Linkspartei stellt Kandidaten auf: Dehm kämpft um politische Bühne
Am Samstag wählen die Linken in Niedersachsen ihre Landesliste. Liedermacher Diether Dehm will wieder in den Bundestag einziehen – mit allen Mitteln.
Dehms Mobilisierungsmechanik funktioniere über Feindbilder, erzählen Genoss:innen aus seinem niedersächsischen Landesverband, mit denen die taz gesprochen hat. Wer ihn unterstütze, werde belohnt, wer sich vorwage, hart angegangen. „Das ist reine Machtpolitik.“
Diether Dehm will wieder in den Bundestag. Er bewirbt sich für den aussichtsreichen 4. Listenplatz auf der Landesliste seines niedersächsischen Landesverbands. Auf Platz 1 kandidiert Amira Mohamed Ali, deren Wahl zur Fraktionsvorsitzenden 2019 er sehr unterstützt habe, wie er der taz sagt. Es wäre Dehms fünfte Legislaturperiode im Bundestag, seit 2005 ist er Abgeordneter. Doch es könnte knapp werden für Dehm. Er hat zwei Gegenkandidaten, den 29-jährigen Mizgin Ciftci, einen Gesamtschullehrer und Verdi-Gewerkschaftssekretär, und den 36-jährigen Stephan Marquardt, einen Energieelektroniker, der für die IG Metall arbeitet. Sie rechnen sich beide gute Chancen aus. Am Samstag wählen die niedersächsischen Delegierten die Landesliste.
Dehm nennt gute Gründe, die für ihn sprechen: Er sei erfahren, auch im Wahlkampf. Er war es, der als Landesvorsitzender die niedersächsische Partei 2008 erstmals in den Landtag geführt hat. Und er habe in der Bundestagsfraktion ein Alleinstellungsmerkmal. „Ich bin der Einzige in der Fraktion, der als Unternehmer bei Unternehmern einen guten Namen hat und als Künstler bei Künstlerinnen“ – Pause. „Sie merken, wie ich eben schon gegendert habe – vorher Unternehmer, jetzt Künstlerin.“
Stephan Marquardt, Gegenkandidat
Der Musikproduzent und Liedermacher ist zudem ein treuer Unterstützer Sahra Wagenknechts, einer von wenigen in der Fraktion, die sie noch öffentlich verteidigen. „Wenn auch nicht in jeder Wortwahl.“ Wagenknechts aktuelles Buch „Die Selbstgerechten“ halten viele Linke für eine Abrechnung mit der eigenen Partei. Dehm aber findet: „Sie hat dort prinzipiell recht, wo sie sagt, dass der werktätige Alltagsverstand unser Referenzmodell sein muss. Wenn wir den ans Nirwana der Nichtwähler verlieren oder gar der AfD überlassen, dann werden wir zu schwach, um auch Flüchtlingen, Transmenschen oder sonstigen Minderheiten wirkmächtig beizustehen, was ich will.“
Gelesen hat er das Buch aber noch nicht. Er schlägt die Beine übereinander. „Wissen Sie, ich habe noch relativ viel Engels, Hegel, Dostojewski zu lesen, und sogar noch ein früheres Buch von Sahra Wagenknecht auf dem Lesestapel.“
Wagenknecht teilt in ihrem aktuellen Buch nicht gerade zimperlich gegen jene aus, die für die Rechte dieser Minderheiten kämpfen. In ihren Augen sind das „Lifestyle-Linke“. Aus der Linkspartei sparten viele nicht mit Kritik. Was dahintersteckt, ist für Dehm sonnenklar: „Die Bewegungslinke steht hinter vielen unfairen Attacken auf Sahra und gegen viele meiner Freunde in Nordhrein-Westfalen.“ Im Dehm’schen Freund-Feind-Schema stehen die Bewegungslinken eindeutig auf Seiten der Feinde.
Feinde: Bewegungslinke, Medien, BND
Die Bewegungslinke ist ein junger Zusammenschluss innerhalb der Linkspartei, in dem sich ab 2017 zunächst jene zusammenfanden, die wenig von Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung und ihrer Kritik an wirtschaftlicher Einwanderung hielten. Nun ist die strömungsübergreifende Bewegung zu einem Machtfaktor in der Partei geworden – alle von ihr unterstützten Kandidat:innen, von orthodoxen Linken bis zu Pragmatiker:innen, wurden beim Parteitag in den Parteivorstand gewählt und besetzen dort die Hälfte der Sitze.
