Linke Sammelbewegung „Aufstehen“: Schon 50.000 Interessierte
Sahra Wagenknechts Bewegung soll sich an von der Politik frustrierte Bürger richten, auch an AfD-Wähler. Es gebe bereits viele Anmeldungen, sagt Oskar Lafontaine.
Saarbrücken dpa/taz | Die neue linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ hat in den ersten Tagen ihres Bestehens schon mehr als 50.000 Anmeldungen „von Unterstützern“ bekommen. Dies sagte der frühere Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Saarbrücken. Die Anmeldung erfolgt per E-Mail-Adresse über die Bewegungsseite. Aus welchen Gründen die einzelne Person dies tut, – ob sie tatsächlich die Bewegung unterstützen will oder sich einfach aus Interesse anmeldet – bleibt naturgemäß offen.
„Wir sind sehr zufrieden. Wir haben mit einem solchen Zustrom nicht unbedingt gerechnet“, sagt Lafontaine. Die der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, seiner Frau, Sahra Wagenknecht, gegründete Bewegung wolle „vor allem die ansprechen, die seit vielen Jahren enttäuscht sind, die sich von der Politik nicht mehr vertreten sehen.“
Dazu gehörten auch jene, die „manchmal dann aus Protest auch die AfD gewählt haben“. „Diese Wählerinnen und Wähler, die im Grunde genommen auch die Politik der AfD ablehnen, aber sie nur aus Protest wählen, wollen wir zurückgewinnen.“ Es gebe für die Mitglieder der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ keine Gesinnungsprüfung: „Aber wer sich bei uns anmeldet, muss sich zu unseren Zielen bekennen. Wenn einer vom Saulus zum Paulus wird, dann ist das ja gerade das Ziel der Bewegung.“
Lafontaine, der 1999 als SPD-Vorsitzender zurückgetreten war, betonte, „Aufstehen“ sei eine überparteiliche Bewegung. Bei der offiziellen Vorstellung am 4. September würden auch einige Prominente anwesend sein, „die sich bisher noch nicht öffentlich geäußert und zur Bewegung bekannt haben“. Anschließend soll es bundesweit eine Reihe von Kongressen zu einzelnen Themen geben.
Wagenknecht hatte gesagt, ihre Bewegung grenze sich in der Asylpolitik sowohl von der AfD ab als auch von einer „grenzenlosen Willkommenskultur“.
„Die richtige Antwort“
Lafontaine sagte der dpa, es sei „ein Versagen des parlamentarischen Systems“, wenn sich die in der Bevölkerung vorhandene „Mehrheit für höhere Löhne, bessere Renten und soziale Leistungen, für eine andere Außenpolitik, gegen Kriegsbeteiligungen und Waffenlieferungen und gegen Umweltzerstörung“ im Parlament nicht mehr abbilde. Das etablierte Parteiensystem werde von vielen als zu starr empfunden, sagte der saarländische Linken-Fraktionschef.
Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann sieht Wagenknecht dagegen auf einem Irrweg. „Sie wird mit ihrer Bewegung keine neuen linken Mehrheiten erreichen“, sagte der Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf der Frankfurter Rundschau. Der Wähler habe in Deutschland „genügend linke Angebote“ bei SPD, Linken und Teilen der Grünen. Die Annahme, die Bewegung könne dem Thema soziale Gerechtigkeit besser zum Durchbruch verhelfen, sei „verwegen“. Alemann: „Das ist entweder naiv. Oder aber es ist Ausdruck eines Egotrips von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.“
Eine neue Machtoption kann es laut Lafontaine nur geben, „wenn sich auch SPD und Grüne verändern“. Solange die SPD an der Agenda 2010 festhalte, gebe es im Bundestag „keine Mehrheit, die dem Willen der Bevölkerung Rechnung trägt“. „Denn die große Mehrheit der Bevölkerung will die Agendapolitik nicht.“ Solange die Grünen „sich mehr oder weniger als verlängerter Arm des US-Außenministeriums positionieren und Frieden und Ausgleich mit Russland ablehnen“ sei eine neue Politik auch nicht möglich. Deswegen sei eine Bewegung „mit dem Ziel, eine inhaltliche Erneuerung der deutschen Politik auf den Weg zu bringen, die richtige Antwort“. „Es wäre völlig gegen unsere Absichten, jetzt von einer neuen Partei zu reden.“
Lafontaine sagte, in Fragen der Sozialpolitik sei die AfD „eine neoliberale Partei, die mit sozialen Fragen wenig am Hut hat“. Alle Untersuchungen zeigten aber, dass viele Arbeiter und Arbeitslose die AfD wählten. „Sie kämen ja, wenn die AfD regieren würde, vom Regen in die Traufe. Und das ist natürlich eine Herausforderung für alle Parteien, die sich für die Arbeitnehmerschaft engagieren wollen“, sagte Lafontaine.
