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Lichtblick auf Hamburger WohnungsmarktDas Erbe gerecht verteilt

In Hamburg wollen drei Geschwister ihr Immobilienerbe an ein Kollektiv weitergeben. Die „Likedeelerei“ verzichtet auf Profitinteresse.

Dem profitorientierten Wohnungsmarkt entzogen: Mehrfamilienhaus in Hamburger Stadtteil Klein Flottbek Foto: Likedeelerei

HAMBURG taz | Im Hamburger Stadtteil Klein Flottbek lebt es sich gutbürgerlich, zwischen Reitturnierpark und Elbblick. Dass hier Häuser vererbt werden, ist gewöhnlich. Was drei Klein Flottbeker Geschwister jedoch nun mit ihrem Erbe vorhaben, nicht: Sie wollen das Haus ihres Großvaters an ein Kollektiv weitergeben. Die „Likedeelerei“, wie sich die Gruppe nennt, erwirbt Immobilien und vermietet sie an auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Menschen, etwa Geflüchtete.

„Wir sind die kleine Cousine vom Miethäuser Syndikat“

Simon Stülcken, Likedeelerei

„Für uns gehört es überall dazu, dass es eine gemischte Wohnpolitik gibt“, sagt Simon Stülcken, Mitglied der Likedeelerei. Er begleitet den Hauskauf. Stülcken berichtet, dass man sich mit der Familie auf einen Preis weit unterhalb des Marktwertes geeinigt habe. Der Großvater habe das Haus gebaut, um es günstig zu vermieten. Das „geistige Erbe“ wolle man erhalten.

Das Geld für den Hauskauf sammelt das Kollektiv von Un­ter­stüt­ze­r:in­nen ein. So kann man ein Darlehen zu eigenen Konditionen aufgeben. Oder man schließt einen Sparvertrag ab, zahlt regelmäßig ein und verdient über Zinsen.

Likedeeler, niederdeutsch für Gleichteiler, nannten sich schon die Freibeuter um Klaus Störtebeker. Sie teilten ihre Beute gerecht auf, ganz anders als im feudalen Mittelalter üblich. Mit verteilter Kreditlast wollen die Likedeeler Banken und deren Gewinnlogik umgehen.

Ein Haus fast nur für Geflüchtete

In Hamburg haben die Likedeeler nach eigenen Angaben sieben Projekte finanziert. Bis 2028 soll noch ein Neubau dazukommen. In Wilhelmsburg plant das Kollektiv ein ökologisches Holzhaus. 75 Prozent der Wohnfläche soll an Geflüchtete gehen.

Die fünf Stockwerke sollen aus Einzelappartements und Wohnungen für Großfamilien bestehen – beides ist hart umkämpft auf dem Hamburger Wohnungsmarkt.

Gerade bezahlbaren Wohnraum gibt es in Hamburg zu wenig, wie jüngste Zahlen zeigen: Zwar zog die Zahl der Neubauten in Hamburg wieder an. Sozialwohnungen bleiben jedoch Mangelware. 8.319 Wohnungen wurden laut der zuständigen Behörde 2024 fertiggestellt, 2023 waren es noch 5.999. Von den neuen Wohnungen sind aber nur 2.261 Sozialwohnungen, etwa 27 Prozent. Stadtweit sinkt der Bestand an Sozialwohnungen laut Wohnungsbehörde. 2023 waren demnach acht Prozent der Wohnungen in Hamburg Sozialwohnungen, etwa 80.000. 2011 waren es noch knapp über 100.000.

Das Projekt in Wilhelmsburg will das Kollektiv mit rund einer Millionen Euro Eigenkapital aus Spenden und Darlehen finanzieren. Neun Millionen sollen aus Krediten und Förderung der Stadt kommen.

„Kleine Cousine vom Mietshäusersyndikat“

Sobald eine Bank beteiligt ist, steigt das Risiko für die Ein­zah­le­r:in­nen kleiner Kredite. Rutschen die Likedeeler in die Insolvenz, hat das Geld der Bank Vorrang. Im schlimmsten Fall sehen Un­ter­stüt­ze­r:in­nen ihre Darlehen nicht wieder.

Vorbild ist das Mietshäuser Syndikat (MHS). „Wir sind die kleine Cousine vom Syndikat“, sagt Likedeeler Stülcken. Der 42-Jährige wohnt selbst in einem Hausprojekt des MHS. Doch er sieht deren Ansatz kritisch. Das MHS kauft bundesweit Immobilien. Es ist an 201 Projekten beteiligt, zehn davon in Hamburg. Jedes Haus wird von einem Mieterverein selbstverwaltet. Das Haus gehört einer GmbH, in der wiederum das MHS Veto gegen den Verkauf des Hauses einlegen kann. So sollen die Häuser dauerhaft dem Markt entzogen werden.

Jede MHS-Hausgemeinschaft erledigt ihre Bürokratie selbst. Aber dazu braucht es gute Sprachkenntnisse und Wissen über Buchhaltung. „Wir wollen etwas anbieten, wo sich die Menschen nicht mit Verwaltung beschäftigen müssen“, sagt Stülcken.

Bei den Likedeelern gibt es daher nur eine GmbH, ihr gehören alle Immobilien. Ein Mieterverein und eine Stiftung mit Vetorecht kontrollieren die GmbH. Die Mitgliedschaft im Verein ist freiwillig. So will das Kollektiv den Zugang zu Hausprojekten möglichst einfach halten.

In einer der sechs Wohnungen im Haus in Klein Flottbek soll eine alleinerziehende afrikanische Frau wohnen. Nachbarn hätten sich schon bereit erklärt, ihr mit Behördengängen zu helfen, berichtet Stülcken.

Das dürfte im Sinne der drei Geschwister sein. In einer Mitteilung schreiben sie: „In Zukunft sollen hier vor allem solche Menschen den Blick in Bäume und Gärten genießen, die auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance haben. Wenn das gelingt, würden wir uns freuen.“

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2 Kommentare

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  • Likedeeler ist eine großartige Initiative und die drei Geschwister sind auch toll.

  • Dieser Artikel tut richtig gut. Toll, dass es auch noch solche Leute gibt