Das „Mobbing“ gegen die populäre Wagenknecht werde aber auch von anderen Parteien und den Medien vorangetrieben, sagt Dehm. Welche Gründe die haben? Weil Wagenknecht eine von ganz wenigen Politiker:innen sei, die wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich erklären können, so Dehm. Und im Ranking des Focus ist sie die drittbeliebteste Politikerin Deutschlands – „Weit vor Baerbock und Laschet. Das nicht zu nutzen und den Einflüsterern der Medien zu glauben, die uns sagen, macht eure Wagenknecht kaputt, damit ihr für SPD und Grüne wählbar seid, wäre fatal.“
In Dehms Welt arbeiten feindselig gesinnte Medien im Verbund mit dem Bundesnachrichtendienst daran, die Linke vom Gedanken der demokratischen Umwälzung abzuhalten.
Die Gefahr ist akut: Die Linke steht in Umfragen bei sieben Prozent und muss um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Dass Wagenknecht nun nordrhein-westfälische Spitzenkandidatin ist, macht es nicht besser. Sie polarisiert. Genauso wie Dehm.
Ein gespaltener Landesverband
„Unser Landesverband ist sehr zerstritten“, sagt Dehms Mitbewerber Stephan Marquardt. Die Lagerkämpfe schadeten der Partei: „Selbst wenn Leute gute Ideen haben, werden sie nicht unterstützt, wenn sie zum anderen Lager gehören.“ Und viel habe sich an der Polarisierung um Dehm festgemacht. „Es gibt Leute, die können gut mit Diether arbeiten, und andere, die können es nicht. Das sind zwei harte Fronten.“ Er selbst habe viele gute Aktionen mit beiden Lagern gemacht.
Vor seiner Kandidatur habe er mit Dehm und Ciftci gesprochen. „Wir wollen einen Wahlkampf führen, nach dem wir uns noch in die Augen gucken können“, sagt Marquardt.
Mizgin Ciftci möchte sich öffentlich zu Dehm nicht äußern. Schließlich trete er nicht gegen Dehm an, sondern für Inhalte: Er kämpfe gegen Armut genauso wie gegen Rassismus und Sexismus, sagt Ciftci, der in einem sozialen Brennpunkt aufwuchs und an dem Hanau nicht spurlos vorbeigegangen sei. „Zwei Wochen vor den Anschlägen habe ich selbst mit Freunden meinen Geburtstag in einer Shisha-Bar gefeiert.“ Ciftci kommt aus einer Arbeiterfamilie, jener Klientel also, von der Wagenknecht und Dehm meinen, dass die Linke sie stärker vertreten soll. Dehm spricht von Mizgin Ciftci aber nur im Zusammenhang mit der Bewegungslinken.
Ciftci ist einer von zwölf Mitgliedern im bundesweiten Koordinierungskreis der Bewegungslinken. Doch in Niedersachsen ist sie auf Landesebene nicht einmal organisiert und Ciftci betont, er trete nicht als Kandidat einer Strömung an. Mehr möchte er dazu nicht sagen.
Mit juristischen Mitteln gegen Kritik
Gegen vermeintliche Feinde zieht Diether Dehm auch vor Gericht. Das musste etwa die ehemalige Parteivorständin Rosemarie Hein erfahren, die sich 2011 in einer Mail an einige Genoss:innen über Dehm beschwerte. Dehm erfuhr davon und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen Hein.
Auch Genoss:innen aus Dehms Landesverband, mit denen die taz gesprochen hat, beschweren sich wortreich über Dehm, wollen aber ihre Namen nicht nennen: Es erfordere Mut, gegen Dehm anzutreten.
Dehm bestreitet indes, Leute einzuschüchtern. „Ich habe nie Leute fertiggemacht, weil sie anders gedacht haben als ich.“ Dennoch haben einige seiner Genoss:innen ja offenbar Angst vor ihm, wie erklärt er sich das? „Die so was behaupten, wissen, dass das nur Gerüchte sind. Niemand musste je Angst vor mir haben. Ich baue auf antikapitalistische Argumente“, erklärt er.
„Dreiste Lügen“ und Jobs
Antikapitalistische Argumente, die in der Vergangenheit auch so lauteten: In Konkurrenz um einen Listenplatz für die Bundestagswahl habe Dehm wiederholt bei Parteimitgliedern darauf verwiesen, dass seine Mitbewerberin faul sei, berichtet eine damalige Delegierte. Man müsse nur donnerstags die Plenardebatte auf Phoenix schauen, um festzustellen, dass diese nie anwesend sei. Er habe jedoch nicht erwähnt, dass zeitgleich ein Untersuchungsausschuss tagte, in dem die Mitbewerberin Mitglied war. „Für die Parteimitglieder gab es also keinen Anlass, an der Darstellung Dehms zu zweifeln. Da wurde mit so viel dreisten Lügen gearbeitet“, erzählt sie am Telefon. Auch sie will anonym bleiben, würde das in einer juristischen Auseinandersetzung aber bestätigen.