Leser*innenkommentare
Godot
Jetzt mal ganz ohne Polemik - wie wäre es, wenn wir einfach mal abwarten, wie sich diese Bewegung entwickelt ?
Niemand hatte bisher eine bessere Idee, wie man die real existierende Unzufriedenheit vieler Bürger medienwirksam bündeln kann. Und medienwirksam muß es sein, sonst gibt es keine Aufmerksamkeit seitens der Entscheidungsträger dafür, daß sie an den Bedürfnissen vieler Menschen vorbeiregieren.
Natürlich hat diese Bewegung wesentlich mehr Zugkraft, wenn Frau und Herr Lafontaine als Galionsfiguren fungieren.
Wichtiger als die kontroversen Wahrnehmungen ihrer Personen und Handlungen ist für mich die Tatsache, daß sie die Bürger direkt ansprechen und auf diese Weise das Gespenst der Politikverdrossenheit in der Bevölkerung konkret und unleugbar aus dem diffusen Bewußtsein ins Rampenlicht holen.
Damit kann man arbeiten.
Was sie daraus machen, bleibt abzuwarten.
Ich sehe mich nicht als ein Beförderer eines Lafontainschen Ego-Trips, sondern als ein Mitglied einer großen Masse an Bürgern, für die sich trotz Steuerzahlungen und Verantwortungsgefühl für diese Land keine Partei und keine Kanzlerin mehr interessiert.
kischorsch
Mit der alten abgehalfterten Führungsriege und Ideen aus dem letzten Jahrhundert in die Zukunft? Nein danke.
88181 (Profil gelöscht)
Gast
Soviel ist schon mal klar, die Fans der ominösen Bewegung der Familie Lafontaine hier im Forum sind keine Fans von Kritik.
Ich frage mich nur warum die eigentlich hier sind, wenn sie das alles als BILD- oder TINA-Style wahrnehmen.
Und 50.000 Leute haben da einfach mal blind etwas unterschrieben, einzig weil Wagenknecht und Lafontaine draufsteht.
Wollen mal sehen, was die Anführer am 4. September verlautbaren lassen.
HerrvonSinope
"Der Wähler habe in Deutschland „genügend linke Angebote“ bei SPD, Linken und Teilen der Grünen."
Hmm, was genau ist Inhalt eines politikwissenschafltichen Studiums wenn man dann solcher Blödsinn dabei herauskommt??
Die SPD ist shcon lange nicht mehr links, die Grünen sowieso nicht und die Linke hat das Problem für viele einfach als Nicht-Wählbar wahrgenommen zu werden, obgleich sie die Ziele vertritt die mehrheitlich die meisten wollen.
Ich hoffe diese Statement führt dazu dass die Studenten die Uni oder das Fach wechseln :/
"„Das ist entweder naiv. Oder aber es ist Ausdruck eines Egotrips von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.“"
Und dann so einen Satz wie oben beschrieben äußern, das ist wohl der berühmte Balken im Auge...
