Lkw-Fahrerin über ihren Beruf: „Der Konkurrenzdruck ist riesig“

Lkw-Fahrerin Vivien Blumenthal liebt ihre Arbeit. Mit der taz sprach sie über Italien, Corona, männliche Kollegen und ihren fünfjährigen Sohn.

Vivien Blumenthal steht vor einem weißen LKW

Fühlt sich von ihren männlichen Kollegen meist respektiert: Lkw-Fahrerin Vivien Blumenthal Foto: Miguel Ferraz

taz: Gibt es noch so etwas wie Fernfahrerromantik, Frau Blumenthal?

Vivien Blumenthal: Ein seltsamer Begriff, eigentlich hat der Beruf des Fernfahrers rein gar nichts mit Romantik zu tun. Trotzdem schaffe ich es, mir das Leben unterwegs schön zu machen. Wenn ich zum Feierabend mit einer Decke und einem Gläschen Wein am Strand sitze, ist das wohl meine persönliche Fernfahrerromantik.

An welchen Strand fahren Sie denn?

Ich fahre für eine Hamburger Spedition und zurzeit nur noch die Strecke Hamburg–Italien. Ich fühle mich in Italien schon fast wie zu Hause, habe Freunde gefunden und feste Orte für meine Pausen. Jede Woche transportiere ich aus dem Hamburger Raum Leergutgestelle zum Beispiel für Motoren und sammele bei verschiedenen Kunden Ware für den Rückweg. Ich fahre viel rund um Verona, Genua, Venedig, aber auch bis Sizilien oder ins süditalienische Lecce. Dort gibt es schöne Strände, und wenn es geht, nehme ich mir die Zeit dafür.

Sind Sie auch während der kritischen Coronaphase nach Italien gefahren?

Ja, jede Woche. Mein Disponent fragte mich immer wieder, ob ich wirklich fahren will. Er und mein Chef überließen mir die Entscheidung. Ich dachte mir, wenn niemand fährt, bekommen die Firmen in Italien ja ihre Ware gar nicht los.

Wie hat Corona Ihre Arbeit beeinflusst?

Weniger, als viele vielleicht annehmen. Klar, ich muss Mundschutz tragen, habe Desinfektionsmittel dabei, Einmalhandschuhe fürs Einkaufen. An den Grenzen wird streng kontrolliert und Fieber gemessen, genauso bei den Kunden. Es ist eine besondere Erfahrung. Unheimlich und irgendwie trotzdem schön.

32, lebt mit ihrem fünfjährigen Sohn in Waren/Müritz. Ihren ersten Beruf als Krankenschwester musste sie wegen einer chronischen Krankheit aufgeben. Vor über drei Jahren macht sie ihren LKW-Führerschein und fährt jetzt für eine Hamburger Spedition. Sie ist Protagonistin in einer mehrteiligen Trucker-Dokumentation im ZDF.

Unheimlich und schön?

Auf den Straßen war es fast unheimlich. Normalerweise ist es voll. Lkw an Lkw, Wohnwagen, Pendler. Vor allem ab dem Brenner und rund um Mailand herrscht immer Stau und Chaos. Ich bin teilweise durch leere Straßen gefahren, Mailand war eine Geisterstadt. Ich habe Videos gemacht, weil mir das sonst keiner geglaubt hätte. In manchen Orten standen die Leute auf den Balkonen, haben mir gewunken und geklatscht. Da habe ich schon Gänsehaut bekommen. Die Kunden hatten Tränen in den Augen, wenn ich auf das Gelände gefahren bin, und haben sich bedankt, dass ich trotz dieser Zeit zu ihnen komme. Seit ein paar Wochen verbessert sich die Situation. Die Straßen werden voller und ich sehe Menschen, die spazieren gehen und Eis essen. Mich freut das.

Wie reagieren die Kund*innen in Italien eigentlich, wenn eine Frau am Steuer sitzt?

Ich werde selten blöd angeschaut, sondern eher wie eine Königin behandelt. Die meisten Kunden schätzen mich sehr, der Umgang ist herzlich. Generell ist die Wertschätzung gegenüber den Fahrern hoch, egal ob Männer oder Frauen. Ich habe zwar auch in Italien auch schon ein, zwei Frauen in der Fahrerkabine gesehen, aber es ist doch sehr selten.

Genauso wie in Deutschland. Hier beträgt der Frauenanteil unter Berufskraftfahrer*innen keine zwei Prozent. Wieso haben Sie sich gerade für diesen Beruf entschieden?

Das war schon immer mein Traumberuf. Mein Papa war auch Berufskraftfahrer. Das Interesse ließ in einem bestimmten Alter nach und ich habe eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Wegen einer chronischen Hautkrankheit musste ich mich beruflich umorientieren.

Und Sie wurden Lkw-Fahrerin.

Im Januar 2017 habe ich meinen Führerschein gemacht. Gleich den großen Schein mit verschiedenen Modulen. Ich darf alles fahren, Gefahrengüter, Kran, Stapler und so weiter.

Wie fühlen Sie sich auf so einer Riesenmaschine?

Ich habe Respekt, den sollte jeder haben, der so eine Maschine bewegt. Man muss achtsam sein, wenn man mit 40 Tonnen und mehr auf der Straße unterwegs ist. Das ist nicht jedermanns Sache. Enge Straßen oder die Serpentinen in den Dolomiten fordern viel Konzentration.

Wie wichtig ist die Deko im Fahrer*innenhaus?

Ich muss mich wohlfühlen, es muss sauber sein, schließlich wohne ich auf diesen drei Quadratmetern. Bisher hatte ich Bullenhörner vorn drin und Federschmuck, aber ich fahre einen neuen Lkw und bin noch nicht dazu gekommen. Manche haben Blinkeschilder und massenweise Plüschtiere in der Scheibe. Das ist nichts für mich, die Scheibe muss ich frei haben. Das Wichtigste ist Pauli, mein Hund.

