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Linkspartei stellt Wahlprogramm vorSolidarität und Geborgenheit

Mindestlohn, Mietendeckel, Mindestrente: Die Linke setzt im Wahlkampf auf Soziales. Nur Sahra Wagenknecht polarisiert.

Susanne Hennig-Wellsow (li) und Janine Wissler wollen im Wahlkampf Aufbruchstimmung erzeugen Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Die Uhren im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner Zentrale der Linkspartei, waren an diesem 12. April noch auf Winterzeit gestellt. Die beiden neuen Parteichefinnen Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow aber hatten den Sommerwahlkampf und die Bundestagswahl im September im Blick, als sie am Montag das Wahlprogramm der Linken vorstellten.

Ihre Vor­gän­ge­r:in­nen im Amt hatten das 120-Seiten-Konvolut im Winter bereits erarbeitet und vorgestellt. Die Forderungen sind also bekannt: Die Linkspartei will den Mindestlohn auf 13 Euro erhöhen und Leiharbeit verbieten. Der Hartz-IV-Regelsatz soll sofort auf 654 Euro steigen und Hartz IV mittelfristig durch eine Mindestsicherung von 1.200 Euro ersetzt werden.

Den Berliner Mietendeckel wollen die Linken bundesweit dort einführen, wo Wohnraum knapp ist. Investieren will die Linkspartei vor allem in die öffentliche Daseinsvorsorge – in Wohnungen, Nahverkehr, Bildung, Gesundheit, Pflege. „Wir wollen den Leuten Geborgenheit und Halt geben“, sagte Hennig-Wellsow.

Eine eher konservative Rhetorik für ziemlich radikale Forderungen also. Bezahlen will die Linkspartei die sozialen Wohltaten nämlich unter anderem mit einer Vermögensabgabe. Menschen, die mehr als 2 Millionen Euro Privatvermögen besitzen, sollen bis zu 30 Prozent davon abgeben. Allerdings innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren. Außerdem plant die Linke eine Vermögenssteuer, die helfen soll, die Mittelschicht zu entlasten.

So grün wie die Grünen

Bis zum Jahr 2030 will man aus der Kohle aussteigen – damit sind die Linken auf ökologischem Feld mindestens genauso radikal wie die Grünen. Wenig kompatibel dürften allerdings die Forderungen nach einem Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und einer Politik der Entspannung gegenüber Russland sein.

Nach Sahra Wagenknechts Nominierung in NRW kam es zu 49 Parteiaustritten

Neu gegenüber dem Vorgänger­entwurf ist vor allem der Sound der Einleitung. Gleich im ersten Absatz wird die Bundestagswahl als entscheidende Weiche für Veränderung genannt – ein Signal all jener, die dafür werben, in Regierungen für solche zu sorgen. In eine Vermögenssteuer will die Partei jetzt nicht mehr mit 5, sondern nur noch mit 1 Prozent einsteigen, ab einem Vermögen von mehr als 1 Million Euro. Außerdem duzt sich die Linke nun mit ihren potenziellen Wähler:innen.

Fast zehn Stunden hatte der Ende Februar neu gewählte Parteivorstand am Wochenende über den Entwurf beraten und ihn schließlich mit einer Gegenstimme beschlossen. Im Juni sollen ihn noch die Delegierten auf einem Parteitag diskutieren und verabschieden. Zuvor will die Linke schon über ihre Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen entscheiden.

Sahra Wagenknecht polarisiert

Fest steht wohl schon, wer es diesmal nicht wird: Sahra Wagenknecht. Sie gehe davon aus, dass Wagenknechts Platz zunächst in Nordrhein-Westfalen sein werde, sagte Wissler auf Nachfrage.

Wagenknecht war am Wochenende von ihrem nordrhein-westfälischen Landesverband zur Spitzenkandidatin gewählt worden. Allerdings unter Protest und begleitet von heftigen Debatten. Denn in dieser Woche erscheint Wagenknechts neues Buch „Die Selbstgerechten“, in dem sie gegen Lifestyle-Linke, „obskure“ Gendersternchen und „Marotten“ von Minderheiten austeilt und sich auch für eine Begrenzung von Migration ausspricht. Für all jene in der Linken, die politisch in sozialen Bewegungen sozialisiert und verwurzelt sind, welche sich für jene Obskuritäten und Marotten, auch Rechte genannt, einsetzen, ist Wagenknecht damit eigentlich untragbar geworden.

Und das Wahlprogramm der Linken verspricht ja auch das Gegenteil. Auch Wissler betonte am Montag noch einmal, dass „Solidarität für uns als Linke immer unteilbar ist“. Sie gehe davon aus, „dass jeder, der für die Linke antritt, auf dem Boden dieses Programms steht“. Sonst würden sie ja nicht für die Linke kandidieren.

