt die Vergütung für sogenannte feste Freie wie Meier eigenen Prinzipien. Anders als bei ARD-Sendern zahlt das ZDF monatliche Festbeträge auf Lohnsteuerkarte entsprechend einer tariflichen Eingruppierung.
Birte Meier musste sich Auskunft mühsam gegen Widerstand über Jahre gerichtlich erkämpfen. Ihre Klagen seien im ZDF misstrauisch aufgenommen worden – so als verlange sie etwas, was ihr nicht zustehe. Sie hatte den Eindruck, dass man im Sender Negatives über sie sammelte. Statt ihre Vorwürfe zu prüfen, droht das ZDF ihr bald nach Beginn der Auseinandersetzung, der Sender werde ihr Verhalten „arbeits- und gegebenenfalls strafrechtlich“ bewerten. Sie sei kriminalisiert worden, weil sie sich angeblich Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse beschafft habe. Erst nach energischem Protest ihres Anwalts habe das ZDF diese Ansage, die Meier als Einschüchterung empfand, zurückgenommen.
Im Jahr 2016 stand sie vor dem Arbeitsgericht Berlin, und das ZDF forderte sie auf, den Sender zu verlassen. Der Richter habe dem zugestimmt. Sie aber blieb, obwohl sie das Verfahren zunächst verlor. Nach dem Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes erstritt sie Auskunft und erfuhr: Männer verdienten im Jahr 2017 im Schnitt rund 800 Euro im Monat mehr als sie. Obendrein habe es für Männer Leistungszulagen gegeben – nicht aber für sie.
Aufgrund ihrer ungleichen Einordnung in das tarifliche Stufensystem seien Männer zudem vor ihr aufgestiegen und dürften im Schnitt 2018 sogar 1.200 Euro und 2019 über 1.500 Euro pro Monat mehr verdient haben, errechnete die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im Juni 2021. Deren Vertreterin, Nora Markard, sagte damals: „Die Auskunft erhärtet nicht nur den Diskriminierungsverdacht, sondern zeigt auch, dass der Klägerin jährlich bis zu 18.000 Euro entgehen – das sind ganz erhebliche Summen. Das erklärt, warum der Sender sich bisher mit Händen und Füßen gegen die Auskunftspflicht gewehrt hat.“
Nun haben sich Meier und das ZDF gerichtlich geeinigt. Meiers Rechtsanwältin Sarah Lincoln von der (GFF) betont: „Gut, dass Birte Meier dieses Kapitel endlich abschließen kann. Es bleibt jedoch ein Skandal, dass sie so viele Jahre kämpfen musste, um endlich Geld zu sehen. Mit ihrer Hartnäckigkeit konnte sie viel für Frauen in Deutschland erreichen. Ihr Grundsatzurteil von 2020 hat mit dem von der bei einem Metallunternehmen ebenfalls zu schlechten Bedingungen angestellten Susanne Dumas in diesem Jahr erstrittenen Urteil Meilensteine gesetzt: Künftig werden Frauen es wesentlich leichter haben, gleiche Bezahlung einzufordern.“
Kein Verlass auf die Politik
Das Bundesarbeitsgericht hatte in den beiden Urteilen laut GFF klargestellt: Auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte haben Anspruch auf Lohnauskunft. Und Arbeitgeber dürfen von dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht abweichen, nur weil ein Mann höhere Gehaltsforderungen stellt als seine Kollegin. Diese Entscheidungen zeigten, welche wichtige Rolle die juristische Intervention bei der Durchsetzung von Menschenrechten spielte, so Sarah Lincoln. Denn auf die Politik hätten die Frauen hierzulande bisher nicht zählen können: Dass Deutschland bei der Gleichbezahlung von Frauen europaweit zu den Schlusslichtern gehört, habe auch damit zu tun, dass der Gesetzgeber bindende EU-Vorgaben aus den 1970er Jahren bis heute nicht vollständig umgesetzt habe. Dies habe zuletzt auch das Bundesarbeitsgericht in seiner Grundsatzentscheidung im Verfahren von Birte Meier gerügt, sagt die GFF-Anwältin.
Dass Politiker:innen eine fragwürdige Rechtsauffassung offenbaren, die gegen Artikel 3 des Grundgesetzes („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) verstößt, kritisiert Lincoln. Bei der Abstimmung zur neuen, noch einmal verschärften EU-Richtlinie zur Lohntransparenz im April dieses Jahres habe sich die Ampelregierung enthalten. Sarah Lincoln sagt: „Dass sich eine deutsche Regierung im 21. Jahrhundert immer noch dagegen sträubt, die notwendigen Schritte für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen anzugehen, ist eigentlich unfassbar. Doch trotz Enthaltung ist die Bundesrepublik nun verpflichtet, die Vorgaben konsequent in nationales Recht zu gießen. Und das darf nicht noch einmal Jahrzehnte dauern.“
Zur Höhe der finanziellen Entschädigung von Meier äußern sich beide Parteien nicht. Im Juni vergangenen Jahres hatte das ZDF Meier 110.000 Euro und vier bezahlte Monate Urlaub angeboten, wenn sie ihre Vorwürfe nicht weiter öffentlich erhebt. Meier nannte das Angebot „verlockend“ und lehnte ab. Stattdessen veröffentlichte sie das Buch „Equal Pay Now!“ und beklagte darin „knallharten Lohnraub“, der Frauen um den Wert eines Einfamilienhauses oder einen finanziell abgesicherten Ruhestand bringe.
Erstmals nannte Birte Meier in ihrem Buch Details zu ihrem eigenen Verfahren.
Vor Gericht habe das ZDF noch vehement bestritten, dass Frauen benachteiligt würden, betont sie. Doch nachdem sie Klage eingereicht hatte, seien Frauen, die ihre Anwälte und Anwältinnen als im Vergleich zu einem Mann grundlos schlechter bezahlt aufführten, entweder angestellt (und damit nach Ansicht des ZDF nicht mehr vergleichbar) oder aber ihr Honorar sei erhöht worden, berichtet Meier. Mittlerweile sei das ZDF offenbar bemüht, die Altlasten möglichst ohne Aufsehen zu bereinigen.
Die Summe, auf die Meier und das ZDF sich nun einigten, ist vermutlich niedriger als die 2022 gebotene Summe, weil die Schweigeklausel durch die Buchveröffentlichung und damit verbundene Interviews obsolet wurde. Das ZDF beantwortet keine Fragen zu dem Rechtsstreit, etwa wie viel das acht Jahre dauernde Verfahren den Sender gekostet hat.
Meier kündigte im Juni 2022 beim ZDF und arbeitet seit Oktober für RTL. Gegenüber der taz bilanziert Meier: „Acht Jahre Klagen auf gleichen Lohn sind genau acht Jahre zu viel. Es bleibt ein Präzedenzurteil vor dem Bundesarbeitsgericht für alle Frauen, eine Überweisung für mich und die bittere Gewissheit, dass in Deutschland für Equal Pay noch viel zu tun ist.“
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