50 Jahre Stonewall-Unruhen: Die vielen an der Front

Roderick A. Ferguson zeigt in seinem Buch über die Stonewall-Unruhen vor 50 Jahren: Ihre Ursprünge sind kompliziert und mehrdimensional.

Polizisten schlagen mit Stöcken auf Männer am Boden ein.

Die Polizei knüppelt in die Multitude schwuler Demonstranten in Greenwich Village Foto: Larry Morris/NYT

Am Donnerstag jährten sich zum 50. Mal die Unruhen in der Christopher Street im New Yorker Greenwich Village, die nach einer Polizeirazzia im dortigen Stonewall Inn begannen. Viele betrachten jenen Aufstand des Jahres 1969 als Geburtsstunde der neueren LGBT-Bewegung. Die inzwischen verstrichenen Jahrzehnte gelten als durch begrüßenswerte gesellschaftliche Fortschritte gekennzeichnet, als eine Zeit, in der Rechte errungen und eine bessere Gleichstellung vor dem Gesetz erreicht wurden.

In den USA und anderswo wird Homosexualität nicht mehr als psychische Störung definiert, gleichgeschlechtlichen Paaren steht es frei zu heiraten und Kinder zu adoptieren, und Schwule und Lesben können offen Militärdienst leisten.

Gleichwohl ist, so Roderick A. Ferguson in seinem neuen Buch „One-Dimensional Queer“, ein Verständnis der Stonewall-Unruhen und der Lesben- und Schwulenbewegung zu hinterfragen, das sie, im Anschluss an die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, vor allem als Momente einer Ankunft der Sexualität in der „Welt der Rechte“ sieht. Ferguson, Präsident der American Studies Association, konzentriert sich in seiner Studie auf die Geschichte und die politischen Verhältnisse der USA. Das Gay Liberation Movement, wie man es aus den 1960er und 70er Jahren kennt, lasse sich, so das Argument, weitaus besser als Teil einer „mehrdimensionalen“ Anstrengung verstehen, eine radikal andere Zukunft zu gestalten.

Häufig finden sich die Ereignisse wie in Roland Emmerichs Film „Stone­wall“ aus dem Jahr 2015 dargestellt. Der Film zeigt ein diverses LGBT-Milieu im Stone­wall Inn. Viele darunter sind jung und wohnungslos, flohen vor ihren Familien oder wurden von ihnen verstoßen. Sie sind arm, viele machen Sexarbeit und erleben immer wieder die Brutalität der Polizei. Verschiedene Charaktere im Film basieren auf realen Protagonist*innen des Stonewall-Aufstands.

Eine Nebenfigur ist Marsha P. Johnson, eine afrikanisch-amerikanische Trans-Aktivistin, die in der Zeit nach Stonewall eine wichtige Rolle in der Queer-Politik spielte und zusammen mit Sylvia Rivera – die im Film nicht auftaucht – die Organisation STAR (Street Transvestite Action Revolutionaries) gründete. Im Mittelpunkt steht jedoch die fiktive Figur des „Danny“, eines weißen Oberschülers aus der Mittelschicht, der – so will der Film offenkundig glauben machen – vermutlich ein Leben führen würde, das einigermaßen frei von Härten und sicherlich frei von Diskriminierung wäre, wenn es da nicht dessen Homosexualität gäbe.

Beim Sex erwischt

Nachdem er mit einem seiner Freunde beim Sex erwischt wurde, muss Danny von zu Hause weg und macht sich auf nach Greenwich Village, wo er, ein paar Monate später, in die Stonewall-Ereignisse gerät. In der Werbung für den Film heißt es: „Als der erste Stein fliegt, kommt es zum Aufstand – der Beginn eines Feldzugs für die Gleichberechtigung.“

Roderick A. Ferguson: „One-Dimen­sio­nal Queer“. Polity, Cambridge 2019, 200 S., 18,50 Euro

Die vielgestaltigen Härten, mit denen die Stammgäste aus der LGBT-Community im Stonewall Inn regelmäßig konfrontiert waren, werden in einer solchen Darstellung nicht direkt geleugnet, aber für das, was passiert, erscheinen sie nebensächlich. Schließlich ist es Danny, der den ersten Stein wirft und den Feldzug beginnt.

