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Literaturnobelpreisverleihung StockholmLücken beim Bankett

Olga Tokarczuk und Peter Handke haben nun endlich ihren Literaturnobelpreis. Im Fall Handke ging das nicht ohne Proteste vonstatten.

Protest gegen Peter Handke am Dienstag in Stockholm Foto: Atila Altunas/AA/picture alliance

Nobelpreisverleihung in Schweden bedeutet Ausnahmezustand für die Medien. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sendet sieben Stunden live, die meisten Zeitungen haben Sonderseiten, in denen von der Sitzordnung beim Bankett bis zur Auflistung der Abendkleider des Königshauses wirklich jedes Informationsbedürfnis gestillt wird.

Oberflächtlich also „same procedure as every year“. Wie immer am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, bekamen erst alle PreisträgerInnen ihre Urkunde und die Medaille mit dem Konterfei des Stifters aus der Hand des Monarchen. Gleich 16 Geehrte waren es am Mittwoch im Stockholmer Konzerthaus. Und nein, Carl XVI. Gustaf ließ sich, anders als einige von ihm verlangt hatten, die Ehrung des Literaturnobelpreisträgers Peter Handke nicht nehmen.

Dessen Auszeichnung hinterließ bereits Spuren: Die BotschafterInnen Albaniens, Kroatiens, des Kosovo und der Türkei blieben fern. Das geschehe aus Protest gegen Handke als Unterstützer Slobodan Milošević’, „der Mörder unserer bosnischen Brüder war“, hieß es beispielsweise in der Begründung der türkischen Regierung. Ausgerechnet Präsident Erdoğan warf der Nobelstiftung vor, mit diesem Preis würde sie „Verstöße gegen die Menschenrechte auszeichnen“.

Sogar ein Akademie-Mitglied bleibt fern

Sowohl bei der Zeremonie als auch beim Bankett am Dienstagabend im Rathaus fehlte auch ein Mitglied der Schwedischen Akademie, also des Gremiums, das die Literaturnobelpreisträger bestimmt. „Es wäre eine grobe Heuchelei von meiner Seite, würde ich an der Feier für Peter Handke teilnehmen“, erklärte Peter Englund, ohne über dieses Statement hinaus seine Gründe näher ausführen zu wollen. Der Historiker, seit 2002 Akademiemitglied, war zwischen 2009 und 2015 als „ständiger Sekretär“ deren Aushängeschild und hatte in den Neunzigern in Reportagen vom Balkankrieg berichtet.

Tokarczuk bekam den längsten Beifall – zuvor hat ihre Auszeichnung im Schatten der Handke-Debatte gestanden

Proteste gegen Handke hatte es bereits vor den Feierlichkeiten gegeben. Begonnen hatten die Demonstrationen schon am Samstag in Göteborg. Zeitgleich zum Bankett gab es am Dienstagabend unweit davon eine Kundgebung gegen den Handke-Preis mit 400 Teilnehmern. Teufika Sabanovic, deren Vater in Srebrenica ermordet worden war, eine der MitinitiatorInnen, warf der Schwedischen Akademie vor, mit der Entscheidung für Handke, der den Völkermord relativiert habe, „die Büchse der Pandora geöffnet“ zu haben: Die Tür sei geöffnet, auch kommenden Völkermord, kommende Kriegsverbrechen zu relativieren.

Um Protesten aus dem Weg zu gehen, entschloss sich die Leitung der Rinkeby-Schule im gleichnamigen Stockholmer Vorort von einer 30-jährigen Tradition abzuweichen. „Nobel in Rinkeby“ heißt es seit 1988. Seit damals werden die jeweiligen LiteraturnobelpreisträgerInnen am Werktag nach der Nobelpreisverleihung eingeladen, um mit den fast durchweg ausländischen SchülerInnen über ihr Schreiben zu sprechen.

Nun entschied man sich gegen eine Einladung für Peter Handke – „wir unterrichten viele bosnische Flüchtlinge“, begründete dies die Initiatorin Gunilla Lundgren – und lud nur Olga ­Tokarczuk ein. Es herrschte große Enttäuschung, als diese zunächst absagte. Mit ihrer Zusage in letzter Minute rettete sie dann doch noch die Situation. Auch wenn Tokarczuk bei der Preisverleihung am Dienstag den längsten Beifall bekommen hatte – in den Wochen zuvor hat ihr Literaturnobelpreis 2018 nahezu vollständig im Schatten der Handke-Debatte gestanden. In Rinkeby blieb Olga Tokarczuk für einen Tag im Zentrum der Aufmerksamkeit.

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