piwik no script img

Linke Forderungen zur GesundheitspolitikEine kostenlose Brille für alle

Die Linke legt Konzept gegen die „Zweiklassenmedizin“ vor. „Gesundheit darf keine Frage des Einkommens sein“, fordert Parteichefin Janine Wissler.

Will sich nicht mit der „Zweiklassenmedizin“ in Deutschland abfinden: Linken-Vorsitzende Wissler Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Die Worte Gerhard Traberts waren eindringlich. Armut bedeute für die Betroffenen „kränker zu sein, früher krank zu werden und früher sterben zu müssen“, sagte der Mainzer Sozialmediziner, der bei der Europawahl für die Linke antritt. Gemeinsam mit der Parteivorsitzenden Janine Wissler stellte er am Montag in Berlin ein Konzept zur Beseitigung der „Zweiklassenmedizin“ in Deutschland vor.

„Gesundheit darf keine Frage des Einkommens sein“, sagte Wissler. Allen Menschen müsste die bestmögliche Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen, „und zwar ausgerichtet nach medizinischen Kriterien und nicht nach dem Einkommen und dem Geldbeutel der Patientinnen und Patienten“. Gesetzlich Versicherte dürften nicht länger „Patient:innen zweiter Klasse“ sein.

So fordert die Linke gleiche Bedingungen im Wartezimmer und bei der Terminvergabe für Kassen- und Privatpatienten. Es sei falsch, wenn die einen wesentlich länger auf einen Termin warten müssten als die anderen. Ein Mittel, um diese Benachteiligung zu beenden: Es soll nicht mehr möglich sein, für Pri­vat­pa­ti­en­t:in­nen mehr abzurechnen als für Kassenpatient:innen.

Eine sehr praktische Forderung ist die nach einer kostenlosen Brille für alle, die sie brauchen. Alle Menschen sollen mindestens alle drei Jahre einen Anspruch auf die Zahlung einer neuen Sehhilfe haben. „Scharfes Sehen darf nicht vom Geldbeutel abhängen“, begründete das Wissler. Für Brillen zahlten die gesetzlichen Krankenkassen bis 2004 Zuschüsse an ihre Versicherten. Dies wurde für Erwachsene damals als Sparmaßnahme gestrichen.

Verhütungsmittel auf Staatskosten

Ferner tritt die Linke für eine stärkere Gesundheitsversorgung in ärmeren Vierteln ein, denn gerade hier seien bessere Angebote zur Gesundheitsversorgung nötig. Gegenwärtig sei es jedoch so, dass es in reichen Vierteln viel mehr Ärz­t:in­nen gebe. So komme in Münchner Nobelvierteln ein:e Kin­der­ärz­t:in auf 300 Patient:innen, in ärmeren Vierteln sei das Verhältnis hingegen teilweise 1 zu 10.000. Das sei, so Wissler, eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Daran zeige sich, „dass die ärztliche Versorgung auch davon abhängt, wo man wohnt“. Eine weitere Forderung ist, dass die Eigenanteile in der Gesundheitsversorgung und die Rezeptgebühr wegfallen sollen.

Darüber hinaus fordert die Linke, dass für jede Schwangere eine medizinisch überwachte Geburt garantiert sein müsse. Dazu brauche es mehr Hebammen und Ge­burts­hel­fe­r:in­nen mit guten und abgesicherten Arbeitsbedingungen. Zudem fordert sie von der rot-grün-gelben Bundesregierung, endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, dass bei Geringverdienenden die Kosten von Verhütungsmitteln vom Staat übernommen werden. „Die Ampelparteien haben es vollmundig versprochen – jetzt müssen sie auch liefern“, sagte Trabert der taz.

Wobei allerdings für Trabert die bisherigen Pläne der Koalition zu kurz greifen, weil sie bloß eine Kostenübernahme für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel vorsähen, Kondome oder Diaphragmen jedoch nicht dazu gehörten. Außerdem sollten auch Hygieneartikel für Frauen im Zusammenhang mit der Menstruation unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

Für Beratungs- und Behandlungsstellen auf der Autobahn

Eine interessante Konsequenz zieht die Partei aus den mehrwöchigen Streiks von osteuropäischen Lkw-Fahrern im vergangenen Jahr an einer Autobahn-Raststätte im südhessischen Gräfenhausen. Sowohl Wissler als auch Trabert hatten die Streikenden, die von ihrem polnischen Spediteur ausstehenden Lohn eingefordert hatten, seinerzeit besucht. Die Gesundheitsversorgung dieser Menschen sei ein großes Problem gewesen, so Trabert.

Die Linke schlägt daher vor, dass es auf den Autobahnen mindestens alle 300 Kilometer kostenfreie Gesundheitsberatungs- und Behandlungsstellen für Lkw- und Bus­fah­re­r:in­nen geben soll, die entweder keine Krankenversicherung haben oder nur eine, die in Deutschland nicht anwendbar ist. In Frankreich gebe es bereits ein vergleichbares Angebot.

