Kritik an Nobelpreis für Peter Handke: Kunst dient den Nackten

Der Schriftsteller Peter Handke bagatellisierte den Völkermord in Bosnien – und bricht nun Gespräche ab, wenn er dazu befragt wird.

Schriftsteller Peter Handke sitzt in der Natur

Jahrelang verharmloste er den Völkermord in Bosnien – jetzt wird ihm der Nobelpreis verliehen Foto: Francois Mori/AP/dpa

Man muss im Leben völlig gescheitert sein, damit die Ehrung durch den Nobelpreis statt Bewunderung bloß endloses Befremden auslöst. Wer derart scheitert, weiß das auch: „Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen“, quengelte Handke am Dienstag, bevor er vor Journalisten floh; die Fragen nach seiner jahrelangen Bagatellisierung eines Völkermords hatten ihn überfordert.

Seine zwei Sätze sind gleichermaßen Geständnis wie ­brutaler Nonsens: Handke kommt bestimmt nicht von Homer, den Heraklit, dieser Schutzheilige der Bellizisten, hasste, da er sich für die Menschheit Harmonie wünschte statt Kampf und Zwietracht. Von Tolstoi kann Handke auch nicht kommen, denn Tolstoi war ein Pazifist von solcher Strenge, dass er sich lieber hätte henken lassen als, wie Handke, Zeit mit Menschen zu verbringen, die unter Verdacht stehen, einen Völkermord organisiert zu haben, an seiner Durchführung unmittelbar beteiligt gewesen zu sein. Nein, Handke kommt nicht von Homer, Cervantes oder Tolstoi – sein Problem besteht eben genau darin, dass er nicht weiß, woher er kommt.

Fragte man Handke früher nach bosnischen Genozid­opfern, giftete er, man solle sich die Betroffenheit in den Arsch stecken – heute rennt er vor derlei Fragen davon und jammert, er sei doch nur Schriftsteller. Stellt man das dem aggressiven Bescheidwissertum gegenüber, mit dem er sich einst an die Seite serbischer Nationalisten stellte und für ihre Sache vorsprach, könnte man glauben: Er ahnt, dass er damit falsch lag. Darum könnte die Aussage, er sei Schriftsteller, ebenso gut lauten: „Ich bin doch nur ein vorlauter Österreicher.“ Es ist die Ausflucht eines Kindes, das etwas angestellt hat und sich der Verantwortung zu entziehen versucht, indem es darüber klagt, den Erwartungen Erwachsener nicht standhalten zu können.

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Aus demselben Grund wird Handke den Nobelpreis selbstverständlich nicht ablehnen, obwohl er 2014 seine Abschaffung forderte. Handke vergleicht sich mit Tolstoi wie 14-Jährige vor einem Ronnie-Coleman-Poster posieren, doch Lautstärke und Rückgrat gehen nicht immer Hand in Hand: Er blökte, als man ihn ließ, und nun, wo er zum ersten Mal auf erbitterten Widerstand stößt, versteckt er sich. Zum Zeitpunkt des Erscheinens solcher Bücher wie „Winterliche Reise“ sah er sich nur mit höflichen Problematisierungen konfrontiert – heute ist es der Zorn bosnischer Diaspora.

Seit wann rechtfertigt Unmündigkeit irgendetwas?

Aus Bosnien stammende Autor*innen kritisieren die Entscheidung des Nobelpreiskomitees aus einer Vielzahl von Ländern, in einer ebensolchen Vielzahl von Sprachen: Faruk Šehić in der Muttersprache, Aleksandar Hemon auf Englisch, Alen Mešković auf Dänisch, Buchpreisträger Saša Stanišić und ich auf Deutsch, um nur wenige zu nennen.

Die bittersüße Ironie der Tatsache, dass genau dieses vom Krieg erschaffene globale Kulturleben Bosniens Handke in solche Bedrängnis bringt, ist ein geringer Trost. Recht offenkundig steht daneben die Erkenntnis, dass der Bosnienkrieg für Westeuropäer in Vergessenheit geraten ist – anders ist Handkes Nobelpreisgewinn jedenfalls nicht zu erklären.

Eine häufige Bemerkung jener, die Handke weiterhin ohne schlechtes Gewissen lesen möchten, lautet: Sie verstünden ohnehin nicht, worum es bei diesen Kriegen auf dem Balkan gegangen sei, und könnten sich darum voll und ganz auf „die Sprachkunst“ konzen­trieren. Es fällt mir schwer, diesen Menschen zu glauben. Gerade der Krieg in Bosnien war stets Teil deutscher Bericht­erstattung, und es ist kein Zufall, dass ein damaliges Anliegen Handkes die Diskreditierung genau dieser Berichterstattung war, rückte sie doch seiner Meinung nach Serben und Serbien in ein schlechtes Licht.

