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Lindners WirtschaftspapierKeine Zeitenwende

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Finanzminister Lindner hat ein Papier erstellt, das eine Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik fordert. Es besteht aus den bekannten FDP-Forderungen.

Seit 40 Jahren erzählen die Liberalen das immer Gleiche: Finanzminister Christian Lindner im Oktober Foto: Kay Nietfeld/dpa

N ach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf: Für die Liberalen gibt es keine Pause. Während alle anderen PolitikerInnen ihre Weihnachtsferien genießen, schaltet FDP-Chef Christian Lindner bereits auf Angriff. Denn im nächsten Jahr stehen gleich drei Landtagswahlen an – in Bremen, Bayern und Hessen.

Also ließ Lindner ein fünfseitiges Papier erstellen, das eine „Zeitenwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“ fordert. An diesem Werk fällt vor allem auf, dass es keine Zeitenwende ist. Jedenfalls nicht für die Liberalen. Stattdessen stehen dort die gleichen Forderungen, die die FDP immerzu erhebt: Die Steuern für die Reichen und die Unternehmen sollen sinken.

Lindner scheint zu glauben, dass es WählerInnen gibt, die noch nicht wissen, dass die FDP die selbsternannte Steuersenkungspartei ist, und die daher eine weitere Epistel benötigen. Das ist eine seltsame Annahme. Schließlich erzählen die Liberalen seit nunmehr 40 Jahren immer das Gleiche, nämlich dass die Unternehmen und Spitzenverdiener „entlastet“ werden müssen.

Steuersenkung zieht nicht

Lindner müsste eigentlich zu der Einsicht gekommen sein, dass das Thema Steuersenkung derzeit nicht zieht. Denn die Wahlen in diesem Jahr waren für die Liberalen eine Katastrophe. Im Saarland verpasste die FDP erneut den Einzug in den Landtag, in Niedersachsen flog sie raus. In Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen hat sie es zwar knapp in die Parlamente geschafft, sitzt aber nicht mehr in der Regierung. In beiden Ländern regiert jetzt Schwarz-Grün.

Schwarz-Grün ist die Urangst der Liberalen, zeigt dieses Bündnis doch, dass das bürgerliche Lager die FDP nicht mehr braucht, um Mehrheiten zu erzeugen. 2025 könnte es auch im Bund so weit sein, denn die Liberalen dümpeln derzeit bei 7 Prozent in den Umfragen. Also versucht Lindner, in die Offensive zu kommen. Das wird aber nicht mit Forderungen gelingen, die 40 Jahre alt sind und die jede sattsam kennt. Die FDP müsste sich neu erfinden. Diese Zeitenwende wird nicht demnächst stattfinden – wie das Papier namens „Zeitenwende“ klar zeigt.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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10 Kommentare

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  • Dass eine so umstrittene Person wie Lindner so lange das Fähnlein halten muss (und viele Frauen der Partei den Rücken gekehrt haben) zeigt eine ausgetrocknete Partei, der nichts mehr einfällt, als an allen Stellen zu bremsen (nur bei der Geschwindigkeit auf unseren Autobahnen nicht). Mitreden darf jede, nur ernst nehmen müßte man diese letzten Mohikaner nicht mehr.Sie paßt in kein Bündnis mehr, zu leer.

  • Braucht unsere Gesellschaft denn noch eine liberale Partei? In allen ernst zu nehmenden Parteiprogrammen der Konkurrenz ist der Begriff der "Freiheit" längst Standard. Die angeblich so liberale FDP reduziert die Philosophie von Voltaire, Kant oder Rousseau auf das Erlauben von Raserei auf den Straßen, einen lockeren Umgang mit Waffen oder das Nicht-Tragen von FFP2 Masken. Wer die wertvolle Grundlage der Aufklärung zu billiger, populistischer Wahlkampfhilfe dergradiert, ist vollkommen überflüssig - wenn nicht gar schädlich.

  • Die gelben Forderungen sind nicht nur alt. Sie sind auch grundsätzlich primitiv und undifferenziert, es ist einfach der Glaube und die Behauptung, Geld sei besser als beim Staat beim einzelnen Menschen aufgehoben, auch wenn dem die Knete schon aus den Ohren rauskommt. Und damit sind die liberalen Forderungen auch einfach unübersehbar falsch. Sie fördern das Falsche: Überkonsum, Ressourcenverbrauch, destruktive Investitionen, Teuerung, soziale Unterschiede etc. Richtig wäre das genaue Gegenteil: gesteuerte Investitionen, Reduktion von Armut, weniger Ressourcenverbrauch.

  • Für die Grünen und Roten dieser Koalition wäre es sehr wohl eine Zeitenwende...nämlich sich zu fragen, wo das Wirtschaftsvermögen künftig eigentlich herkommen soll anstatt nur zu überlegen, wie man es verteilt.

  • Mittelstandsbauch, kalte Progression, Streichung des Solidaritätszuschlags – den deutschen Einkommensteuerregeln fehlt es an Gerechtigkeit – bei Senkungen haben Mehrverdienende die größeren Vorsteile, der Krieg Reich gegen Arm geht weiter. Warren Buffett bis Georg Schramm bezeugen es.

    Wirtschaftsförderung durch gesteigerte Binnennachfrage, denn Exportweltmeisterei steht zunehmend auf wackligen Füßen!

    Statt Einkommensteuer-Senkung ein



    höherer Grundfreibetrag und – Digitalisierung nutzen! – Algorithmen-gesteuerter linear ansteigender Steuersatz bis zur Höchstgrenze!

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Niedlich wäre auch, wie sich die FDP aktuell in der Regierungskoalition als Opposition geriert - wenn es nicht so destruktiv und billig wäre.

  • 6G
    666757 (Profil gelöscht)

    Lindner hat das Papierchen doch nur mit seinem Wunschzettel an den Weihnachtsmann verwechselt, dumm gelaufen, den letzten beissen die Hunde.



    Stattdessen darf er den pseudo-Intellektuellen Kram getrost mit dem schon rieselnden Tannenbaum entsorgen:



    Ab damit in die Tonne!

    Mehr ist das ganze Geschreibsel eh nicht wert. ;-)), solange er das Donut-Prinzip nicht begriffen hat:



    www.deutschlandfun...oekonomie-100.html .

  • Die FDP wird ihren Stammwählern sicherlich treu bleiben. Eigentlich doch gut, dass die nix neues erfinden. So ist diese kleine Partei für die Freiheit, für die besonderen Bedürfnisse von reichen und superreichen Minderheiten, spätestens 2025 sicherlich weg vom Fenster.

    Aber Psst! Nicht weitersagen. Die FDP darf diesen Artikel möglichst nicht lesen. Dann fällt denen gar nicht auf das die sowas von '80er sind.

    Das könnte eine wirkliche Zeitenwende geben. :-)

  • "Also ließ Lindner ein fünfseitiges Papier erstellen [...]"

    Puh. Ich dachte schon, der hätte selber geschrieben. Der FDP wünsche ich künftig 4.5 Prozent bei allen Wahlen und allen anderen einen guten Rutsch!

    • @tomás zerolo:

      Die Weisheit spricht mit 4,5 %.



      Frohes Neues