Der Wagenknecht-Effekt

Andere bezweifeln diesen Automatismus. Ein Mitglied des Vorstands hatte am Wochenende deshalb den Antrag gestellt, man erwarte von allen unseren Kan­di­da­t:in­nen und Funk­tions­träger:in­nen, diese Haltung im Wahlkampf unmissverständlich zu vertreten. „Äußerungen, die Zweifel an diesem Grundkonsens aufkommen lassen könnten, haben bei uns keinen Platz.“ Der Vorschlag wurde abgelehnt. Das wäre wohl dem Beginn eines Parteiausschlussverfahrens gleichgekommen, ein Schritt, vor dem die Linke im Hinblick auf die SED-Vergangenheit immens zurückschreckt.

Erste Wirkungen hat Wagenknechts Nominierung gleichwohl erzielt. Wie der Landesvorstand in einer E-Mail vom Montag schreibt, verzeichnete die Linke NRW in der Vorwoche 6 Eintritte und 49 Austritte. Zwanzig der ausgetretenen Mitglieder nannten als Austrittsgrund: „Wahl von Sahra W. zur NRW-Spitzenkandidatin“. Die E-Mail liegt der taz vor.

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18 Kommentare

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  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    Mir gehören 10 Wohnungen für 4 Millionen Euro.Die bringen mir im Jahr netto Euro 45000,- Miete. Jetzt soll ich aber 1,5% Steuer =Euro 30.000,- auf 2 Millionen Vermögen zahlen. Ich freue mich schon riesig.

  • """



    ...



    Ein Prozent, nicht fünf. Steht doch deutlich im Text.



    ...



    """

    Entschuldigung. Das ist wirklich komplett neu und das habe ich überlesen.

    Die Linkspartei hat seit Jahren eine 5%ige Vermögensteuer gefordert. Das hatte sich bei mir eingebrannt.

    Steht z.B. im Moment auch noch hier: www.die-linke.de/themen/umverteilen/

    Aber danke für die Info!

  • Man muss sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was die Linkspartei alles fordert.

    Sie möchten eine progressivere Einkommensteuer.

    Dazu kommt eine nicht ganz unerhebliche einmalige Vermögensabgabe für Vermögen über 2Mio€, gestaffelt über Jahrzehnte.

    Dazu kommt eine regelmäßige Vermögensteuer von jährlich 5% (in Zeiten von Minuszinsen auf Girokonten) für Vermögen über 1 Mio € (Betriebsvermögen 5 Mio €).

    .. wenn mich nicht alles täuscht.

    Warum sagt man nicht einfach: Wir möchte keine Vermögen, die über den von uns definierten (relativ willkürlichen und auch starren) Maximalgrenzen liegen.

    Mir ist halbwegs klar, dass Eigentum und Vermögen nicht dasselbe sind.

    Aber wir haben eine Eigentumsgarantie (wenn auch ergänzt um eine Sozialverträglichkeitsklausel) und wir haben viele anderen Grundrechte zu deren Verwirklichung Eigentum und Vermögen nützlich sein können.

    Wie kann denn so eine verklausulierte Deckelung überhaupt kompatibel sein mit unserer Verfassung ?

    Oder habe ich die ganz vielen Ausnahmetatbestände überlesen/nicht gefunden ?

    • @Shaftoe:

      Ein Prozent, nicht fünf. Steht doch deutlich im Text.

      Und ich sehe da als betroffener kein Problem. Geld sollte nicht auf Konten vergammeln, und eigentlich jede vernünftige Anlage bringt selbst bei 5% mehr als Ausgleich. Folglich werden Vermögen auch mit Vermögenssteuer auf absehbare Zeit weiterhin selbstständig wachsen. Und wer hat bitte solche summen auf einem Girokonto?

      Btw. Ihnen ist schon bekannt das man mit knapp über 200.000€ Nettovermögen schon zum obersten Zehntel gehört welches einen (herbeifabulierten*) Durchschnitt von rund 600.000€ Nettovermögen aufweist?



      Und man mit ~600.000€ Nettovermögen bereits zum obersten Zwanzigstel zählt?



      Also, auch wenn das größte Problem bei den oberen 2-3% und ganz besonders beim quasi-adligen Prozent liegt - es trifft definitiv nicht die falschen.

      Angelehnt an das was sie schreiben:



      Wollen Sie überhaupt einen Stop der Umverteilung von unten nach oben?

      • 9G
        97760 (Profil gelöscht)
        @Oznah Akanat:

        Wss geht Sie eigentlich mein Geld an?