Fergusons Buch indes rückt die „mehrdimensionale“ (oder intersektio­nale) queere Geschichte in den Vordergrund und zeigt überzeugend, dass sie einen tragfähigeren Ausgangspunkt für politisch-theoretische Fragestellungen abgibt. Das Material, auf das er sich stützt, zeigt, dass die Bewegungen der 1960er und 70er Jahre „nicht aufeinander folgten – Gay Liberation trat nicht in die Fußstapfen der Bürgerrechtsbewegung –, sondern gleichzeitig existierten und jede von ihnen versuchte, in einen (wenn auch schwierigen) Austausch mit der anderen zu kommen“.

Gegen die polizeiliche Repression

Johnsons und Riveras STAR organisierte nicht nur Unterstützung für wohnungslose Queers und trans*Menschen, sondern mobilisierte auch gegen die polizeiliche Repression oder arbeitete mit den Young Lords zusammen, einer Organisation, die aus einer puerto-ricanischen Straßengang in Chicago hervorgegangen war.

An den Stonewall-Unruhen waren auch Mitglieder der Black Panther Party und anderer radikaler Organisationen, etwa der Young International Party („Yippies“), beteiligt. Rivera selbst kam 1970 zum Revolutionären Konvent der Black Panther Party, kurz nachdem deren Mitbegründer, Huey P. Newton, das Bündnis mit den Befreiungsbewegungen der Frauen und der Schwulen und Lesben gefordert hatte.

Die Organisation Third World Gay Revolution, gegründet von schwarzen und lateinamerikanischen ehemaligen Mitgliedern der Gay Liberation Front, kämpfte für ein garantiertes Einkommen und für die reproduktiven Rechte der Frauen. Dyketactics!, eine Gruppe aus Philadelphia, organisierte einen stadtweiten Frauen-Generalstreik gegen Arbeitslosigkeit sowie die Ungleichheiten in entlohnten und nicht entlohnten Arbeitsverhältnissen.

Kritik an Kapitalismus, Staat, Rassismus und Gendernormen

Ferguson fragt in seinem Buch nicht zuletzt nach den politischen und wirtschaftlichen Kräften, die seit jeher bemüht sind, queere Sexualität von der Kritik an Kapitalismus, Staat, Rassismus und Gendernormen zu trennen. Ausgehend von Herbert Marcuses Argumentation in dessen 1964 erschienener Studie „One-Dimensional Man“ beschreibt Ferguson, wie ein „sich über alles hinwegsetzendes Interesse an der Erhaltung und Verbesserung des institutionellen Status quo“ die „früheren Antagonisten“ vereint.

Die Normalisierung von Queerness – etwa wenn die rechtliche Möglichkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe als Ziel in den Mittelpunkt rückt – wird zum Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts. Und dieses Zeichen dient schließlich als Mittel der Entpolitisierung, der Neutralisierung eines Denkens und Handelns, das bestrebt ist, „den Status quo zu transzendieren“.

Mit anderen Worten, Eindimensio­nalität – einschließlich auf einzelne Aspekte wie sexuelle Orientierung beschränkter Ansätze in der Sexualpolitik – bedeutet in der Regel eine „Kapitulation vor der gegebenen sozialen und institutionellen Landschaft“, sodass die Gesellschaft imstande ist zu unterbinden, was Marcuse als „qualitative Veränderung“ bezeichnet, nämlich eine Veränderung, die „wesentlich andere Institutionen durchsetzen würde, eine neue Richtung des Produktionsprozesses, neue Weisen menschlichen Daseins“.

Doch auch wenn in der Gegenwart LGBT-Politik von Eindimensionalität dominiert ist, gehört Fergusons Buch zu einer Reihe von Bemühungen aus jüngerer Zeit, die Zitierbarkeit einer „mehrdimensionalen“ queeren Geschichte zu stärken, wozu der Stonewall-Aufstand ebenso gehört wie die darauffolgenden Queer- und Transgender-Bewegungen. Ferguson hat daher zweifellos recht, wenn er davon spricht, dass Widerstand gegen den Verlust dieser Bewegungen an die Vergangenheit dazu beitragen kann, dass sie zu Momenten einer lebendigen queeren Tradition werden, einer, die nach wie vor imstande wäre, die Zukunft entscheidend zu gestalten.

Aus dem Englischen von Thomas Atzert

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