Zur Finanzierung ihrer Pläne schlägt die Linkspartei eine „solidarische Gesundheitsversicherung“ vor, in die alle Bür­ge­r:in­nen einzahlen. Durch die Einbeziehung von bisher privatversicherten Besserverdienenden, Be­am­t:in­nen und Selbstständigen würde der finanzielle Spielraum deutlich verbessert. Dabei solle die Beitragsbemessungsgrenze erst erhöht und dann perspektivisch abgeschafft werden, „damit endlich auch die Spitzeneinkommen sich angemessen an der Finanzierung der Krankenversicherung beteiligen“, sagte Wissler.

Außerdem solle es ein Gewinnausschüttungsverbot für Krankenhauskonzerne wie Asklepios oder Fresenius Helios geben. Perspektivisch sollten privatisierte Krankenhäuser in die öffentliche Hand zurückgeführt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Schwächen unserer Demokratien

    Zitat: „Gesundheit darf keine Frage des Einkommens sein“, sagte Wissler. Allen Menschen müsste die bestmögliche Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen, „und zwar ausgerichtet nach medizinischen Kriterien und nicht nach dem Einkommen und dem Geldbeutel der Patientinnen und Patienten“. Gesetzlich Versicherte dürften nicht länger „Patient:innen zweiter Klasse“ sein.“

    Positionen wie diese gehören zu den tradierten Essentials originärer linker Politik seit den Ursprüngen der organisierten Arbeiterbewegung. Alle Aquis auf diesem Gebiet mußten in den liberalistisch verfaßten Gesellschaften von den Lohnabhängigen in langen, oft erbitterten Kämpfen abgerungen werden.

    Mitunter müssen sich auch deren politische Sachwalter dazu herablassen, diesen Basics - wenigstens verbal - ihre Reverenz zu erweisen, wie etwa E. Macron zu Beginn der Corona-Krise:

    „Morgen müssen wir die Lehren ziehen aus dem, was wir gegenwärtig durchmachen, das Entwicklungsmodell hinterfragen, in das sich unsere Welt seit Jahrzehnten verwickelt hat und dessen Mängel nun ans Licht kommen, die Schwächen unserer Demokratien hinterfragen. Eines hat sich durch diese Pandemie schon jetzt herausgestellt: Die kostenlose Gesundheit, unabhängig vom Einkommen, Stellung und Beruf, unser Sozialstaat sind keine Kosten oder Lasten, sondern wertvolle Güter, unverzichtbare Trümpfe, wenn das Schicksal zuschlägt. Diese Pandemie hat jetzt schon deutlich gemacht, daß es Güter und Dienstleistungen gibt, die außerhalb der Marktgesetze gestellt werden müssen. Es ist verrückt, unsere Ernährung, unseren Schutz, die Gestaltungsfähigkeiten unseres Lebensrahmens im Grunde an andere zu delegieren. Wir müssen die Kontrolle darüber zurückgewinnen.“ (TV-Ansprache am 12.3.2020; Quelle: Elysée-Palast, eigene Übersetzung)

    Im Klartext: Public health und Marktgesetze stehen in unauflöslichem Widerspruch zueinander. Das sollte sich auch unser BMG hinter die Ohren schreiben...

  • Endlich mal wieder konstruktive politische Vorschläge von der Linken, die anderen Parteien einen wichtigen Spiegel vorhalten.

    Wenn davon noch mehr kommt über alle Themen hinweg und deutlich wird, dass auch eine Mehrheit in der Partei dahinter steht, wird die Linke vielleicht wieder wählbar.

  • Es ist schade, dass nicht noch mehr Parteien und mehr gesellschaftliche Akteure konsequent für die Vielen und für die Armen handeln.



    Die wenigen Bonzen haben schon ihre Lobby. Siehe auch die aktuellen Hinweise des Europarats zu den Schwächen hierzulande.

  • Trotz aller Unterschiede in einzelnen Punkten könnte es bezüglich der Gesundheitsversorgung für die Linke



    durchaus Berührungspunkte mit sozialdemokratischen Ideen zur Umgestaltung geben.

    Die Umkehr des Trends zur immer stärkeren Kommerzialisierung im Krankenhausbereich - verbunden mit dem Ausbau einer qualifizierten, allen zugänglichen Grundversorgung im Ambulanten Bereich ist eine lange überfällige staatliche Aufgabe.

    Da offenbar immer mehr Ärzt´*innen das Risiko der Eröffnung einer selbständigen Arztpraxis scheuen, könnte das auch zur besseren regionalen Versorgung in der Fläche beitragen.

    All das ist sicher nicht von heute auf morgen zu erreichen.



    Dafür werden schon Panikmache und der mediengestützte Aufschrei aller medizinischen Berufs- und kommerziellen Interessenverbände sorgen.

    Entscheidend ist, dass die Richtung stimmt.