Ich komme nicht von Homer, Cervantes oder Tolstoi. Ich komme aus Bosnien

Falls der Einwand aber wahr ist, falls man die neunziger Jahre wirklich ­unter einem Stein verbracht hat: Informiert euch doch. Seit wann rechtfertigt Unmündigkeit irgendetwas?

Furcht, Wut, Hass, Paranoia hatten Macht über mich

Eine weitere Ausflucht lautet, dass es sich bei Handke um einen ambivalenten Autor handle und dass jene, die ihn kritisieren, nicht kunstsinnig genug seien, diese Widersprüchlichkeit auszuhalten. Aber nichts könnte falscher sein.

Handke unterstützte Kriegsverbrecher, deren Ziel die Vernichtung der Ambivalenz war: Einen multikulturellen Staat wie Bosnien ethnisch zu „säubern“ bedeutete, dass man nicht ausschließlich Mitglieder anderer Ethnien ermordete, sondern auch jene der eigenen, die in Mischehen lebten. Als der Krieg ausbrach, betraf dies in Bosnien übrigens etwa ein Drittel der Bevölkerung, ich gehörte dazu – und lernte mit tatsächlichen, unerträglichen Ambivalenzen zu leben. Etwa damit, dass meine Großmutter Serbin war und aus Belgrad, genau wie viele von denen, die die Berge um Sarajevo besetzt hielten und uns bombardierten.

Immerhin Folgendes kann ich aber ohne Ambivalenz behaupten: Diese Zeit traumatisierte mich schwer. Etwa drei Jahre nach unserer Flucht, zwei Jahre nach Kriegsende hatte ich die sichtbarsten der Verhaltenszwänge abgelegt: Ich warf mich bei lauten Geräuschen nicht mehr zu Boden; ich konnte zur Schule laufen, ohne mich die ganze Zeit an Wände zu drücken; ohne Schwindel über Kreuzungen. Aber Gedanken an Gewalt konnten sich immer noch verselbstständigen; Furcht und ihre Kinder – Wut, Hass, Paranoia – hatten immer noch Macht über mich: Ich verließ den Unterricht, um eine halbe Stunde lang auf der Toi­lette Selbstgespräche zu führen; ich prügelte mich. Mein Gefühls­leben glich dem eines Reptils.

Zu dieser Zeit hielt ich mich für den unglücklichsten Menschen in Deutschland – bis ich das Mädchen aus Srebrenica traf. Aus unserer Bekanntschaft wurde nie Freundschaft, das wäre gar nicht gegangen; aber sie erzählte mir dennoch, was man ihr, ihren Schwestern, ihrer Mutter angetan hatte – dass man den Vater gezwungen hatte, es mitanzusehen, bevor man ihn ermordete; man erschoss ihn nicht, man schlug ihn tot – dass man es den Mädchen und der Mutter gemeinsam in einem Raum antat – dass die Mutter zu diesem Zeitpunkt hochschwanger war, das Kind am selben Tag verlor.

Authentische Schwärmerei

Eine der Sachen, die das Mädchen sagte, war: „Ich sehe keinen Sinn darin zu leben. Leute wollen mir andauernd erklären, wieso es sich lohnt, aber ich kapier’s einfach nicht.“ „Sag doch so was nicht“, protestierte ich, allerdings schwach. „Doch, echt. Der einzige Grund, wieso ich mich nicht umbringe, ist, weil es meine Mutter traurig machen würde.“ Es waren keine unüberlegten Worte – und ich wusste nichts zu erwidern. Sie hatte es mir erzählt, weil ich auch diesen Krieg überlebt hatte, aber ich konnte ihr nicht helfen; ich war defekt; ich war zu nichts nutze.

Das oft Gesagte gewinnt keine Literaturpreise, aber das darf keine Rolle spielen, wenn das oft Gesagte wahr ist: Wer überlebt, hasst sich dafür und fühlt sich deswegen zutiefst ­schuldig – regelrecht verdammt; wer überlebt, vereinsamt, denn wer überlebt, verliert jedwedes Vertrauen und hat es darum schwer, zu ­lieben oder Freunde zu finden.

Ich glaube, dass Handkes Schwärmerei für jene, die uns all das angetan haben, authentisch war; er glaubte aufrichtig, dass es sich um anständige Menschen handle. Um ihre Verbrechen zu übersehen, musste er aber seine Seele in einen solchen Panzerschrank sperren, dass heute kaum noch etwas von dem Schriftsteller in ihm übrig ist: Er schreibt nicht ohne Grund über das Sammeln von Pilzen; er rennt nicht ohne Grund weg. Man kann nicht Künstler der Gepanzerten und Bewaffneten sein; Kunst gilt ausschließlich den Nackten. Darum bin ich Schriftsteller. Aber ich komme nicht von Homer, Cervantes oder Tolstoi. Ich komme aus Bosnien.

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