Lohnt sich ein Myfest-Besuch noch?: Contra: Ein närrisches Volksfest
Das Myfest ist nichts anderes als Karneval – und alle beteiligen sich gerne an der Inszenierung: die Polizei, die Anwohner, die Besucher aus aller Welt.
Im Grunde ist es der Ursprungsgedanke des traditionellen Karnevals, dem das Kreuzberger Myfest folgt: Für ein paar Tage wird der Bevölkerung gestattet, Herrin in der Stadt beziehungsweise im Kiez zu sein.
Die üblichen Machtverhältnisse werden währenddessen – rein symbolisch, versteht sich – auf den Kopf gestellt: In den klassischen Karnevalsgegenden wird das durch die Übergabe der Rathausschlüssel an die NärrInnen inszeniert, in Kreuzberg stellt sich die Polizei zur Verfügung, um als Ventil für das sonst übliche Gefühl der Machtlosigkeit zu dienen. Die BewohnerInnen, die sich an diesem Teil des Festes nicht beteiligen wollen, nutzen es, um sich – auch das ist ein Ausdruck von Souveränität – dessen Gästen als GastgeberInnen und UnterhalterInnen zu präsentieren: mit Köfte wie bei Muttern und kurdischen Volkstänzen.
Und die Gäste kommen zuhauf: Das Fest zieht mittlerweile BesucherInnen weit über Berlins Landesgrenzen hinaus an, die sich der närrischen Illusion begeistert hingeben. Biertrinkende Provinzjungs grölen „Revolution“, wenn am frühen Abend schwarz ge- (oder ver-?) kleidete Grüppchen von Polizisten verfolgt durch die Menge jagen – die Mutigeren (oder Betrunkeneren) unter ihnen werfen sogar noch einen halbvollen Bierbecher hinterher. Mädchen in nigelnagelneuen Öko-Baumwoll-Pluderhosen fotografieren sich gegenseitig vor einem von Obdachlosen bewohnten Haltestellenhäuschen, deren Habseligkeiten dort in Plastiktüten und alten Einkaufswagen aufgestapelt sind – als hätten sie mit diesem Elend etwas zu tun.
Ist das schlimm, weil unpolitisch? Oder darf das Myfest eben einfach ein cooles Volksfest sein? Diskutieren kann man darüber viel. Entscheiden können es nur die KreuzbergerInnen – in einem Akt tatsächlicher Souveränität.
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