Mephisto
@HerrvonSinope Solche Dinge sind kein Gegenstand der Politikwissenschaft. Dort interressiert Alltagspolitik eher am Rande. Allerdings: SPD,Grüne und LINKE werden sehr wohl, ALLE dem linken Spektrum zugerechnet, da die persönliche Sicht Einzelner für die Einordnung nicht zählt.
Rolf B.
@HerrvonSinope Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Wenn solche "Wissenschaftler" solche BILD-Weisheiten ablassen, würde ich als Student die Uni wechseln. Auch die Tatsache, dass solche Leute in der taz zitiert werden, stimmt mich nachdenklich.
64662 (Profil gelöscht)
Gast
@Rolf B. "Auch die Tatsache, dass solche Leute in der taz zitiert werden, stimmt mich nachdenklich."
Ja? Wer zum Beispiel verfolgt hat, wie in der taz über Jeremy Corbyn geschrieben wurde, der wird sich auch über die "Blattlinie" zu "Aufstehen" nicht wundern! Wenn das so weiter geht, dann gibt es in der taz bald eine wöchentliche TINA-Beilage!
Reinhold Schramm
Nachtrag, Teil II.
{…}
Dazu braucht es auch einen allumfassenden Bildungsauftrag, so auf allen Ebenen der bundesdeutschen Gesellschaft, wozu die bestehende Gesellschaftsordnung und deren vom Kapital gebeugte politische Administration -aus allen bürgerlichen Parteien- niemals bereit sein würde.
Eine historische Aufgabe steht der antikapitalistischen und humanistischen Sammlungsbewegung bevor! Lasst uns dafür noch heute den (modernen) Klassenkampf aufnehmen!
Reinhold Schramm
Natürlich muss auch eine sozial- und gesellschaftspolitische Linke nicht nur die modernen proletarischen und bürgerlichen Wählerinnen und Wähler der rechtsbürgerlichen AfD und heutigen bürgerlichen Neofaschisten abholen. Wurde doch auch das proletarische Klassenbewusstsein in historischer Zeit, vor allem von der Mehrheitssozialdemokratie, der deutschen Arbeiterklasse ausgetrieben und das Proletariat in der Weimarer Republik den Kapitalfaschisten der NSDAP, SA und SS, in die demagogischen Arme getrieben. In Folge hatte in ihrer historischen Zeit die kapitalfaschistische NSDAP in der Spitze ihrer Existenz mehr Mitglieder in ihren Reihen als die Sozialdemokraten und Kommunisten vor 1933 zusammengenommen. Bei einem Mitgliederbestand von 7,3 Millionen lag der Anteil aus der Arbeiterschaft bei rund 30 Prozent, etwa 2,3 Millionen Arbeiter.
Aus der rechtssozialdemokratischen Geschichte, seit 1914 und vor 1933 und nach Kriegsende 1945 und nach der rechtssozialdemokratischen Liquidierung und Implosion der DDR, vor 1989/1990, erwächst der antifaschistischen und antikapitalistischen deutschen Sozialdemokratie, der heutigen gesellschaftspolitischen Linken in Deutschland, eine besondere Verantwortung auch gegenüber dem modernen heutigen ''Proletariat'', der differenziert qualifizierten deutschen Arbeiterklasse im 21. Jahrhundert.
Hierzu muss auch die linke „Aufstehen“-Sammlungsbewegung ihren angemessenen Beitrag leisten und die über hundert Jahre nachhaltig von der Monopolbourgeoisie, deren Rechtssozialdemokratie und Volksgemeinschaft, deren NS-Regime und deren BRD-Nachfolge-Beamtenstaat und öffentlichen und privaten Zuhälter-Medien, erfolgreich geistig manipulierte Arbeiterklasse, mit den Mitteln der nachhaltigen Aufklärung über die Entfremdung im Kapitalismus, abholen. {...}
Nachtrag, Teil II.