    Sowohl für die Linke als auch für die SPD könnte auch bzw. gerade im Gesundheitsbereich die Chance liegen, sich deutlich von den anderen Parteien abzuheben.



    Beide Parteien könnten längerfristig davon profitieren und (endlich wieder) ein klar erkennbares soziales Profil zurückgewinnen.

    Kritiker*innen mögen das als sozialistische Fantasien bezeichnen.

    Wohin fantasielose - rein kapitalistisch orientierte Gesundheitspolitik führt, spüren z.B. all die Patient*innen, die auf dem flachen Land vom "Praxissterben " betroffen sind oder diejenigen die sich erforderliche Zuzahlungen kaum noch leisten können.

  • Also wenn Janine Wissler, da ist die Sache so gut wie gesetzt.



    Beschluss nur noch Formsache.

  • Die Beamten, insbesondere die des



    Gesundheitsministerium, werden den



    Vorschlag begrüßen.

  • Es wäre besser, die Klassenanalyse genauer zu machen, anstatt sich mit Anführungsstrichen von der Rede von Klassen zu distanzieren.



    Schließlich ist Privatpatient nicht gleich Privatpatient und gesetzlich Versicherte nicht gleich gesetzlich Versicherte.



    Reiche können sich gute Medizin leisten, egal ob sie gesetzlich oder privat versichert sind. Im Notfall zahlen sie eine Behandlung einfach selbst. Wer als Soloselbständiger oder Kleinunternehmerin aber privat versichert ist und in Geldnöte kommt, zahlt oft als erstes die Versicherungsbeiträge nicht und steht dann mit chronischen Krankheiten oder einem Schuldenberg da.



    Andererseits sind Geringstverdiener und Langzeitarbeitslose auch oftmals nicht in der Lage, sich medizinisch bessere Alternativen zur Mindestbehandlung zu leisten, für sie kann schon die Zuzahlung problematisch sein und viele Medikament, wie z.B. Pflegecremes für Menschen mit atopischer Dermatitis werden auch nicht von den Krankenkassen bezahlt. Wer sich zudem zwischen Heizen, Essen und Kleidung entscheiden muss, wird sich auch nicht das Gesündeste leisten können, sondern eher nur das Billigste.



    Ganz schlimm trifft es jedoch Menschen, die auf der Straße leben oder illegalisiert sind. Sie haben überhaupt keine Krankenversicherung und sind auf die Versorgung durch Hilfsorganisationen angewiesen.



    Es gibt also mindestens schon einmal fünf bis sieben Klassen im Gesundheitssystem, nicht nur zwei.

  • Sicher möchte Frau Wisseler dann für GKV -Patienten soviel an die Ärzte auszahlen wie es dem PKV -Honorar entspricht.....oder habe ich das falsch verstanden? Selbständige Ärzte können derzeit nur finanziell überleben, wenn sie einen ordentlichen Privatpatientenstamm haben oder im Minutentakt GKV -Patienten durchschleusen.



    Abgesehen davon ist die Gebührenordnung für Ärzte seit 1996 nicht erhöht worden. Kennen sie noch eine Berufsgruppe, die noch für das Honorar von damals arbeitet?



    Mal wieder sozialistische Fantasien.

    • @Emsch:

      Das durchschnittliche persönliche Nettoeinkommen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte beträgt bei Vollzeittätigkeit ca. 7900,- pro Monat. Netto ist das, was am Ende auf dem Konto landet, NACH Abzug der eigenen KV. Ich kenne viele Berufsgruppen, die darunter arbeiten. Es sind sogar die Meisten. Sie können das Nachlesen im Dezemberheft von "Das Gesundheitswesen" (Thieme)



      DOI 10.1055/a-2075-7976

    • @Emsch:

      "Mal wieder sozialistische Fantasien."



      So sehe ich es auch.

    • @Emsch:

      Dass Ärzt:innen seit fast dreißig Jahren keine Erhöhung ihrer Honorare bekommen haben, ist doch wohl eher eine kapitalistische Fantasie.

      • @Hannes Schreiter:

        In Bezug auf Abrechnungen nach GOÄ ist das keine Fantasie, sondern Fakt.

  • Alles richtige Forderungen, nur fraglich, ob die Linke damit wieder auf die Beine kommt.



    Es liegt natürlich auch ein Stück weit an den Medien, gesundheits- und allgemeine sozialpolitische Themen wieder stärker in den Vordergrund zu stellen. Nötig wäre es dringend.



    Dass die Linken jetzt in diesen drängenden gesellschaftlichen Fragen, die uns alle betreffen, vorangehen, nimmt mich (wieder) sehr für diese Partei ein - ich werde das unterstützen, denn es ist verdammt schwer, sich damit heutzutage zu behaupten - eingekeilt von Faschisten, linksnationalen Populisten und Neoliberalen.



    Glück auf, Frau Wissler und Herr Trabert!