„Lob der Homosexualität“ von Luis Alegre: Das Privileg der Distanz
Homosexuelle sind die Avantgarde, die der Gesellschaft jene Freiheit vorlebt, die sie sich verbietet. So schildert es Philosoph Luis Alegre.
Warum eigentlich müssen sich heterosexuelle Männer schmerzhaft auf die Schulter hauen, wenn sie doch eigentlich ihre gegenseitige Zuneigung zum Ausdruck bringen möchten? Und muss das immer so bleiben? Der spanische Philosophieprofessor Luis Alegre, Mitbegründer der Partei Podemos, sagt: Nein. Wenn sich die Mehrheitsgesellschaft auch weiterhin an den Homosexuellen orientiert, der Avantgarde, die schon längst in Freiheit lebt, ganz ohne heterosexuelle Zwangsmatrix.
Auf eben jene akademische Prunksprache, bekannt aus der Gender- und Queerforschung, verzichtet Alegre in seinem „Lob der Homosexualität“, das nun im C.H. Beck-Verlag anlässlich des anstehenden Jubiläums „50 Jahre Stonewall“ erschienen ist, übersetzt aus dem Spanischen.
Alegre betet auf seinen rund 215 Seiten auch nicht bloß Judith Butler herunter sondern beruft sich vor allem auch auf Sigmund Freud, argumentiert mal mit Schlagertiteln und mal mit Kant, um sein Anliegen deutlich zu machen. Dabei entgeht er der großen Schicksalsfrage, „natürlich oder konstruiert“ mit verblüffender Eleganz: Am Ende sei das doch gar nicht so wichtig.
Vielmehr geht es ihm um ein gelingendes Leben für alle: Alegre, der Protestpartei-Begründer, möchte die Mehrheitsgesellschaft befreien, die sich trotz einigen Wandels zum Besseren noch immer eingekastelt sieht in feste Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit.
Eine gewisse Narrenfreiheit
Heterosexuelle Männer und Frauen befänden sich in festen Waben, während Homosexuelle diese schon recht früh (und gezwungenermaßen) sprengten, und sich von nun an frei zwischen verschiedenen Waben bewegen könnten. Bei Heteros dagegen werde schon mit der Aussprache des Satzes „Wir sind verlobt“ ein ganzes Programm heruntergeladen, inklusive Schwiegereltern, Urlaub und Sitzverteilung im Auto.
Luis Alegre: „Lob der Homosexualität“. Aus dem Spanischen von Thomas Schulz, C.H. Beck, München 2019, 220 S., 18 Euro
Wie bei modernen Neuwagen würden Männlichkeit und Weiblichkeit nur in „Paketen“ angeboten“ und das Leben verliefe weitestgehend auf Schienen: „In der Tat überkommt einen eine gewisse Rührung, wenn man sieht, wie sich fast alle Heteros mit Leib und Seele der Ausführung eines Rezepts verschrieben haben, dessen Urheber sie nicht sind.“
Im Gegensatz sei den Homosexuellen, der Unterdrückung und der Nichtzugehörigkeit sei Dank, das Privileg der Distanz geschenkt worden, inklusive einer gewissen Narrenfreiheit: „Es besteht immer eine Distanz zu der Person, die wir sind.“ Ganz gut beschreibt Alegre, wie LGBTIQ zumeist schon in der Schule (und häufig gewaltsam) mit der Frage „Was bist du eigentlich“ konfrontiert werden und sich von da an gezwungen sehen, eigene Antworten zu finden, eigene Wege zu gehen. Was Freiheit bedeutet, aber auch ganz schön anstrengend sein.
Nun wurde Luis Alegre aber damit beauftragt, ein Lob der Homosexualität zu verfassen und nicht, deren Qualen zu schildern. So skizziert er die Devianz als Vehikel der Freiheit – und von der könnten sich Heteros vor allem im sexuellen Bereich ruhig etwas abschneiden. Denn während sich in Fragen der Liebe auch die Homos mangels Alternativen irgendwo zwischen Shakespeare und Hollywood herumquälen müssten, hätten sie in Fragen der Sexualität Pionierarbeit geleistet.
Die Egalität des Darkrooms
Die Sexualität von der Fortpflanzung trennen und sie als etwas eigenständiges begreifen – für den Homosexuellen sei der Sex eine Kathedrale, die er selbst gestalte. Man habe eine bessere Lösung gefunden für den Umgang mit Thanatos und kümmere sich eben auch um die „B-Seite“, die im heterosexuellen Leben meist nur in Form von Prostitution vorkomme.
Alegre preist die Egalität des Darkrooms, die Außerkraftsetzung der Zeit auf schwulen Sexparties („ob mit Chems oder Kaffee“) – und ist Gott sei Dank ehrlich genug einzuräumen, dass er von weiblicher Sexualität eigentlich keine Ahnung hat.
Anmaßend ist Alegre nicht, auch wenn sein „Lob der Homoesexualität“ auf manchen so wirken könnte. Denn „Heteros sind Heteros wie Pinguine Pinguine sind“ und ihr „Verhältnis zur Heterosexualität wie der Stein zur Schwerkraft“ – es gibt dazu keine Reflexion, und genau das wird auch diesem bei aller Zuspitzung und Vereinfachung ziemlich klugen, vermittelndem Buch zum Verhängnis werden. In Form von Desinteresse. Schade eigentlich.
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