Ein Hund?

Früher habe ich kritisiert, wenn die Fahrer ihren Hund dabeihaben, vor allem größere Tiere. Das ist für mich Tierquälerei. Bei Pauli bin ich eingeknickt. Er hätte eingeschläfert werden sollen. Ich habe ihn aus dem Tierheim mitgenommen. Er ist ganz kleiner Mischling. Beim Fahren liegt er meist im Bett hinter mir. Er ist mein Ausgleich. Durch ihn bin ich gezwungen, mich in den Pausen viel zu bewegen, wir gehen spazieren, joggen. Bei den Kunden darf er rumlaufen.

Sind Frauen die besseren Fahrer*innen?

Das würde ich nicht behaupten. Vielleicht fahren Frauen gewissenhafter, aber da will ich jetzt niemanden schlecht machen. Was man aber sagen kann: Es gibt welche, die machen ihren Job besser, andere schlechter, sowohl Männer als auch Frauen. Ich weiß, was ich kann. Es gibt auch Männer, die lassen sich gerne von mir helfen beim Einparken zum Beispiel.

Die männlichen Kollegen respektieren Sie also?

Generell kann ich sagen, dass die männlichen Kollegen mich akzeptieren und respektieren. Ganz selten gibt es auch mal Schmierlappen, die meinen, sie könnten mich anmachen. Aber ich bin nicht auf den Mund gefallen, ich kann mich wehren.

Und wie ist der Kontakt zu weiblichen Kolleginnen?

Ich kenne einige Fahrerinnen. Wir schreiben uns mal, aber wir sind nicht alle untereinander vernetzt. Ich bin eher mit männlichen Kollegen befreundet.

Berufskraftfahrer*in gehört nicht zu den angesehensten Berufen in Deutschland.

Wir sind grundsätzlich die Doofen. Wir überholen, veranstalten Elefantenrennen auf der Autobahn, provozieren Unfälle, blockieren die Innenstädte. Durch die Coronakrise hatte sich das Bild mal kurz geändert, aber das ist schon wieder vorbei.

Woran liegt’s?

Viele Leute können sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn wir nicht mehr fahren würden. Wir liefern ja nicht nur Klopapier. Ob Kleidung, Fertigmauern für Häuser, Brückenteile, Lebensmittel, Maschinen, alles fährt mit uns auf dem Trailer. Ich wäre dafür, dass in Deutschland mal alle Lkw-Fahrer für eine Woche streiken. Dann werden die Leute vielleicht wirklich wach und registrieren endlich, was wir eigentlich für Arbeit leisten.

Die Diskussion über bessere Arbeitsbedingungen für Berufskraftfahrer*innen ist nicht neu. Warum ändert sich nichts?

Der Konkurrenzdruck auf dem Speditionsmarkt ist riesig. Viele osteuropäische Speditionsfirmen kaufen die Touren für wenig Geld weg, teilweise liegen die Preise für den Kilometer unter einem Euro. Das kann kein deutscher Fahrer leisten. Es müsste europaweit einheitliche Lösungen geben, aber der Wille, das zu ändern, scheint nicht da zu sein.

Wie ist die Stimmung zwischen deutschen und osteuropäischen Fahrer*innen?

Die Fahrer aus Osteuropa sind in meinen Augen ganz arme Schweine. Die sitzen wochenlang mit zwei Leuten in einem Auto und kochen sich Essen auf kleinen Gaskochern, weil sie es sich nicht leisten können, ins Restaurant zu gehen. Auch unter den deutschen Kollegen ist der Umgang untereinander sehr eigen geworden.

Woran machen Sie das fest?

Ich kann das zwar nach drei Jahren im Beruf noch nicht wirklich bewerten, aber es macht sich im Straßenverkehr bemerkbar. Jeder will, oder muss, der Erste, der Beste, der Schnellste sein. Die überholen im Überholverbot, scheren kurz vor der Baustelle erst ein, das ist auch nicht mehr schön. Der Konkurrenzdruck ist enorm.

Sie sind Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Unter der Woche sind Sie auf Achse, wie kriegen Sie das hin?

Mein Sohn Nevio ist unter der Woche bei seinem Vater. Wir leben getrennt, verstehen uns aber gut. Auch meine Eltern unterstützen mich. Sie holen Nevio vom Kindergarten ab und nehmen ihn für den Nachmittag. Ohne die Unterstützung von meinen Eltern oder Nevios Vater könnte ich den Beruf nicht ausüben. Als Lkw-Fahrerin Beruf und Familie zu vereinen, ist fast unmöglich. Für ein intaktes Familienleben ist der Job ungeeignet.

Was sagt Ihr Sohn zu Ihrem Beruf?

Der ist natürlich stolz auf seine Mama. Als er noch kleiner war, nahm er es als selbstverständlich hin, dass ich Sonntagabend los bin und die Woche weg war. Je älter er wird, desto mehr hinterfragt er das Ganze. In letzter Zeit fällt ihm der wöchentliche Abschied schwer. Er weint und pokert um jede Minute, die ich länger bleibe. Ich bringe es mittlerweile kaum übers Herz loszufahren.

Wollen Sie trotzdem weiterfahren?

Ich habe eine Entscheidung getroffen. So sehr ich den Fernverkehr liebe, Ende des Jahres werde ich in den Nahverkehr wechseln, also nur noch bundesweit fahren. Ich will mehr Zeit mit meinem Sohn verbringen. Glücklicherweise unterstützt mich mein Chef in dieser Entscheidung. Aber dann heißt es erst mal: Tschüss, bella Italia.

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