    • @Shaftoe:

      Artikel 106 GG sieht eine Vermögenssteuer ausdrücklich vor. Wir haben derzeit keine, weil das Bundesverfassungsgericht die bis Ende der 90er gültige Vermögenssteuer in ihrer Ausgestaltung für verfassungswidrig hielt. www.gesetze-im-int...de/gg/art_106.html



      Das Vorhaben wäre also erstmal grundsätzlich verfassungskonform.

  • Im Programm stehen viele andere Punkte drin, die eher mit Frau Wagenknechts These der Rosinenpickerei für Einzelgruppen zusammenpassen. Kann man alles planen, wenn denn die großen Brocken auch wirklich gestemmt werden, und nicht nur rudimentäre Verbesserungen für wenige das Endresultat sind.

    • @Martin_25:

      Es gibt bei zig Kapiteln ein Unterkapitel für queere Themen und ein Kapitel zu Einwanderung. Alles andere sind Mehrheitsthemen. Oder haben Sie noch mehr entdeckt?

  • Die einzige Politikerin, die Klartext über das Pandemiechen redet und einen nicht absoluten, fundamentalistischen oder intoleranten Diskurs hat, (außer für die extrem Rechte) wird gewählt und Sie reden hier von 49 Austritte diesbezüglich. Nur ganz am Ende des Artikels wird das Detail eewähnt, es haben nur 20 als Grund die Wahl von Frau Wagenknecht angegeben. Wollt ihr etwa die Meinung manipulieren?

  • Was steht denn jetzt so schreckliches drin in ihrem Buch?

    • @marusja meyer:

      Genau, die meisten kennen das Buch gar nicht, und fallen auf das Getöse in den Medien herein. Erst lesen, und dann kritisieren.

    • @marusja meyer:

      Als Außenstehender, der trotzdem davon überzeugt ist, dass es links von der SPD eine starke politische Kraft in den Parlamenten braucht, kann ich derzeit nur den Kopf ob des parteiinternen Selbstzerfleischungsprozesses der Linken schütteln ... die “Lifestyle-Linken” werden wohl auf die “Nationalbolschewistin” Wagenknecht nicht verzichten können und umgekehrt, wenn die Partei nicht komplett in die politische Bedeutungslosigkeit verschwinden will.



      Das Thema soziale Gerechtigkeit bzw. des Stopps der sozialen Umverteilung von Unten nach Oben ist ein richtig schwerer Brocken, der in meiner Wahrnehmung allein noch von der Linkspartei konsequent angegangen wird ... hier gibt es viele Bündnispartner in der Zivilgesellschaft, den Sozialverbänden, den Gewerkschaften etc., die aber darauf angewiesen sind, dass ihre Stimmen auch in den Parlamenten Gehör finden.



      Wo sind die vernünftigen “zentristischen” Kräfte in der Linkspartei, die dieser flügelschlagenden Selbstzerstörung Einhalt gebieten können?

    • @marusja meyer:

      "Was steht denn so schreckliches drin?" (M.Meyer)



      Um dies zu wissen kommt man nicht umhin das Buch zu lesen. Die bisherigen Rezensionen orientieren sich im wesentlichen an nicht viel mehr als dem Klappentext und zwei oder drei aus dem Kontext gerissenen und/oder verzerrt wiedergegebenen Zitaten. Manche geben noch nicht mal diese korrekt wieder. Und dies aus den üblichen Gründen: Mann/Frau arbeitet sich lieber an Personen ab, als an deren Inhalten. Das vereinfacht das Leben, spart Arbeit, Zeit und Hirnschmalz - und: Inszenierte Skandälchen jubeln Printumsatz und Klicks hoch. Da klingelt die Kasse. Prinzip Boulevardjournalismus halt.

    • @marusja meyer:

      Ich vermute, nichts anderes als sie schon vorher vertreten hat ... deshalb schlagen die Wellen hier ja so hoch, obwohl die wenigsten Foristen das Buch gelesen haben bzw. lesen werden.



      Schade, über das Wahlprogramm der Linken brauchen wir dann ja wohl nicht mehr diskutieren. Ob Sahra Wagenknecht das gewollt hat?

  • 1G
    15833 (Profil gelöscht)

    Über die Frage der Finanzierung ist man sich ja einig.



    Die bonzen haben eh zuviel....

    • @15833 (Profil gelöscht):

      max 30 % in 20 Jahren ist weniger radikal als nötig, aber wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung.

  • »Eine eher konservative Rhetorik für ziemlich radikale Forderungen also.«

    Eine Vermögenssteuer ist nicht radikal sondern vernünftig.

  • "Solidarität und Geborgenheit"? Lesen Sie sarah Wagenknechts Buch, besuchen Sie Ihren "Ortsverein bei dogmatischen "sit-ins" mit vielem roten Tuch und vielen (textilen) Fäusten und verlassen Sie erschreckt und verzweifelt den "Thing".