„Nie im Leben!“, entgegnet Dehm auf Nachfrage. Er wurde damals für den Listenplatz gewählt. Und dann einstimmig zum Sprecher der niedersächsischen Landesgruppe.
Unterstützer:innen gewinnt Dehm auch mit materiellen Argumenten. Eine Genossin berichtet, wie sie überlegte, sich für einen einflussreichen Posten im Landesvorstand zu bewerben. Sie sei damals arbeitslos gewesen. Da habe Dehm, der Landesvorsitzender war, angerufen: Er biete ihr einen befristeten Job bei sich als Mitarbeiterin an. Am Ende des Gesprächs empfahl er ihr noch, nicht für diesen Vorstandsposten zu kandidieren. Für einen anderen aber würde er sie unterstützen.
Sie akzeptierte. „Es war dreckig, aber ich brauchte das Geld“, berichtet die Genossin. In den Monaten, die sie für Dehm arbeitete, habe sie nicht mal einen eigenen E-Mail-Account gehabt und eigentlich auch nicht gewusst, was sie für ihr Geld wirklich machen sollte. „Das war vollkommen intransparent, selbst für mich.“
Wer arbeitet alles für Dehm?
In der Partei erzählt man, dass Dehm immer wieder Menschen mit kleinen Jobs und Versprechungen an sich binde. Im vergangenen Jahr habe er angeboten, das Büro des Kreisverbandes Göttingen mitzufinanzieren. Als das bekannt wurde, gab es Streit. Schließlich legten die Nutzer:innen des Hauses, das sich die Linke mit anderen Initiativen teilt, dem Kreisverband nahe, von dem Vorhaben abzusehen. „Überall, wo Diether sein Geld hintut, versucht er politischen Einfluss zu organisieren“, meint ein Linker aus Göttingen.
Vier der 24 Hannoveraner Delegierten, die am Samstag über die Liste abstimmen, arbeiten offiziell für Dehm. Dehm habe als Abgeordneter im Bundestag immer ungewöhnlich viele Mitarbeiter:innen beschäftigt, erzählt eine ehemalige Linken-Abgeordnete. Von den aktuell 22.795 Euro, die jedeR Abgeordnete monatlich zur Bezahlung von Mitarbeiter:innen zur Verfügung stehen, ließen sich etwa acht Stellen – in Voll- oder Teilzeit – einrichten. Dehm aber habe immer deutlich mehr Leute beschäftigt, viele befristet.
Den Bitten des Landesvorstandes, all seine Mitarbeiter:innen zu benennen, damit man Ansprechpartner:innen in Berlin und im Land habe, sei er nie nachgekommen. „Das war nie transparent.“ Dehm führt auf Nachfrage Datenschutzgründe an.
Liste mit 18 Namen
Er bestreitet, dass er mehr Mitarbeiter:innen als andere Abgeordnete bei sich beschäftige. Lediglich fünf bis sechs Menschen seien für ihn in Niedersachsen tätig. Zu Beginn des Jahres kursierte in der Linksfraktion ein Screenshot mit einer Mitarbeiter:innen-Liste, die Dehm versehentlich auf einer Videokonferenz von seinem Schreibtisch einblendete. Der Screenshot liegt der taz vor.
Auf der Liste stehen 18 Namen. Dehm drohte per Mail jedem, der das Foto veröffentliche, mit Klage. Aus Datenschutzgründen, wie er gegenüber der taz erklärt: „Das war nur ein reiner Entwurf, auf dem auch noch Leute standen, die sich beworben haben oder früher mal bei mir gearbeitet hatten, aber längst ausgeschieden waren.“
Ihn fasst das an. Er steht auf. „Meine politische Meinung brauche ich nicht mit Geld durchsetzen“, sagt er und geht auf und ab. „Sicher nisten sich in Parlamenten schlimme, mafiöse Verhaltensstrukturen ein. Aber so was ist mir fremd.“ Es sei so ungerecht, so etwas zu behaupten, schließlich sei er es doch, der in der zerstrittenen Bundestagsfraktion immer wieder für Kompromisse gesorgt habe. Die gemeinsame Erklärung zu 70 Jahre Israel etwa stamme aus seiner Feder.
Diether Dehm bleibt stehen. Schaut auf Marx und Engels und Dutschke und Witt. Er hat sich dieses Büro nach seinen Vorstellungen eingerichtet. Er will es behalten. Mit allen Mitteln.
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